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Arbeitssuchende in der Arbeitsagentur haben eine große Vermittlungschance, wenn sie nicht lange arbeitslos sind.

© ddp/Sebastian Willnow

Langzeitarbeitslosigkeit bekämpfen: Wie die Berliner Arbeitsagentur schwierigen Fällen zum neuen Job verhilft

Rund 185.000 Arbeitslose hat Berlin. In der Regel landen sie bei den Jobvermittlern der Arbeitsagentur. Es geht aber auch anders. Letzter Teil unserer Serie „Wer macht die Arbeit?“

Es ist einer ihrer Lieblingsfälle, sagt Christine Krampe, Integrationsberaterin bei der Arbeitsagentur in Berlin: Karen S.*, Mitte 20, ledig, kein Schulabschluss, abgebrochene Ausbildung, Hilfsarbeiterin. Dann wurde sie arbeitslos. Klingt nach einem schwierigen Fall. Als sie der jungen Berlinerin gegenübersaß, ahnte Krampe aber, dass sich das durchaus ändern lässt. Und so kam es dann auch. 

Rund 185.000 Arbeitslose gibt es in Berlin. 55.000 Menschen davon bekommen Arbeitslosengeld I, sind also in der Regel erst in den vergangenen zwölf Monaten arbeitslos geworden; wenn sie über 50 Jahre alt sind, zahlt die Arbeitsagentur das Arbeitslosengeld bis zu zwei Jahre. Je kürzer die Erwerbstätigen arbeitslos sind, desto größer sind die Chancen, zeitnah wieder einen Job zu finden. Und umgekehrt: Je länger jemand arbeitslos ist, desto schwieriger ist die Vermittlung.

Knapp 20.000 freie Stellen sind in der Stadt zu vergeben, für die allermeisten davon sind Experten und Fachkräfte gesucht, nur knapp 3500 der Arbeitsplätze sind für angelernte Kräfte gedacht. So sagt es jedenfalls die Statistik der Bundesagentur für Arbeit.

Die Aufgabe der Arbeitsagentur ist es, Arbeitslose mit den offenen Arbeitsplätzen zusammenzubringen. Auch bei neunmal mehr Arbeitslosen als Jobs ist das Matching offensichtlich schwierig: Die Qualifikation der Sucher passt sehr häufig nicht mit den angebotenen Stellenprofilen zusammen.

Eine zu geringe Vermittlungsquote der Arbeitsagentur kritisierte die Vizepräsidentin der ner Industrie- und Handelskammer (IHK), Nicole Korset-Ristic. Bei der Arbeitsagentur kann man den Vorwurf nicht nachvollziehen.

In unserer Serie „Wer macht die Arbeit?“ schauen wir auf die Besonderheiten des Arbeitsmarktes in Berlin und Brandenburg.
In unserer Serie „Wer macht die Arbeit?“ schauen wir auf die Besonderheiten des Arbeitsmarktes in Berlin und Brandenburg.

© Tagesspiegel

Krampe ist keine Arbeitsvermittlerin, sondern Integrationsberaterin und Teil einer „Sondereinheit“ der Arbeitsagentur. Das Inga-Team ist in Lichtenberg ansässig, Haus 1, zweiter Stock, ein heller Gang führt zu ihrem Büro. Hier sitzt Krampe den Klienten entspannt, ohne Zeitdruck, an einem runden Tisch gegenüber.

„Ganzheitliche Beratung“

Inga, die Abkürzung steht für „Interne ganzheitliche Integrationsberatung“. Vor zehn Jahren wurde das Angebot bundesweit eingeführt. Arbeitslose, die erst vor kurzem arbeitslos geworden sind, nehmen daran teil. Ihr regulärer Arbeitsvermittler kann sie an die Inga-Kolleg:innen verweisen, wenn er meint, dass die ganzheitliche Beratung für sie Sinn macht. Das ist der übliche Weg. Arbeitslose können ihre Vermittler:innen aber auch danach fragen, ob sie zu Inga gehen können.

Ein „Inga“-Berater betreut im Schnitt 65 Arbeitssuchende, in den Jobcentern kommen auf einen Vermittler dagegen mehr als 200 Langzeitarbeitslose.
Ein „Inga“-Berater betreut im Schnitt 65 Arbeitssuchende, in den Jobcentern kommen auf einen Vermittler dagegen mehr als 200 Langzeitarbeitslose.

© www.fotex.de/Michaela Begsteiger

Inga ist ausgerichtet darauf, „Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern und ganzheitlich die multiplen Gründe einer Arbeitslosigkeit anzugehen“, beschreibt Krampe den Ansatz. Viele ihrer Kund:innen hätten schlechte Erfahrungen im Job gemacht, einen Karriereknick oder Mobbing erlebt oder einen Burnout. Das Inga-Konzept ist kein starrer Plan, alle Berater:innen gehen nach dem persönlichen Bedarf der Kund:innen vor, arbeiten in der Regel mit ihnen zusammen, bis ein Job gefunden ist, auch wenn das über die Zeit hinaus geht, in der sie Arbeitslosengeld I beziehen. Das ist die Voraussetzung für die Teilnahme.

Vermittlung als Biografiearbeit

Mit ihren Klient:innen mache sie „Biografiearbeit“. Welche Motive und Brüchen ziehen sich durch den Lebenslauf? Was steckt hinter beruflichen Entscheidungen? Warum hat Karen S. immer wieder hingeworfen, Schule und Ausbildung nicht abgeschlossen?

Es geht um einfache, aber grundsätzliche Fragen, berufliche Neuorientierung, das Eröffnen von Möglichkeiten, das Stärken von Selbstbewusstsein, um Wünsche und darum, Wege zu finden und sie zu erreichen, sagt Krampe.

Eigentlich wollte sie immer Polizistin werden, kam bei Karen S. heraus. Nur getraut hatte sie sich das bisher nie. Jetzt traut sie sich.

Krampes Klient:innen haben unterschiedlichste Hintergründe. 26 Jahre jung, Bachelorabschluss, Projektleiterin, zuletzt im Changemanagement einer Wirtschaftsberatung tätig, viele Überstunden gemacht, krank geworden: „Die Klientin konnte schwer Grenzen setzen, ihre Bedürfnisse kommunizieren, hatte psychische Probleme, Essstörungen, eine Konzentrationsschwäche“, erzählt Krampe. Sie hat mit ihr nach Ansprechpartnern gesucht, um da wieder herauszukommen. An Arbeiten sei einmal nicht zu denken.

Ein Ziel erarbeiten

Einen promovierten Wissenschaftler, Anfang 50, hat Krampe beraten. Seine Stelle an der Uni war weggefallen, jahrelang hatte er unentgeltlich weitergeforscht, bis seine Familie in eine finanziell schwierige Lage kam. Mit dem Mann Krampe hat an neuen Perspektiven gearbeitet.

Nicht hoffnungslos. In der Inga-Beratung geht es um Vorstellungen, Wünsche – und um Wege, sie umzusetzen.
Nicht hoffnungslos. In der Inga-Beratung geht es um Vorstellungen, Wünsche – und um Wege, sie umzusetzen.

© ddp/Joern Pollex

Ist das Ziel identifiziert, beginnen die Maßnahmen. Vom Pflegebasiskurs über Projektmanagement bis zum Leadership-Seminar oder IT-Bootcamp ist vieles möglich, soweit ein Angebot von der Arbeitsagentur anerkannt ist, sagt Christine Krampe.

Wie kann man den Erfolg von Inga messen? Drei von vier Klienten, die einen Job gefunden haben (76 Prozent), sind mehr als ein halbes Jahr später noch in Beschäftigung. „Nachhaltig integriert“ nennt Krampe das. Bei allen Arbeitslosengeld I-Empfängern zusammen liegt die Quote bei 70 Prozent.

24 von 3000 Beratern

Zur Lösung des Matching-Problems kann Inga aber schon allein aufgrund der Personalausstattung wenig beitragen: Zehn Berater-Kollegen und -Kolleginnen hat Krampe in Lichtenberg, in ganz Berlin sind es 24. Zum Vergleich: Reguläre Jobvermittler gibt es in den Berliner Arbeitsagenturen und Jobcentern rund 3000.

Ein Inga-Berater betreut rund 65 Arbeitssuchende. Auf der Liste eines Jobvermittlers stehen dagegen mehr als 200 Kund:innen. Besonders hoch ist die Arbeitsbelastung in den Jobcentern, die Ansprechpartner für Langzeitarbeitslose sind. Die Personalräte haben immer wieder auf die Belastung der Arbeitskräfte in den Jobcentern hingewiesen. Bei den Jobvermittlern geht es weniger als bei Inga um die persönliche Berufsentwicklung, sondern vor allem um Qualifikationsprofile, die zum Bedarf der Arbeitgeber passen sollen. Damit am Ende ein Match daraus wird.  

*Der Name wurde von der Redaktion geändert.

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