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Ben Becker

© Kerstin Groh

Ben Becker liest Joseph Roth : Sein Geist zitterte nie

Ben Becker feierte mit Texten von Kafka oder aus der Bibel Erfolge. Nun liest er Joseph Roth. Der Abend ist ein Ereignis.

In der Ankündigung steht: „Lesungen mit Ben Becker sind ein Ereignis“. Das ist ein Satz wie: „Lothar Matthäus ist deutscher Rekordnationalspieler“. Weiß doch jede:r, sagt aber nichts. Denn natürlich gibt es auch im Ben-Becker-Lesekosmos markante Ereignisunterschiede.

Zum einen diese Großveranstaltungen mit Donnerhall, die in Gotteshäusern und Amüsierpalästen stattfinden, wie „Ben Becker – Apokalypse“ (nach Joseph Conrads „Herz der Finsternis“), „Ben Becker – Affe“ (nach Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“), oder „Ben Becker – Die Bibel“ (nach der heiligen Schrift). Ein-Mann-Events, die sehr auf die Person des Stimmbassisten und seine brummbärige Pathosbereitschaft zugeschnitten sind.

Daneben hat Becker aber eben auch Kleinereignisse im Repertoire. Abende von vergleichsweise intimer Art, die tatsächlich eine Konzentration auf das geschriebene Wort schaffen und von echter Entflammtheit des Künstlers für die mitgebrachte Literatur erzählen. Am Renaissance Theater war jetzt eine Premiere aus dieser Kategorie zu erleben: „Im Exil“, eine Joseph-Roth-Hommage.

Glaserl, Geld und Wunder

Die Beckersche Lese-Performance ist in zwei Teile aufgefächert und beginnt mit der 1939 posthum erschienenen Novelle „Die Legende vom heiligen Trinker“. Wobei es dem bühnenwirksam am Tisch rauchenden Schauspieler vor seinem Glaserl Wein nicht darum geht, auf Parallelen zur eigenen alkoholintensiven Biografie aufmerksam zu machen.

Nein, er begibt sich ganz selbstlos in den Fluss dieser herrlichen, mitreißenden Erzählung vom Obdachlosen Andreas Kartak, der unter Seine-Brücken nächtigt und ganz unversehens zum Opfer einer nicht enden wollenden Verkettung von Wundern wird.

Ein barmherziger Mildtäter erscheint und drückt ihm 200 Francs in die Hand. Die Übereinkunft lautet, dass Andreas das Geld zurückerstatten wird, hinterlegt bei der Statue der heiligen Therese von Lisieux in der Kapelle Sainte-Marie des Batignolles. Dazu kommt es freilich nie. Zwar fällt dem Gestrandeten in der Folge mehr und mehr Geld zu, lauter schicksalhafte Begegnungen scheinen ihm Türen zu öffnen. Aber immer steht irgendwo ein Pernod im Weg, der den Trinker auf sein Trinkersein zurückwirft. Becker liest das exzellent modelliert, mit großer Freude an Roths feiner, sagenhaft pointierter Sprache.

Von Trinker zu Trinker

Nach der Pause kontrastiert er diese Geschichte mit Zeitzeugenschaft. Mit Passagen aus dem Buch „Der heilige Trinker“ des mit Roth befreundeten, ungarischen Journalisten und Filmregisseurs Géza von Cziffra – was eine glänzende Idee ist und dem Abend einen Resonanzraum gibt.

Nicht nur, weil in Cziffras Beschreibungen des Schriftsteller-Gefährten immer wieder Motive aufscheinen, die Brücken zur eben gehörten „Legende“ schlagen. Sondern vor allem, weil ein Epochenbild entsteht. Durchsetzt von Schlaglichtern der aufziehenden Nazi-Barbarei, die den österreichischen Juden Roth schließlich ins Pariser Exil trieb.  

Cziffra erzählt voller Liebe von einem, der im Romanischen Café in Berlin zu den „Schwimmern“ zählte, zu einer prekären Bohème, die sich immer irgendwie über Wasser halten konnte, einem „rhapsodischen“ Mann mit ausfransendem Privatleben und Neigung zum Alkohol: „Oft zitterten seine Hände bedenklich – aber sein Geist nie“. Die Rothsche Scharfsicht, sie wirkt bis heute.

Es lebe der Zentralfriedhof

Becker belebt all das unter weitgehendem Verzicht auf Theatralik, nur gelegentlich sind Lieder eingewoben, darunter zwei vom großen österreichischen Austropop-Pionier Wolfgang Ambros, aus dessen Album „Es lebe der Zentralfriedhof“, eigens für diesen Abend neu arrangiert. Songs, die einzahlen auf eine Melancholie, die mit der Erinnerung an Roth kommt und auch den Vortragenden ergreift. Ja wirklich, „Im Exil“ ist mindestens ein mittleres Ereignis.

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