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Eigentlich hat Meloni keine Fehler gemacht, vor allem in Europa. Findet Oppositionschef Enrico Letta

© imago/Palazzo Chigi Press Office

Beifall für die falsche Seite: Italiens Sozialdemokraten streiten über Meloni

Der scheidende Chef der Sozialdemokraten findet Giorgia Meloni „besser als erwartet“. Die Partei ist entsetzt. Doch der Streit sagt mehr über sie selbst als über die Regierungschefin.

Enrico Letta, der glücklose Chef der italienischen Sozialdemokraten, tritt in ein paar Tagen ab. Doch auf den letzten Metern hat er seinem Partito Democratico (PD) noch ein vergiftetes Kompliment spendiert – und das nicht einmal an die Adresse der eigenen Leute. Er lobte vielmehr Ministerpräsidentin Giorgia Meloni.

In einem Gespräch mit dem Italien-Korrespondenten der New York Times bescheinigte er Meloni, die auch die postfaschistische Partei “Fratelli d’Italia” führt, sie sei „stark“, das sei Realität. Sie habe ihre Aggression gegen Europa aufgegeben, halte sich an die Regeln und vermeide Fehler.

In Wirtschafts- und Finanzfragen regiere sie „besser als erwartet“. Noch im Wahlkampf hatte Meloni dem Sozialdemokraten Machismo vorgeworfen, als er von ihr sagte, sie habe sich lediglich zur Demokratin umgeschminkt. Diesmal hüllte sie sich über Lettas Betragensnoten in Schweigen.

Dafür wurde es in Lettas Partei laut. Als auch noch Stefano Bonaccini, der aussichtsreiche Kandidat für Lettas Nachfolge, ergänzte, Meloni sei “fähig” und “keine Faschistin”, reichte es einigen im PD. Bonaccinis Rivalin Elly Schlein, von der sich ihre Unterstützer:innen ein Ende der jahrelangen Biegsamkeit nach rechts erwarten, hielt sich zwar zurück.

Der PD ist zerrissen, seit es ihn gibt

Wütend wurde dagegen der frühere Sozialminister Andrea Orlando: Der PD geißle zurecht die Politik der Rechtsregierung zugunsten von Steuerhinterziehen und großen Vermögen, die Belastung der Armen und mittlerer Einkommen, eine unmenschliche Migrationspolitik und kürzlich den Geheimnisverrat durch einen Justizstaatssekretär, donnerte Orlando; “Wie kann man zugleich sagen, sie sei fähig – fähig wozu? – und besser als erwartet?”

Keine Aufregung gab es offenbar über eine weitere Einschätzung von Letta. Mit der New York Times sprach er auch über mögliche Pläne Melonis, ein neues rechtes Machtzentrum in Europa aufzubauen, an der Seite von Ungarns Premier Orbán. Das sei aber politisch alarmierend, „kein demokratischer Alarm“, wird Letta zitiert.

Meloni hat sich in Wirtschafts- und Finanzfragen besser verhalten, als wir erwartet hatten. In der EU hält sie sich an die Regeln und vermeidet Fehler.

Enrico Letta, sozialdemokratischer Parteichef

Die Auseinandersetzung wirft erneut ein Licht auf den Riss im PD, quasi ein Geburtsfehler der Partei. Sie entstand Jahre nach Auflösung der beiden stärksten Parteien der Ersten Republik, der kommunistischen und der Christdemokratie, aus Resten beider. Richtungskämpfe, die sich aus dieser programmatischen Unentschiedenheit ergaben, haben sie immer wieder gelähmt.

Zugleich war die Partei in den letzten zehn Jahren bis auf fünfzehn Monate immer an der Regierung beteiligt, oft stellte sie die Premiers. In dieser Zeit verlor sie weite Teile ihrer Wählerschaft. Bei den Parlamentswahlen im September, die Giorgia Meloni ins Amt brachten, unterbot sie mit nicht einmal 19 Prozent noch einmal das Rekordminus, das sie vier Jahre zuvor eingefahren hatte.

Die neunte Parteiführung in 15 Jahren

Während das rechte Lager das kuriose Parteikonstrukt PD immer noch als links oder sogar kommunistisch beschimpft, lautet die Kritik von links, der PD vertrete viel eher die Interessen von Industrie und Kapital als die der gesellschaftlichen Mehrheit.

Auch Italiens Sozialdemokraten hatten inzwischen ihren Hartz-IV-Moment: Letta gestand offen ein, dass die Arbeitsmarktgesetze des früheren PD-Premiers Matteo Renzi und der Abbau des Kündigungsschutzes wohl ein Fehler waren.

Renzi, selbst einige Jahre lang sozialdemokratischer Parteichef, hat sich längst selbständig gemacht und Meloni seinerseits mehr als einmal gelobt – was den Verdacht nährt, er stehe mit seiner Kleinpartei als Ersatz bereit, sollte einer von Melonis Koalitionspartnern abspringen.

Die Regionalwahlen am Wochenende, bei denen Melonis Rechtsbündnis trotz Stimmverlusten erneut triumphierte, kostete den PD weitere Zustimmung, wenn auch nicht so massiv wie die anderen Parteien links der Rechten.

Entsprechend irritiert nahm Italiens öffentliche Meinung den neuesten Krach im Hause PD auf: Statt sich zu fragen, warum seit der Parlamentswahl schon wieder ein paar hunderttausend Stimmen verlorengegangen seien, „verbringen sie den Tag damit, über Giorgia Meloni zu streiten”, wunderte sich der Corriere della sera.

Am 26. Februar soll in Vorwahlen, in denen die neue Führung bestimmt wird, die  Richtungsfrage gleich mitgeklärt werden. Wieder einmal. Der oder die nächste Vorsitzende wird die Nummer neun auf diesem Posten sein in den fünfzehn Jahren seit Gründung der Partei.

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