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Der Görlitzer Park bei Nacht.

© Julius Geiler

Update

Doch keine Gruppenvergewaltigung?: Neue Beweise nähren Zweifel im Fall Görlitzer Park

Zum Prozessauftakt gegen drei Männer zu einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung in Berlin tauchen neue Beweise auf. Ein Anwalt spricht von einer Wende. Das ist auch politisch brisant.

| Update:

Der Fall verbreitete Schrecken: Die Staatsanwaltschaft Berlin wirft drei Drogendealern, alle abgelehnte Asylbewerber aus Afrika, vor, im Juni 2023 eine Gruppenvergewaltigung begangen zu haben. Das Opfer ist eine 27-jährige Georgierin. Die schwarz-rote Koalition nutzte den Fall für sich, der Senat beschloss bei einem Sicherheitsgipfel im September, den Görli einzuzäunen und 30 Millionen Euro für Repression und Prävention auszugeben. Zeitlich passend erhob die Staatsanwaltschaft drei Tage zuvor Anklage.

Doch nach dem Prozessauftakt am Donnerstag am Berliner Landgericht droht die bisherige Darstellung des Falls in sich zusammenzufallen. Angeklagt sind drei Männer aus dem Drogen- und Dealermilieu, alle sind abgelehnte Asylbewerber: der 22 Jahre alte Somalier Osman B., der 23-jährige Boubacar B. und der gleichaltrige Mountaga D. aus Guinea. Der Vorwurf: besonders schwere Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung und besonders schwerer Raub.

Doch Ende 2023, wenige Wochen vor der Verhandlung, tauchten neue Beweise auf, das Gericht ordnete bereits Nachermittlungen an. Es geht um ein Video, gefilmt mit einem Handy, sieben Sekunden lang.

Aus Sicht der Verteidigung stellt das eine Wende dar.

Eckart Fleischmann, Verteidiger

Nach Verlesung der Anklage und dem Ende des ersten Verhandlungstages erklärte Eckart Fleischmann, Anwalt des mutmaßlichen Haupttäters Osman B. zum Video: „Aus Sicht der Verteidigung stellt das eine Wende dar. Wir werden jetzt sehen, wie mit dem Material weiter umzugehen ist.“ Eine Wende sei es, „weil man möglicherweise auf dem Video anderes sieht, als bislang aktenkundig ist – und zwar Freiwilligkeit“.

Im Prozess wird das Video mit den Aussagen der Georgierin abzugleichen sein. Für die Anwälte der Angeklagten geht es um die Zuordnung von sexuellen Handlungen zu den jeweils gefundenen DNA-Spuren und inwiefern das Opfer jeweils unfreiwillig daran beteiligt war.

Gab es Ermittlungspannen?

Der Fund des Videos deutet auf eine mögliche Ermittlungspanne hin. Es habe sich auf dem Handy von Mountaga D. befunden. Sein Verteidiger fand es unter seinen im Gefängnis aufbewahrten Habseligkeiten. Die Polizei hatte es also über Monate nicht untersucht, jetzt aber die Authentizität des Videos festgestellt. Es sei noch zu klären, ob die Personen darauf zu identifizieren sind, sagte Fleischmann.

Zu sehen sein soll eine Frau, kniend beim Oralverkehr, umringt von mehreren Männern, einer filmt die Szenerie. Anhand der Bilder konnten Beamte des Landeskriminalamtes den genauen Tatort finden und die Szenerie rekonstruieren.

Das mutmaßliche Opfer Esmer T. soll auch als Zeugin geladen werden. Vertreten wird sie in der Nebenklage vom Berliner Opferbeauftragten Roland Weber. Er sagte zum Video: „Auf dem Video soll sich entlastendes Material befinden – das möchte ich zunächst erst prüfen. Ich kann auf dem kurzen Filmchen keine Person genau erkennen.“ Er müsse erst Rücksprache mit seiner Mandantin halten, die sich im Ausland befinde.

Nach bisherigem Stand wolle seine Mandantin anreisen. „Sie sagte, wenn sie als Zeugin geladen wird, werde sie als Zeugin aussagen.“ Zum Befinden seiner Mandantin sagte er: „Die physischen Verletzungen sind ausgeheilt, psychisch geht es ihr nach wie vor schlecht.“

Ob es angesichts der neu aufgetauchten Beweise dabei bleibt, dass Esmer T. nach Berlin kommt, wird sich nun zeigen. Es sei noch offen, sagte der Vorsitzende Richter Thilo Bartl. Er hoffe, dass sich das bis zum nächsten Verhandlungstag am Dienstag klärt.

Anwalt Christian Zimmer sagte im Prozess über seinen angeklagten Mandanten Mountaga D.: „Er ist zeitlich deutlich vor dem in der Anklage genannten Zeitpunkt auf die beiden Hauptzeugen getroffen. Die Interaktion zwischen ihm und diesen Zeugen war zu jedem Zeitpunkt einvernehmlich.“ Die Anklage beruhe „auf unvollständigen Ermittlungen und von Beginn an lückenhaften, teilweise widersprüchlichen, in wesentlichen Punkten gar falschen Zeugenaussagen“, sagte Zimmer. „Wir stellen fest: Herr D. hat niemanden vergewaltigt, er hat niemanden geschlagen, er hat niemanden beraubt.“

Widersprüche in Aussagen, Rückkehr nach Georgien

Sollte sich im Laufe der weiteren Verhandlungstage herausstellen, dass Esmer T. und ihr Mann doch nicht anreisen und sogar von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, könnten die Angeklagten frei gelassen werden. Auch das Paar selbst könnte ins Visier der Ermittler geraten.

Das Problem an dem Fall: Die Anklage beruht vor allem auf Aussagen der Georgierin, die sich teils widersprachen, so bei der Täterbeschreibung oder der Gewalt gegen ihren Mann. Zudem sah sich Esmer T. nach ersten Befragungen für weitere außerstande. Sie reiste mit ihrem Mann Oleg T. zurück nach Georgien und war für die Ermittler dort schwer zu erreichen. Dabei hätten sie dank der EU-Opferschutzrichtlinie in Deutschland Anspruch auf psychosoziale Begleitung und sogar auf einen sicheren Aufenthalt in Deutschland bis zum Abschluss des Verfahrens.

Die Angeklagten – Aliasidentitäten, Drogen und Gewalt

Ins Wanken geraten könnte auch die Anklage, für die Staatsanwaltschaft war die Sache bislang klar. Die 27-jährige Studentin Esmer T., Mutter zweier Kinder, und ihr Ehemann Oleg T. waren am 21. Juni gegen 5 Uhr im Park unterwegs, kauften dort Kokain, wurden intim. Mehrere Dealer sollen das Paar umringt haben. Zwei sollen Oleg T. mit Stöcken traktiert und 1200 Euro aus seiner Bauchtasche gestohlen, andere sich an der Frau vergangen haben. Von Osman B., der die Tat bestreitet, wurden Spermaspuren im Körper des Opfers gefunden, von den anderen beiden auf ihrem Slip.

Osman B., seit 2016 mit zehn weiteren Aliasidentitäten in Deutschland, ist bei der Polizei mit Drogendelikten, Gewalttaten, Raub und Diebstahl bekannt. Im Bundeszentralregister gibt es sieben Einträge, zwei Verfahren wegen gefährlicher Gewaltdelikte wurden in Sachsen-Anhalt nach Jugendrecht eingestellt.

Die anderen beiden schweigen zur Tat. Boubacar B., 23 Jahre alt, seit 2017 in Deutschland mit vier Aliasidentitäten und erloschener Aufenthaltsgestattung, hat neun Einträge im Bundeszentralregister. Er ist als Brennpunkttäter eingestuft, soll regelmäßig Marihuana und Kokain konsumiert haben und ist mehrfach wegen Drogenhandels verurteilt.

Mountaga D. lebte im betreuten Wohnen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, sein Aufenthalt aber geduldet. Er fiel mit Gewaltdelikten und Drogenhandel auf, Staatsanwaltschaft und Justiz sahen von einer Strafverfolgung wegen Geringfügigkeit ab.

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