zum Hauptinhalt
Eine israelische Flagge hängt im Kibbuz Kfar Azza in der Nähe des Gazastreifens zwischen zerstörten Häusern.

© dpa/Leo Correa

Codename „Jericho Mauer“: Israel wusste wohl seit über einem Jahr von Hamas-Plänen

Israelische Sicherheitsbehörden kannten einem „New York Times“-Bericht zufolge den Schlachtplan der Hamas. Sie hielten seine Umsetzung aber für zu schwierig und ignorierten Warnungen.

Das Dokument beginnt mit einem Zitat aus dem Koran: „Überrasche sie durch das Tor. Wenn ihr das tut, werdet ihr sicher siegen.“ Was dann folgte, war ein bis ins Detail skizzierter Schlachtplan, wie die islamistische Hamas Israel angreifen will.

Dieser Plan und weitere Hinweise lagen Israel laut einem Bericht der „New York Times“ mehr als ein Jahr vor dem Großangriff der Hamas am 7. Oktober vor. Es gab demnach einen umfassenden Austausch israelischer Behörden zu einem Dokument mit dem Codenamen „Jericho-Mauer“, das auf 40 Seiten einen Gefechtsplan der Hamas beschrieb.

Das Dokument, das von der New York Times eingesehen wurde, nannte kein genaues Datum für den Angriff, vielmehr skizzierte es einen Ablauf: Dieser zielte darauf ab, die Befestigungen um den Gazastreifen zu überwältigen, israelische Städte einzunehmen und wichtige Militärstützpunkte zu stürmen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Der Plan soll bis ins Detail dem Angriff geähnelt haben, den die Hamas-Terroristen Anfang Oktober aus dem Gazastreifen heraus ausführten. Er sah etwa einen Beschuss mit Raketen zu Beginn des Angriffs vor, Drohnen sollten die Sicherheitskameras und automatischen Maschinengewehre entlang der Grenze ausschalten. Bewaffnete würden beauftragt, mit Gleitschirmen, auf Motorrädern und zu Fuß nach Israel einzudringen. So ist es dann auch am 7. Oktober passiert.

Am Himmel sind Raketen zu sehen, die am 7. Oktober in Richtung Israel fliegen.

© picture alliance/dpa/Mohammed Talatene

Zudem enthielt das Dokument auch Einzelheiten über den Standort und die Größe der israelischen Streitkräfte, Kommunikationsknotenpunkte und andere sensible Informationen. Dies wirft nun Fragen darüber auf, wie die Hamas ihre Informationen sammelte und ob es undichte Stellen im israelischen Sicherheitsapparat gab.

Von israelischen Militär- und Geheimdienstmitarbeiter sei das Szenario um den Großangriff damals als zu anspruchsvoll und schwierig in der Ausführung für die Hamas abgetan worden, berichtet die US-Zeitung. „Es ist noch nicht möglich, festzustellen, ob der Plan vollständig akzeptiert wurde und wie er umgesetzt werden wird“, heißt es in einer Einschätzung, die von der New York Times eingesehen wurde.

Im Juli folgte die zweite Warnung

Eine weitere Warnung kam dann Anfang Juli, knapp drei Monate vor dem Anschlag: Eine erfahrene Analytikerin der Einheit 8200, der israelischen Streitkräfte zur Fernmelde- und elektronischen Aufklärung, berichtete dem israelischen Nachrichtendienst, dass die Hamas eine intensive, eintägige Trainingsübung durchgeführt hatte, die dem Plan ähnlich zu sein schien.

Zu den Übungen gehörten etwa der Abschuss israelischer Flugzeuge und die Eroberung eines Kibbuz und einer militärischen Ausbildungsstätte, wobei alle Kadetten getötet werden sollten. 

Es ist ein Plan, der darauf abzielt, einen Krieg zu beginnen.

Eine Analystin der Einheit 8200

Ein Oberst in der Gaza-Division wies ihre Bedenken allerdings als „völlig fantasievolle“ Szenarios zurück und befand: „Wir sollten geduldig abwarten“. Das geht aus einem verschlüsselten E-Mail-Austausch hervor. Die Analystin wiederum konterte ihm und warnte: „Ich weise entschieden zurück, dass das Szenario imaginär ist.“ Die Hamas-Übung entspreche voll und ganz „dem Inhalt der Jericho-Mauer“.

„Es ist ein Plan, der darauf abzielt, einen Krieg zu beginnen“, fügte sie hinzu. „Es handelt sich nicht nur um einen Überfall auf ein Dorf“.

Die israelischen Streitkräfte wurden von den massiven Angriffen überrascht.

© REUTERS/RONEN ZVULUN

Das israelische Militär und der israelische Sicherheitsdienst, der für die Terrorismusbekämpfung in Gaza zuständig ist, lehnten eine Stellungnahme gegenüber der New York Times ab.

Die Kühnheit des Plans, sagten wiederum andere Beamte dem US-Blatt, machte es leicht, ihn zu unterschätzen. Alle Militärs schreiben Pläne, die sie nie umsetzen, und israelische Beamte schätzten, dass die Hamas, selbst wenn sie einmarschieren würde, nur ein paar Dutzend Soldaten aufbieten könnte und nicht die Hunderte, die schließlich angriffen.

Auch eine andere Aktion wurde im Vorfeld unterschätzt: Die Hamas hatte über Genehmigungen verhandelt, die es Palästinensern ermöglichen sollten, in Israel zu arbeiten. Dies wurde von israelischen Beamten als Zeichen dafür gewertet, dass die Hamas wohl keinen Krieg planen würde.

„Natürlich war es ein Versagen“

Von Seiten der Regierungsspitze wurde mittlerweile Versagen eingeräumt. „Es gibt keinen Zweifel, dass der Angriff vom 7. Oktober ein Versagen unsererseits war. Natürlich war es ein Versagen“, sagte Israels Regierungssprecherin Tal Heinrich in Bezug auf den Bericht dem US-Sender CNN in der Nacht zum Freitag.

Israel werde das Geschehene genau untersuchen und daraus lernen. Auf die Frage, inwiefern Israels Premier Benjamin Netanjahu von dem Angriffsszenario gewusst beziehungsweise die Dokumente gelesen habe, sagte Heinrich: „Wir werden Untersuchungen anstellen. Der Ministerpräsident hat auch darüber gesprochen. Wenn es an der Zeit ist, wird er mehr sagen.“ (Mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false