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Ausstellungsansicht

© Credit: Royal Collection Trust / © His Majesty King Charles III 2023

Ausstellung von Hans Holbein im Buckingham-Palast: Für den britischen König ging er auf Dating-Tour

Zu Gast bei den Einflussreichen und Mächtigen des englischen Hofes: Die Londoner Royal Collection präsentiert ihren umfangreichen Bestand an Zeichnungen von Hans Holbein.

Wohl niemand hat das Image des englischen Tudorkönigs Heinrich VIII. (1509-47) und der Renaissance-Gesellschaft bei Hofe so geprägt wie Hans Holbein. Da steht der Mann mit den sieben Frauen breitbeinig im Juwelen-bestickten Prachtornat, den Dolch am Gürtel – eine Verkörperung der absolutistischen Monarchie des 16. Jahrhunderts. Freilich mag, wer genau hinsieht, auch eine Ahnung bekommen von Heinrichs beginnender Fettleibigkeit.

Wer Holbeins geniale Kunst betrachtet, dürfte häufiger diesen Eindruck bekommen: lebensechte, zum Greifen nahe Menschen, die sich, von der Kleidung abgesehen, kaum von unseren Zeitgenossen unterscheiden; gleichzeitig häufig versteckte Hinweise, Andeutungen allzu menschlicher Schwäche hinter dem Imponiergehabe der Schönen und Reichen, die sich vom Meister verewigen lassen wollten.

Ob Porträt oder religiöse Motive: 1526-28 malte Hans Holbein das Gemälde „Noli me tangere“, der lateinische Ausdruck für „Rühr mich nicht an“. Christus soll diese Worte zu Maria Magdalena gesprochen haben, nachdem sie entdeckt hatte, dass er aus dem Grab auferstanden war.

© Credit: Royal Collection Trust / © His Majesty King Charles III 2023

Dem aus Augsburg gebürtigen, in Basel zu Ruhm gelangten Künstler widmet nun die Londoner Queen’s Gallery, im Schatten vom Buckingham-Palast mitten in der Stadt gelegen, eine fabelhafte Ausstellung. Von wenigen wertvollen Leihgaben abgesehen sind hier Stücke aus der umfangreichen Royal Collection zu sehen – viele davon Schätze, die normale Kunstgenießer nie zu Gesicht bekommen, weil sie in den Katakomben von Schloss Windsor ruhen oder die Ballsäle der diversen Königspaläste zieren.

Zum Schätzwert von mehreren Milliarden Pfund tragen nicht nur kostbare Gemälde von Tizian, Rembrandt oder eben Holbein bei; von Charles III. „als Treuhänder für seine Nachfolger und die Nation“ – man beachte die Reihenfolge – verwaltet werden auch gewaltige Sammlungen von Zeichnungen, darunter die wohl größte Anzahl von Skizzen des Universalgenies Leonardo da Vinci – und eben Holbeins. Achtzig Zeichnungen des einstigen Hofmalers bilden den Kern der jetzigen Ausstellung, zum Teil sind sie jenen Gemälden gegenübergestellt, die auf der Grundlage der Skizzen entstanden.

Der Meister in seiner Zeit

Die Ausstellungsmacherinnen um Kate Heard haben den ehrenwerten Versuch unternommen, den Meister in seiner Zeit zu präsentieren – vielleicht eine Mahnung an das schwindende Häuflein von Brexiteers, wonach die Insel doch stets Teil der europäischen Politik, Wissenschaft und Kultur war. Zu sehen sind also auch ansehnliche Werke von Konkurrenten und Zeitgenossen, darunter ein Ölgemälde aus der flämischen Schule. Die köstliche, einer Karikatur gleichende Studie präsentiert den damaligen Herzog von Burgund und späteren Kaiser Karl V., mit langgezogenem Kinn („Habsburger Lippe“), unverkennbar ein Angehöriger der damals mächtigsten Dynastie Europas.

„Sir Thomas More“, wie ihn Hans Holbein 1527 sah.

© Credit: Royal Collection Trust / © His Majesty King Charles III 2023

Holbein hatte sich nach den guten Basler Jahren zunächst an den französischen Hof begeben. Dort kann der Erfolg nicht sonderlich groß gewesen sein, jedenfalls kam der knapp 30-Jährige 1526 nach London, einen Empfehlungsbrief des berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam im Tornister. Schon bald brummte das Geschäft. Ob Lordkanzler Thomas More, einer der ersten Auftraggeber des frisch in London Eingetroffenen, der alternde Erzbischof von Canterbury, der Finanzexperte Henry Guildford und seine Gattin Anna – Holbein ging bei den Einflussreichen und Mächtigen der Hofgesellschaft ein und aus. Dabei gewann er den Ruf, die Porträtierten so lebensnah darzustellen wie kaum ein anderer.

Dass Holbein genau diese Qualität bei seinen Auftraggebern hervorhob, lässt sich am brillanten Gemälde des jungen deutschen Kaufmanns Derich Born ablesen. Lässig lehnt der Porträtierte an einem Podest mit lateinischer Inschrift: „Fügen Sie eine Stimme hinzu, und Sie haben Derich selbst“, steht da, und tatsächlich traut man dem jungen Kaufmann zu, er werde im nächsten Moment aus dem Rahmen treten.

Endlich königlicher Hofmaler

Mitte der 1530er Jahre ergatterte Holbein endlich den begehrten Status eines Königsmalers, damals keine exklusive Position. Der peniblen Buchführung bei Hofe zufolge war er mit dem Jahressalär von 30 Pfund, was heute etwa 14.500 Euro entsprechen würde, keineswegs Heinrichs bestbezahlter Künstler. Offenbar aber ein hoch angesehener.

Für Holbein Porträt zu sitzen, war eine Ehre: Bildnis einer Dame, vermutlich Katherine Howard, um 1540.

© Credit: Royal Collection Trust / © His Majesty King Charles III 2023

Heiratsfähige Frauen begutachten

Sonst wäre Holbein nach dem Tod von Jane Seymour, Heinrichs dritter Frau, wohl kaum auf eine delikate Mission, sozusagen als Dating-App des 16. Jahrhunderts, geschickt worden. 1538 und 1539 unternahm er mehrere Reisen, um standesgemäße Kandidatinnen für den wieder auf Freiersfüßen wandelnden König in Augenschein zu nehmen. In Brüssel saß ihm Christina von Dänemark, verwitwete Herzogin von Mailand, drei Stunden lang Porträt. In Kleve malte er die Herzogstöchter Anna und Amalia, nachdem ängstliche Hofschranzen vorhergehende Bilder als nicht lebensnah genug verworfen hatten.

Darf man sich Holbein also als einfühlsamen Menschenkenner vorstellen, dem es mit geschmeidiger Diplomatie gelang, noch einmal Zugang zu den Objekten der royalen Begierde zu erlangen? „Ja, das wüssten wir gern“, antwortet Kuratorin Heard ein wenig seufzend angesichts der wenig ergiebigen Quellenlage. Immerhin sei „sein Ruhm zu diesem Zeitpunkt schon in ganz Europa verbreitet“ gewesen – dem Meister Porträt zu sitzen war also nicht nur anstrengend, sondern auch ehrenvoll.

Dem König jedenfalls gefiel das Bild der Anna von Kleve so gut, dass er sofort den Heiratsvertrag unterschrieb. Freilich unterschieden sich Darstellung und Realität in der Renaissance genauso wie in der digitalen Welt von heute. Die lebendige Anna fand keine Gnade vor den Augen des alternden Königs, die Ehe wurde nie vollzogen und nach einem halben Jahr für ungültig erklärt. Für Holbein ein schwerer beruflicher Rückschlag: Die Aufträge vom Königshof blieben aus, wenn er auch den Status als Hofmaler bis zu seinem Tod 1543 behalten durfte.

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