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Die Predigten zu den Weihnachts-Christmessen sind „Prime Time“ für die Pfarrer.

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Die U-Boot-Christen: Nur Heiligabend beim Gottesdienst – ist das scheinheilig?

Alle Jahre wieder – Weihnachtskirchgänger sind die Erfolgsfans des Christentums. Oder doch nicht? Unsere Autoren sind sich uneinig.

Bei der Kirche ist es wie bei vielen gesellschaftlichen Institutionen: Sie basiert auf dem Prinzip von Geben und Nehmen. Wer ihre Angebote nutzen will, sollte auch jenseits von Weihnachten seinen Beitrag zu ihr leisten. So wie man als arbeitender Bürger regelmäßig Steuern zahlt, um staatliche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen oder seine Krankenkassenbeiträge abführt, um im Notfall abgesichert zu sein. Wer nur einmal im Jahr in die Kirche geht, um sich in Festtagsstimmung bringen zu lassen, ansonsten aber keinen Beitrag zu dieser Organisationsform von Religion leistet, verkennt ihre Grundidee.

Denn Kirche ist nicht nur ein Synonym für Gotteshaus, sondern meint auch die Gemeinschaft der Christen, das „Volk Gottes“, wie es im kirchlichen Selbstverständnis heißt. Wer sich dem zugehörig fühlt, hat an 365 Tagen im Jahr viele Möglichkeiten, das zu unterstützen, von der Zahlung der Kirchensteuer über das Engagement in der Gemeinde bis hin zu regelmäßigen Gottesdienstbesuchen. Wer mit der Kirche bis auf diesen einen Tag im Jahr nichts zu tun hat und dann Weihnachten plötzlich mit gefalteten Händen auf engen Kirchenbänken sitzt, praktiziert etwas, das schon die Autoren der Bibel sehr kritisch sahen: Scheinheiligkeit.

Frohe Botschaft: Die Kirche ist kein Zahnarzt. Man muss nicht schlechten Gewissens Ende Dezember in die Praxis hetzen, um noch schnell das Bonusheft stempeln zu lassen. Selbst wer letztes Jahr geschwänzt hat, bleibt sanktionsfrei. Zum Glück. Sind Weihnachtskirchgänger die Erfolgsfans der Christenheit? Nach strikter Institutionslogik kann man das so sehen. Aber erstens glaubt jeder Mensch anders; mancher braucht die Kanzel, der andere bloß sich selbst. Zweitens war dieses Fest nie rational, es ist gebaut auf dem sentimentalen Ritus des Einmaljährlichen.

Wer nur heute zum Gottesdienst geht, will keine Absolution, sondern innehalten in der Schönheit des stillsten Moments im Jahr, den man sich nicht verdienen muss. Man muss nicht mal Christ sein. Der Atheist darf schamlos ein Tränchen vergießen, wenn eine einzige Kerze durchs dunkle Kirchenschiff schwebt und hundert Stimmen „Es ist ein Ros entsprungen“ singen. Was dem Seelenfrieden genügt, muss eh jeder mit sich selbst ausmachen – oder mit dem, von dem die ganzen Lieder handeln.

Es gibt, wie mir ein befreundeter Ex-Pfarrer berichtet, in den Gemeinden einen Begriff für all die Leute, die nun zu den Festtagen ihren Glauben wiederentdecken und in die Kirchen strömen: U-Boot-Christen. Sie tauchen Weihnachten auf und dann den Rest des Jahres wieder ab. Nicht wenige regelmäßige Kirchgänger sind genervt von dieser Unverbindlichkeit. Mit ihrer eigenen Vorstellung von Glaube hat das nichts zu tun. Aber ist es deswegen verwerflich? Aus Sicht der Kirchen sicher nicht. Die Wahrheit ist: Vermutlich sind die U-Boot-Christen längst in der Mehrheit. Das Weihnachtsfest ist für sie einer der letzten Ankerpunkte, die sie mit der Kirche noch verbinden – und sei es nur aus Liebe zum Ritual, nicht aus dem Glauben heraus.

Mein Freund, der ehemalige Pfarrer, kann darin aus zweierlei Gründen nichts Schlechtes erkennen. Rituale geben Halt, gut, wenn die Kirche den bieten kann. Und die Predigten zu Weihnachten, sagt er, sind für ihn die „Prime Time“. Gelingen sie, kann der Funke überspringen – auch und gerade bei jenen, die aus rein weltlichen Gründen zum Gottesdienst kamen.

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