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In einer Autowaschanlage in Nazareth wurden Anfang Juni fünf Menschen erschossen. Israels Polizei soll nun Unterstützung vom Geheimdienst bekommen, um die Kriminalität zu bekämpfen.

© AFP/AHMAD GHARABLI

„Mit harter Hand für Ordnung sorgen“: Israel will Geheimdienst gegen Kriminelle einsetzen

Die Mordrate in Israels arabischer Minderheit ist aktuell so hoch wie nie. Nun soll der Geheimdienst der Polizei im Kampf gegen die Kriminalität helfen. Ein Plan, der im Land für Aufregung sorgt.

Die Mordrate in Israels arabischer Minderheit hat einen neuen Höchststand erreicht: 103 Menschen kamen seit Anfang des Jahres durch innerarabische Gewalt ums Leben – fast genauso viele wie im gesamten Vorjahr (116).

Allein fünf Menschen wurden Anfang Juni in einer Autowaschanlage in der nordisraelischen Stadt Yafa Al-Naseriye erschossen, Berichten zufolge im Zusammenhang mit einer Fehde zweier krimineller Gangs.

Am selben Tag wurden ein 30-Jähriger und seine dreijährige Tochter nahe Nazareth angeschossen und ernsthaft verletzt. Einen Tag später erschossen Unbekannte ebenfalls im Norden des Landes eine 18-jährige Frau.

Das Problem wird seit Jahren vernachlässigt

Dass Israels arabische Minderheit, die etwa ein Fünftel der Bevölkerung ausmacht, unter hohen Kriminalitätsraten leidet, ist nichts Neues; seit Jahren schon werfen arabische Politiker und Aktivisten dem Staat vor, das Problem zu vernachlässigen.

Wir sind entschlossen, dieses bedauerliche Phänomen zu bekämpfen, insbesondere den Kopf der Schlange – die kriminellen Organisationen.

Benjamin Netanjahu, israelischer Pämierminister

Doch in den vergangenen Wochen ist die Gewalt noch einmal eskaliert – derart, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nun zu einem umstrittenen Mittel greifen will: Der Inlandsgeheimdienst Shin Bet, eigentlich für nationale Sicherheit zuständig, soll die Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung im arabischen Sektor unterstützen.

„Wir sind entschlossen, dieses bedauerliche Phänomen zu bekämpfen, insbesondere den Kopf der Schlange – die kriminellen Organisationen“, sagte Netanjahu am Sonntag. Seine Regierung habe bereits die Zuwendungen an die Polizei erhöht, damit diese neue Beamte einstellen und trainieren könne. Doch das brauche Zeit, „und wir haben keine Zeit.“ Der Shin Bet müsse deshalb „sofort“ eingreifen.

„im Geheimen, ohne Aufsicht oder Transparenz“

Es ist nicht der erste Vorstoß dieser Art. Die vorherige Koalition, zu der linke, rechte und arabische Kräfte gehörten, hatte die Kriminalitätsbekämpfung im arabischen Sektor zu einem ihrer wichtigsten Projekte erklärt; und das Komitee für die Bekämpfung von Gewalt und Kriminalität im arabischen Sektor beschloss Ende 2021, Shin-Bet-Agenten in bestimmten Bereichen einzusetzen, die die nationale Sicherheit berühren und deshalb vom Mandat des Dienstes gedeckt sein könnten, etwa bei der Bekämpfung des Waffenschmuggels.

Schon zu jenem Zeitpunkt warnte die arabisch-israelische Nichtregierungsorganisation Adalah (Arabisch für „Gerechtigkeit“), der Shin Bet agiere „im Geheimen, ohne Aufsicht oder Transparenz“ und dürfe deshalb „nicht mit zivilen Aufgaben betraut werden“.

Nun will Netanjahu die Beteiligung des Dienstes am Kampf gegen die Gewalt offenbar noch ausweiten. Obgleich noch keine Details feststehen, wird auch dieser Vorstoß von erheblicher Skepsis begleitet: Bei einer kurzfristig zu diesem Thema einberufenen Sitzung vergangene Woche soll ausgerechnet der Chef des Inlandsgeheimdienstes selbst, Ronen Bar, Vorbehalte angemeldet haben.

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu wies den Direktor des Nationalen Sicherheitsrates an, Vorschläge zu machen, wie der Geheimdienst im Kampf gegen die Kriminalität konkret eingesetzt werden kann.

© imago/UPI Photo/IMAGO/DEBBIE HILL

„Das kann der Organisation schaden“, soll er israelischen Medienberichten zufolge gewarnt haben, die sich wiederum auf anonyme Leaks beziehen. „Wir können der Polizei helfen, aber das sollte nicht unsere Aufgabe sein. Es wird uns Ressourcen kosten.“

Mit harter Hand für „Ordnung“ sorgen

Auch Israels Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara soll den Plan kritisiert haben. Für den erweiterten Einsatz des Geheimdienstes müsse zunächst dessen gesetzliches Mandat verändert werden, und dies würde die Demokratie schädigen.

Dennoch will Netanjahu das Vorhaben offenbar vorantreiben: Er hat den Direktor des Nationalen Sicherheitsrates, Tzachi Hanegbi, angewiesen, bis zu einer weiteren Sitzung in der folgenden Woche Empfehlungen zum Einsatz des Dienstes zu formulieren.

Ihn braucht Netanyahu für seine Regierungskoalition: Itamar Ben-Gvir, Minister für Sicherheit und Politiker der rechtsextremen Partei „Jüdische Stärke“.

© Reuters/Nir Elias

Die Kriminalitätsbekämpfung fällt in den Aufgabenbereich des Ministers für nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, welcher der rechtsextremen Partei Jüdische Stärke vorsitzt und selbst wegen araberfeindlicher Hetze und Unterstützung einer jüdischen Terrororganisation vorbestraft ist.

Ben-Gvir hatte seinen Wahlkampf mit dem Versprechen bestritten, mit harter Hand für „Ordnung“ zu sorgen und zu zeigen, „wer Herr im Haus“ ist; und in den vergangenen Monaten soll er hochrangige Polizeibeamte mehrfach zu einem härteren Vorgehen gegen die Demonstranten aufgefordert haben, die im Wochentakt gegen die umstrittene geplante Justizreform der Regierung auf die Straße gehen.

In der Debatte über Kriminalität im arabischen Sektor jedoch ist von ihm bislang wenig zu hören. Und manche Sicherheitsexperten halten Ben-Gvir, dem eine chaotische und unprofessionelle Führung vorgeworfen wird, gar für einen „zentralen Teil“ des Problems, wie es in einem Brief heißt, den sechs frühere Polizeichefs kürzlich an Netanjahu adressierten.

Dieser dürfte jedoch trotz aller Schwierigkeiten an der umstrittenen Personalie festhalten: Schließlich braucht er Ben-Gvir für den Erhalt seiner Koalition.

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