zum Hauptinhalt
Mariya Maslovas Fotografie „The gold of domes“ aus dem Jahr 2021.

© Mariya Maslova / Mariya Maslova

Kommunale Galerie zeigt Kiew-Fotografien: Krieg und Frieden in einem Raum

Die Ausstellung „Kyiv Emerging“ präsentiert 16 Bilder von ukrainischen Fotografinnen und Fotografen, die ohne Pathos auf ihre widerständige Hauptstadt blicken.

Warum wird ein junger Punk in einer Garage als eines der Gesichter von Kiew präsentiert? Und was haben nackte Körper hier zu suchen? Zumal sie in einer unprätentiösen Wohnung Sex haben, die genauso gut in der deutschen wie in der ukrainischen Hauptstadt liegen könnte. Die Auswahl der Fotografien, die in der Ausstellung „Kyiv Emerging“ der Kommunalen Galerie Berlin zu sehen ist, scheint auf den ersten Blick fraglich und verwirrend.

Aber dann wird langsam klar: Es geht darum, ganz ohne Pathos und Klischees die Schönheit und Einzigartigkeit der ukrainischen Hauptstadt zu zeigen. Obwohl heute, in Zeiten des Krieges, die Gefahr groß ist, in die Banalität abzurutschen. Das konnte die Jury vermieden, die 16 bei einem Open Call eingereichte Bilder ukrainischer Fotografinnen und Fotografen ausgewählt hat.

Lebhafte Clubszene und viele Demos

Die Fotos zeigen die vielen Gesichter der Stadt vor und während des Krieges. Das früheste Foto, eine Rave-Party in einem Nachtclub, wurde von Lesha Berezovskiy im Jahr 2016 aufgenommen. Es erinnert daran, dass Kiew in den letzten Jahren manchmal das „neue Berlin“ genannt wurde - vor allem wegen der lebhaften Clubszene.

Eine Demonstration im Herbst 2021 aufgenommen von Artem Baidala im Zentrum der Stadt ist ebenfalls ein Markenzeichen der Stadt: Junge Menschen entzünden Fackeln und fordern die Freilassung eines ihrer Meinung nach zu Unrecht inhaftierten Aktivisten. Auch bei der Zahl der Demonstrationen könnte Kiew mit Berlin konkurrieren. Die junge Demokratie der Ukraine zeigt sich oft bei Protestmärschen auf den Straßen.

Die Stadt hat sich in den letzten Jahren – oder genauer gesagt seit der Revolution von 2013/14 – dynamisch verändert und immer wieder neue Gesichter angenommen. Nun hat der Krieg Kiew noch dramatischer verändert. Aber alle fotografischen Werke sind absichtlich in einem Raum vereint, statt sie in Vor- und Nachkriegszeit aufgeteilt.

„Mir gefällt das Konzept der Ausstellung sehr, das Leben, das Atmen, die Entwicklung der Stadt unabhängig vom Krieg zu zeigen“, sagt der in Dnipro lebende Artem Baidala am Telefon. „Denn es besteht jetzt das Risiko, dass in Europa sowohl Kiew als auch die Ukraine ausschließlich mit dem Krieg assoziiert werden, und die ganze Vorkriegsgeschichte unbedeutend wird. Das würde ich nicht wollen. Vor dem Krieg hatten wir viel, worauf wir stolz sein konnten“.

Keines der Werke zeigt die Schrecken des Krieges direkt. Es gibt keine Flüchtlingsmassen auf Bahnhöfen, keine verängstigten Menschen in Luftschutzkellern, kein Leid und keine Angst, wie es in den letzten Monaten in zahlreichen Fotoreportagen zu sehen waren. Stattdessen ist da die stille Stärke einer Stadt mit einer komplexen Geschichte, die eine weitere Herausforderung zu bewältigen hat.

Der zweite Tag des Krieges, der 25. Februar, ist in den Werken von Ksenia Pavlova abgebildet. Düsteres Licht, depressive Stimmung, verlassenes Gelände auf einem Hügel. Aber ein junger Mann konzentriert sich auf Flaschen mit brennbarer Flüssigkeit – in den ersten Tagen des Krieges stellten die Einwohner Molotowcocktails her, für den Fall, dass russische Panzer in die Stadt eindringen sollten.

Ein Motiv aus Tetiana Bohuslavskas Serie „The Beautiful Work of Ukraine’s Defenders / Dangerous! Sharp Edges“’ (2022).

© Tetiana Bohuslavska / Tetiana Bohuslavska

Doch Kiew blieb standhaft. Zerstörte russische Militärausrüstung tauchte im Stadtzentrum nur in Form von Ausstellungsstücken in einem Open-Air-Museum auf. Auf den Fotografien von Tetiana Bohuslavska, die im Sommer 2022 aus dem Inneren eines der erbeuteten Panzer aufgenommen wurden, blicken die unzerstörten historischen Fassaden der Gebäude hinter verrosteten Metallplatten hervor. Und das stimmt optimistisch.

Nicht nur Kiew, sondern auch das Selbstverständnis ihrer Bewohner hat sich verändert. Eine Fotocollage der Künstlerin Nina Mári zeigt dies. Kastanien stehen im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit. Sie sind ein Symbol für Kiew wie es der Bär für Berlin ist. Schon als die Ukraine einst Teil des Russischen Reiches und dann der Sowjetunion war, gab es dieses Wahrzeichen. Und es wird auch in Zukunft so sein. Der Titel der Arbeit setzt hingegen auf Abgrenzung. Er lautet „Kiev Kyiv”, wobei das erste Wort durchgestrichen wurde. Ein klarer Hinweis auf die endgültige Entkolonialisierung und die Ablehnung von allem, was mit Russland verbunden ist, einschließlich der Transliteration.

Die Tatsache, dass das Wort in vielen Sprachen mit lateinischer Schrift so geschrieben wird, wie es auf Russisch klingt, nämlich Kiew, ist für viele Bewohner der Stadt jetzt irritierend. Sie ziehen es vor, sie Kyjiw zu nennen. Denn seit dem Beginn des Krieges sind sie massenhaft auf Ukrainisch umgestiegen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false