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Walerij Saluschnyj.

© dpa/AP/Ukrainian Presidential Press Office/Uncredited

Ukraine-Invasion Tag 492: „Es kotzt mich an“ – Ukrainischer Armeechef gibt Wut-Interview

BND leitet nach Wagner-Aufstand interne Untersuchung ein, Rosatom-Mitarbeiter verlassen AKW Saporischschja. Der Überblick am Abend.

Das hatte sich die Reporterin der US-Zeitung „Washington Post“ sicher auch etwas anders vorgestellt, als sie den Chef der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, in seinem Büro in Kiew besuchte. Statt eines aufgeräumten Gesprächs wurde Isabelle Khurshudyan mit einer Wutrede konfrontiert (hier der Originaltext bei der „Washington Post“).

Gegen wen genau sich Saluschnyjs Ärger richtet, wird nicht ganz klar, aber eingrenzen lässt es sich: Gegen die Regierungen im Westen, die so zögerlich bei ihren Waffenlieferungen sind und gleichzeitig offensichtliche militärische Wunder vom ukrainischen Militär erwarten. Namen nennt der General keine. 

Hier eine Zusammenstellung der zentralen Aussagen – und Anschuldigungen: 

  • Über großflächige Rückeroberungen sagt er: „Ohne eine vollständige Ausrüstung sind diese Pläne eigentlich überhaupt nicht durchführbar. Aber sie werden durchgeführt. Ja, vielleicht nicht so schnell, wie es die Teilnehmer der Show, die Beobachter, gerne hätten, aber das ist ihr Problem.“
  • Während die wichtigsten westlichen Unterstützer Kiews niemals eine Offensive ohne Luftüberlegenheit starten würden, habe die Ukraine immer noch keine modernen Kampfflugzeuge erhalten. Aber es werde erwartet, dass sie rasch Gebiete von den russischen Besatzern zurückerobere.
  • „Es ist keine Show, bei der die ganze Welt zuschaut und Wetten abschließt oder so etwas. Jeder Tag, jeder Meter wird mit Blut gespendet“, sagt er über die Gegenoffensive. 
  • „Es kotzt mich an“, antwortet er, wenn er auf die eher langsamen Fortschritte der ukrainischen Truppen an der Front angesprochen wird. 
  • Seine Truppen müssten mindestens so viele Artilleriegeschosse abfeuern wie der Feind, aber wegen der begrenzten Ressourcen seien sie manchmal um das Zehnfache unterlegen.
  • Über sein Verhältnis zum US-Generalstabschef Mark Milley sagt er: „Wir sind rund um die Uhr in Kontakt. Manchmal rufe ich an und sage: ‚Wenn ich in einer Woche nicht 100.000 Geschosse besorge, werden 1000 Menschen sterben. Versetz dich in meine Lage.‘ Aber es ist nicht Milley, der entscheidet, ob wir Flugzeuge bekommen oder nicht. Es ist nur so, dass in der Zeit, in der diese Entscheidung getroffen wird, jeden Tag eine Menge Menschen sterben – eine Menge. Nur weil noch keine Entscheidung getroffen wurde.“
  • Über die zerstörten Leopard-Panzer sagt er: „Wir haben die Leoparden nicht, damit sie bei Paraden mitfahren oder damit sich Politiker oder Prominente mit ihnen fotografieren lassen. Sie sind hier, um Krieg zu führen. Und ein Leopard auf dem Schlachtfeld ist kein Leopard, sondern eine Zielscheibe.“
  • Auf die Debatte um die Lieferung von Kampfjets angesprochen, sagt er: „Sagen wir einfach, die Zahl der Flugzeuge, die in der Nähe unserer westlichen Grenzen im Einsatz sind, ist doppelt so hoch wie die Zahl der russischen Flugzeuge, die unsere Stellungen verwüsten. Warum können wir nicht wenigstens ein Drittel davon von dort hierher verlegen?“ Und weiter: „Ich brauche keine 120 Flugzeuge. Ich werde nicht die ganze Welt bedrohen. Eine sehr begrenzte Anzahl würde ausreichen. Aber sie werden gebraucht. Weil es keinen anderen Weg gibt. Weil der Feind eine moderne Generation von Flugzeugen einsetzt. Es ist, als ob wir jetzt mit Pfeil und Bogen in die Offensive gehen würden.“
  • Über die jetzt nach Belarus verlegten Wagner-Truppen sagt er: „Ich habe viele Ängste, und Wagner ist eine davon. Und sie ist nicht die einzige. Wenn wir jetzt anfangen, darüber zu reden, dreht sich mein Kopf. ... Unsere Aufgabe ist es, uns auf die schlimmsten und wahrscheinlichsten Szenarien vorzubereiten. Und wir werden versuchen, die möglichen Folgen dessen, was sein könnte, zu minimieren.“

Die wichtigsten Nachrichten des Tages:

  • Bereits unmittelbar nach dem Wagner-Aufstand war Kritik am Bundesnachrichtendienst (BND) aufgekommen. Nun zieht der Dienst offenbar erste Konsequenzen. Wie der „Spiegel“ berichtet, hat der BND eine Überprüfung seiner Informationslage vor dem Aufstand eingeleitet. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Die 28-jährige Vize-Chefin der russischen Loko-Bank, Kristina Baikowa, ist am 23. Juni aus ihrer Wohnung im 11. Stock eines Moskauer Hochhauses gestürzt. Baikowa starb. Es ist nicht der erste Fall eines tödlich endenden Fenstersturzes in Russland. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Putin soll noch während oder kurz nachdem der Wagner-Aufstand abgeblasen war, auf einer Privatyacht gefeiert haben. Vollkommen realitätsfern, findet ein Russlandbeobachter. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Das Online-Magazin The War Zone hat am Donnerstag ein Interview mit dem Leiter des ukrainischen Militärnachrichtendienstes (GUR), Kyrylo Budanov, veröffentlicht. Er befürwortete darin den Aufstandsversuch der Wagner-Gruppe, von dem er schon eine Weile lang gewusst habe. Mehr dazu lesen Sie hier.
    Etwa eine Woche nach dem gescheiterten Aufstand des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin rekrutiert die Söldnergruppe weiter Kämpfer. Das berichtet die britische BBC. Die Kontakte zur Gruppe hängen demnach in Russland in vielen Kampfsportschulen. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Den neuesten Angaben des Militärnachrichtendienstes der Ukraine zufolge verlässt die Besatzung des AKW Saporischschja nach und nach das Gelände des Kernkraftwerks. Mit zu den ersten, die das Kraftwerk verließen, gehörten drei Mitarbeiter von Rosatom, der Föderalen Agentur für Atomenergie in Russland. Mehr dazu in unserem Newsblog.
    Die ukrainische Staatsanwaltschaft hat im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Verschleppung Dutzender Waisenkinder die ersten Anklagen wegen Kriegsverbrechen erhoben. Sie richten sich gegen einen russischen Politiker und zwei mutmaßliche ukrainische Kollaborateure. 
    Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die oberste Militärführung angewiesen, die Verteidigung der Nordgrenze des Landes zu verstärken. Er verweist auf Geheimdienst-Erkenntnisse über die Lage in Belarus, das an den Norden der Ukraine grenzt. 
    Russland wird nach Einschätzung von Außenminister Sergej Lawrow gestärkt aus dem Wagner-Aufstand hervorgehen. „Russland hat immer alle Schwierigkeiten überwunden“, sagte Lawrow vor Journalisten in Moskau. „Es wird auch dieses Mal so sein“, ergänzte er. 
    Im Rahmen ihrer Gegenoffensive hat die ukrainische Armee nach eigenen Angaben im südlichen Gebiet Saporischschja weitere „Teilerfolge“ erzielt. Die Truppen setzten sich aktuell auf den neu erreichten Positionen südlich von Orichiw fest, teilte der Generalstab bei Facebook mit.
    Die US-Regierung erwägt nachdrücklich, die Lieferung umstrittener Streumunitionssprengköpfe an die Ukraine zu genehmigen. Das sagten mit der Angelegenheit vertraute Personen gegenüber CNN.

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