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Frida Henkel (M) klebt mit Sympathisantinnen ein Plakat der Bundeswehr mit dem von ihr abgeänderten Slogan «Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!» vor dem Kriminalgericht in Moabit an.

© dpa/Annette Riedl

Update

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Durchsuchung von Berliner Wohnung nach Adbusting-Aktion war unangemessen

Nach einer Hausdurchsuchung bei einer Berlinerin wegen einer Adbusting-Aktion klagte die Frau in Karlsruhe. Nun gab ihr das Bundesverfassungsgericht recht.

| Update:

Die Durchsuchung der Wohnung einer Berlinerin nach einer Adbusting-Aktion im Mai 2019, bei der sie ein verfremdetes Werbeplakat der Bundeswehr aufhängen wollte, war laut dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe unangemessen. Mit dem Beschluss vom 5. Dezember gab das Gericht der Frau recht, die in Karlsruhe gegen die Durchsuchung geklagt hatte. Das teilte das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag mit.

Die Anordnung der Durchsuchung sei unangemessen gewesen, weil die Schwere des Eingriffs nicht im Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck stehe, hieß es. Vor allem die fehlende Schwere der Taten, die geringe Wahrscheinlichkeit, die erhofften Beweismittel zu finden sowie deren untergeordnete Bedeutung für das Verfahren sprechen nach Ansicht des Gerichts gegen die Angemessenheit der Durchsuchungsanordnung. Die Frau sei durch die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts in ihrem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung verletzt worden, hieß es aus Karlsruhe.

Frida Henkel, die in Wirklichkeit anders heißt, war am 13. Mai 2019 von zwei Polizisten bei einer Adbusting-Aktion beobachtet worden. Beim Adbusting gestalten Aktivist:innen Werbeplakate um und verändern deren Botschaften auf satirische oder politische Weise.

Im konkreten Fall hatte Henkel im Neuköllner Schillerkiez einen Schaukasten geöffnet, um ein Werbeplakat der Bundeswehr gegen ein optisch ähnliches, aber bundeswehrkritisches Plakat auszutauschen. Darauf stand: „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“ Darunter prangten das Logo der Bundeswehr – ein weißes Kreuz auf blauem Grund – und in weißer Schrift auf pinkem Hintergrund die Worte: „Adbusting ist Meinungsfreiheit“. 

Die Polizisten unterbanden den Versuch und stellten das Werkzeug und das Plakat sicher. Im Juni 2019 stellte die Polizei dann weitere solcher Plakate fest. Nach Auffassung der Polizei bestanden Parallelen zu dem Fall von Henkel.

Das Amtsgericht ordnete daraufhin am 17. Juli 2019 eine Wohnungsdurchsuchung bei der Berlinerin an. Sie sei unter anderem des besonders schweren Falls des Diebstahls verdächtig, hieß es. Am 6. September des Jahres wurde der Durchsuchungsbefehl dann vollstreckt. Kurze Zeit später wurde das Verfahren gegen Henkel wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Beschwerde beim Landgericht Berlin zunächst erfolglos

Henkel legte gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde beim Landgericht Berlin ein. Diesen lehnte das Gericht am 24. August 2020 als unbegründet ab. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt, weil die Durchsuchung zur Untermauerung des Tatverdachts des versuchten Diebstahls und der Sachbeschädigung erfolgt sei, hieß es. Dem widersprach das Bundesverfassungsgericht nun.

Unsere wichtigste Argumentation war, dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen darf und die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten muss. Das sieht das Bundesverfassungsgericht genauso.

Mohamad El-Ghazi, Rechtswissenschaftler, der die Klägerin als Anwalt vertreten hat.

„Auf den konkreten Fall hat das Urteil keine direkten Auswirkungen, aber für uns ist natürlich wichtig, dass wir Recht bekommen haben“, sagte der Rechtswissenschaftler Mohamad El-Ghazi, der die Klägerin als Anwalt vertreten hat, dem Tagesspiegel. „Wir sind mit unseren Einwänden durchgedrungen. Unsere wichtigste Argumentation war, dass man nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen darf und die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten muss. Das sieht das Bundesverfassungsgericht genauso.“

Die Behörden dürften also keine drastischen Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen ergreifen, wenn es nur um maximal geringfügige Straftaten gehe, sagte El-Ghazi weiter.

Zu der Frage, ob Adbusting unter die Kunst- und Meinungsfreiheit fällt, hat das Gericht in Karlsruhe hingegen nicht entschieden. „Das hatten wir in unserer Beschwerde auch argumentiert und ich sehe zumindest Hinweise darauf, dass das Bundesverfassungsgericht das ähnlich sieht wie wir. Das Gericht hat aber auch darauf hingewiesen, dass die Kunst- und Meinungsfreiheit gegenüber einer möglichen Straftat abgewogen werden muss“, sagte El-Ghazi. Wichtig für die Klägerin sei vor allem, dass sie die Verfahrenskosten nun nicht tragen muss.

In der Szene der Aktivist:innen wird der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gefeiert. „Adbuster*innen können sich über diese Entscheidung freuen“, teilte die „Soligruppe plakativ“ am Donnerstag mit. „Dass Karlsruhe überhaupt darüber entscheiden musste, ob man wegen bundeswehrkritischen Postern Hausdurchsuchungen machen darf, ist ein Skandal! Das zeigt bereits, dass Kritik an Polizei und Bundeswehr dringend nötig ist“, sagte Frida Henkel laut Mitteilung.

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