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Sieht so die Stadt der Zukunft aus? Die Baustelle der Europacity am Hauptbahnhof.

© imago images/Dirk Sattler

Tagesspiegel-Diskussion in der Urania: Bausenator Geisel beharrt auf Berlins Bauzielen – Architektenchefin nennt sie unrealistisch

Um die Mischung zu erhalten, sieht Andreas Geisel keine Alternative zum Bau von 20.000 Wohnungen jährlich. Theresa Keilhacker fordert den Verzicht auf Abriss und neue Nutzungen.

Verständnis für das Dilemma des Bausenators hatte die Chefin der Architektenkammer Theresa Keilhacker schon: „Nach den Stückzahlen wird man politisch gemessen - da kann man nur verlieren.“ Zumal der Wohnungsbau in Berlin zum Erlahmen kam, zunächst durch den Abriss von Lieferketten infolge der Pandemie und seit Februar außerdem durch Russlands Angriffskrieg. „Wir haben ein Ressourcenproblem und bekommen jetzt erst mit, wie viel aus Russland und der Ukraine kam“, sagte Keilhacker am Mittwochabend bei einer Tagesspiegel-Debatte zur Stadt der Zukunft in der Urania.

Wegen der neuen Lage werde „in allen Gremien gesagt, dass diese Zahlen völlig unrealistisch sind“, beharrte Keilhacker. 20.000 Wohnungen jährlich will der Senat bauen lassen, zehn Jahre lang. Ein Teil des gewaltigen Drucks lastet auf den landeseigenen Firmen. Und diese lösen das Problem Keilhacker zufolge auf kreative Weise: „Sie bauen nur noch kleine Microappartments, um die Stückzahlen zu erreichen.“ So werde die viel beschworene Mischung in den Quartieren nicht erreicht.

Geisel kritisiert das Schwanken der Linken

Um die Mischung geht es auch Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD), der die Zahlen erreichen muss. Wenn es nicht Zustände wie in München geben solle, wo Durchschnittsverdiener im Umland leben und stundenlang zu ihren Arbeitsplätzen in die Stadt pendeln müssen, sei Neubau in Stückzahlen eben erforderlich. Zumal die Pandemie vorbei sei und die Stadt infolge des russischen Angriffskrieges allein um 55.000 Geflüchtete gewachsen ist. So viele Menschen aus der Ukraine haben dauerhaften Aufenthaltsgenehmigungen beantragt. Deshalb reaktiviere der Senat „Tempohomes“ am Columbiadamm. Eine Dauerlösung sei das nicht - ebenso wenig wie die Unterbringung auf der Couch bei Berlinerinnen und Berlinern mit viel Gastfreundschaft. „Irgendwann wollen die auch ihre Couch zurück.“

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Von „Verantwortung übernehmen und Dinge vorantreiben“, sprach Geisel wiederholt. Und dass er sich „nicht wegducken“ wolle. Dass die Bauziele auch innerhalb der Koalition infrage gestellt werden, etwa durch die Linke, wie Moderator und Tagesspiegel-Autor Robert Ide betonte, sieht Geisel gelassen: Er verwies auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, wonach Neubau „Vorrang“ habe. Und dass die Linke sich zur Koalition bekenne - bisher jedenfalls . „Man kann nicht nach fünf Monaten Koalition sagen: So war das nicht gemeint gewesen.“

Hier können Sie die ganze Debatte noch einmal online sehen:

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Dass der Bausenator sich in der Gegenwart mit Zielkonflikten der Zukunft herumschlagen muss, „den Klimaschutz und die Bezahlbarkeit von Wohnraum zu versöhnen“, kommt noch dazu. Zumal die Architektenkammer seit dem Amtsantritt von Keilhacker ihren Schwerpunkt auf Nachhaltigkeit und die Schonung von Ressourcen, kurzum den Klimaschutz legt.

Immerhin gibt es Projekte, bei denen neuer Beton aus altem Bauschutt genutzt wird, so Keilhacker, etwa bei der Schulbauoffensive. Und Geisel berichtete über den Bau von 1000 Wohnungen am alten Güterbahnhof Wilmersdorf, die aus recyceltem Beton entstehen und bis zu acht Geschosse hoch sind.

Andreas Geisel war schon einmal Bausenator und muss nun die Stadt nachhaltig entwickeln.
Andreas Geisel war schon einmal Bausenator und muss nun die Stadt nachhaltig entwickeln.

© Sven Darmer

Die CO2-Ziele im Wohnungsbestand seien allerdings nicht durch das „Ankleben von Wärmedämmung“ zu erreichen. Wirksamer sei der Einsatz Co2-freier Wärme in den Quartieren. Wie stark die Ressourcen durch den Abriss von Häusern immer noch belastet werden, betonte Keilhacker und nannte ein Jugendzentrum in Moabit. Das werde ausgerechnet von einer Landesfirma abgerissen, um neue Wohnungen zu bauen - und sie appellierte an Geisel, bei den eigenen Firmen für mehr Sensibilität gegen den Abriss zu werben.

Theresa Keilhacker legt als Präsidentin der Architektenkammer mehr Wert auf Klimaschutz.
Theresa Keilhacker legt als Präsidentin der Architektenkammer mehr Wert auf Klimaschutz.

© Sven Darmer

Der Bausenator zeigte sich aufgeschlossen, führte aber als Gegenbeispiel den Jahn-Sportpark in Prenzlauer Berg an. Dies am meisten besuchte Sportfläche Berlins müsse wegen dem Brandschutz und der nicht inklusiven Anlagen eigentlich abgerissen werden. „Unsere Bauexperten sagen mir, dass der Abriss kommen wird.“ Keilhacker hielt dagegen: Der nun laufende Wettbewerb werde schon Ideen hervorbringen, wie auch ohne Abriss die Sanierung möglich sei. Dass aber schon „große Widerstände“ überwunden werden mussten, allein um im Wettbewerb den Erhalt wenigstens von Teilen der Anlage durchzusetzen, zeige, was im Argen liege.

Einigkeit herrschte darin, dass wesentlich mehr Wohnungen gebaut werden könnten, wenn es zeitgemäßere Bebauungspläne gäbe. Vor allem im Westen der Stadt sei die Dichte deshalb gering. „Das können wir uns nicht mehr leisten“, sagte Geisel. Einfamilienhäuser neu zu bauen sei „das unökologischste, was wir tun können“. Er kündigte an, die Bebauungspläne dahingehend zu überprüfen, die eine lockere Bebauung etwa in Reinickendorf und Steglitz-Zehlendorf vorsehen würden. „Solche Bebauungspläne können wir uns nicht mehr leisten“, sagte Geisel.

Da wäre jetzt mal der Westteil der Stadt dran.

Architektenkammer-Chefin Theresa Keilhacker über die Nachverdichtung in Berlin

Keilhacker sieht in der ungerechten Bauplanung auch ein Grund dafür, dass im Osten der Stadt mehr gegen neue Projekte protestiert wird. Dort sei es leichter die Quartier nachzuverdichten. „Da wäre jetzt mal der Westteil der Stadt dran.“

Auf der Suche nach Ideen für ICC und Flughafen Tempelhof

Verbal druckte sich Geisel dann doch weg bei einem der Dauerärgernisse in Berlin: Den vor sich hingammelnden Großbauten ICC und Tempelhofer Flughafen-Gebäude. Keilhacker zufolge liegt das Problem darin, dass der Senat nicht ausreichend Geld in die Instandsetzung investiert. Dadurch können große Teile der Flächen nicht vermietet werden.

Am Ende des Verfalls drohe dann der Abriss. „Die Kritik beim ICC stimmt“, sagte Geisel zwar. Aber eben auch, dass es keine Nutzungsidee gebe. Dass die Kosten der Sanierung hoch seien. Und dass Berlin auch auf die „Wirtschaftlichkeit bei Großprojekten“ achten müsse, weil es Geld eben auch für viele andere Aufgaben brauche.

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Nach eineinhalb Stunden gab es dann noch einen letzten Streit auf der Bühne über die „Schulbauoffensive“, die Geisel auf gutem Wege sieht, während Keilhacker die Neuordnung des Projektes unter einer Landesfirma als verzögernden Hemmschuh ansieht. Viele Fragen des Publikums im Saal der Urania und online am Livestream zeigten ein hohes Bedürfnis nach Beteiligung der neuen Stadt - und ein anregender Abend kam zum Abschluss.

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