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Mats Malm, der Ständige Sekretär der Schwedischen Akademie, verkündet in der Schwedischen Akademie den Literaturnobelpreisträger 2023: Jon Fosse

© dpa/Pontus Lundahl

Literaturnobelpreis an Jon Fosse : Bloß nicht reinreden lassen und politische Signale senden

Eine Klasse für sich: Mit der Wahl von Jon Fosse hat die Schwedische Akademie einmal mehr bewiesen, dass sie nicht auf Statements zum Weltgeschehen aus ist.

Ein Kommentar von Gerrit Bartels

Die Welt ist so unruhig und gefährdet wie lange nicht, vielleicht wie noch nie, vom Klimawandel über die Überbevölkerung bis hin zum Ukraine-Krieg. Auch die Vergabe des Literaturnobelpreises bekommt da Jahr für Jahr eine politische Dimension, zumindest hofft gerade die weniger literaturaffine (Welt)- Öffentlichkeit auf politische Signale aus Stockholm.

Diese aber verweigern die achtzehn Mitglieder der Schwedischen Akademie ebenfalls Jahr für Jahr höchst gern.

Handke, Glück, Ernaux

Sei es, dass sie Peter Handke gegen alle Widerstände und ungeachtet seiner politischen Verwirrungen gerade wegen seiner literarischen Güte auszeichnen; sei es, dass sie die amerikanische Dichterin Louise Glück entdecken; oder dass sie mit Annie Ernaux stellvertretend auf eine literarische Konjunktur reagieren, die Autofiktion – bei allem Klassismus, allen soziologischen Zugängen, die die Literatur von Ernaux ausmacht. Ganz zu schweigen von der Wahl Bob Dylans 2016.

Die Auszeichnung für den norwegischen, international viel gespielten Dramatiker und Schriftsteller Jon Fosse passt zu dieser Verweigerung durch die Akademie. Fosse ist der nordischste aller Autoren und Autorinnen aus Norwegen, er nennt seine Prosa selbst eine „langsame“, seine Themen rühren an die Grundfesten individueller Existenzen. Bei ihm geht es um Schmerz, Trauer, Alkoholismus und Einsamkeit, bevorzugt von Männern, um Offenbarungen und Erlösung, um die Leere und das Nichts.

Fosse gehört seit vielen Jahren zu den Favoriten auf den Preis. Trotz seiner – im Vergleich zu seinen Vorgängern – jungen Jahre, er ist Jahrgang 1959, wirkt der Literaturnobelpreis 2023 für ihn aus der Zeit gefallen. Es lässt sich schon sagen, dass seine Literatur etwas Universelles hat, anderseits verweist sie sehr auf sich selbst. So wie es die Akademie am liebsten hat: Vor der gesellschaftspolitischen Sendung kommt bei ihr die Literatur. Vor einem Statement beispielsweise zum Thema Meinungsfreiheit oder bezüglich gefährdeter, verfolgter Autoren und Autorinnen der Verweis auf die eigene Deutungshoheit.

Deshalb also wurde Salman Rushdie wieder nicht ausgewählt, deshalb ging Ljudmila Ulitzkaja leer aus, deshalb hat der chilenische Dichter Raúl Zurita vielleicht nie eine Chance. Die Schwedische Akademie ist eine Klasse für sich, ihr Blick ein eurozentrischer. Was natürlich nicht davon abhalten soll, sich demnächst noch einmal genauer mit dem Werk von Jon Fosse auseinanderzusetzen.

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