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© Stefania-Migliorati

Ohne Ground Control: „Bowie in Berlin“ am English Theatre

Wer bei dem Titel anfängt zu gähnen, hat die Rechnung ohne Günther Grosser vom English Theatre gemacht. Ein Abend, der überrascht.

David Bowies Berliner Jahre sind gründlich ausgeleuchtet. Mehr als das. Und wen die Nostalgie überkommt, die oder der kann ja jederzeit zur Hauptstraße Nr. 155 in Schöneberg pilgern und sich andächtig die Gedenktafel anschauen: „In diesem Haus wohnte von 1976 bis 1978 …“. Die Alben „Heroes“, „Lodger“ und „Low“ sollen in der damals noch geteilten Stadt entstanden sein, eine Trilogie auf höchstem Schaffensniveau, auch das ist musikgeschichtliches Basiswissen. Nun aber widmet das English Theatre dem 2016 verstorbenen Allstar den Abend „Bowie in Berlin“. Und man denkt reflexartig: Really? Hat es das noch gebraucht?

Die Antwort lautet: Durchaus. Denn die Performance, die Günther Grosser inszeniert hat, der Artistic Director des Hauses an der Fidicinstraße, verfällt eben nicht ins schwelgerische Abspulen von Bowie-Anekdoten oder in den Modus einer theatral illustrierten Hitparade. Sondern wirft aus verschiedensten Perspektiven divergente Schlaglichter auf ein Pop-Phänomen – genau im Wissen darum, dass eigentlich schon alles erzählt ist. Nur eben noch nicht von allen.  

Damals vor dem Reichstag

„Bowie in Berlin“ ist der zweite Teil einer Serie, die das English Theatre Berlin „A Conversation With A Cultural Icon“ getauft hat, ein Austausch mit einer Kulturikone. Der erste Teil hieß „Jaws“ und beleuchtete den Steven-Spielberg-Blockbuster „Der weiße Hai“ von 1975, einen Film also, der weltweit zu einem sprunghaften Anstieg der Hai-Feindlichkeit geführt, gleichzeitig aber auch das Bewusstsein für den bedrohten Lebensraum Meer geschärft hat. David Bowie ist in diesem Kultur-Ikonen-Kontext ein interessanter Nachfolgekandidat. Was wohl als nächstes kommt? Erst King Kong, dann Madonna?

Fünf Performer:innen – Olivia Dean, Maureen Gleason, Ben Maddox, Angharad Matthews und Jeffrey Mittleman – nähern sich Bowie (und auch Weggefährt:innen wie Iggy Pop) über biografische Andockpunkte. Es geht um Erinnerungen an dessen legendäres Konzert vor dem Reichstag und die erste Liebe, damals, 1987. Um Nightclubbing, Drogen und die Frage, wieviel Verantwortung Künstler:innen für Heroin-Verherrlichung und andere schlechte Einflüsse tragen. Um die Fashion-Ikone Bowie und ihren Hang zum chamäleonhaften Kostüm- und Imagewechsel in einer Stadt, die zumindest früher zur Selbstneuerfindung eingeladen hat. Bilder aus dieser urbanen Vergangenheit laufen dazu über den Videoscreen, Fahrten entlang der Mauer, Flüge über Häuser.

Diebstahl als kreativer Prozess

Das alles ist stimmungsmäßig eher Moll-gedimmt und leitmotivisch durchzogen von „Heroes“, dieser wirklich kaum totzuspielenden Selbstermächtigungshymne. Wobei, auch das thematisiert dieser Abend, die Berliner Nachtclubgöttin Romy Haag einen entscheidenden Inspirationsanteil an dem Song für sich reklamiert. Wie viel Originalgenie steckte in Bowie, der sich in einem Playboy-Interview mal selbstbewusst zum Ideendiebstahl als kreativem Prozess bekannt hat?

Glänzend geht das musikalische Konzept von Grossers Abend auf (Arrangement und Live-Musik: Daniel Janke). Die meisten Songs werden am Klavier nur angetippt, oft mit einer einzigen Zeile: „I am a DJ, I am what I play“ („D.J.“ von 1979), „I’m happy, hope you’re happy, too“ („Ashes to Ashes“, 1980). Das Ziel ist eben in keiner Hinsicht Vollständigkeit. So wie Bowies musikalisches, filmisches und modisches Werk von permanenter Transition und Einflussvielfalt gelebt hat – sprungbereit zwischen Krautrock und Expressionismus – so assoziativ und fluid gibt sich auch diese Performance.

In einem Video, das „Bowie in Berlin“ rahmt, begibt sich eine Gruppe von Astronaut:innen in ferner Zukunft auf die Spuren des Major-Tom-Erfinders. Rastlos suchend, ohne Ground Control. Ein schöner Ausblick: Das Phänomen Bowie bleibt letztlich ungreifbar. Aber das Interesse wird auch in tausend Jahren nicht verloschen sein.

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