zum Hauptinhalt
Dry Cleaning

© Ben Rayner

„Stompwork“ von Dry Cleaning: Anruf aus der Arktis

Die Band Dry Cleaning gilt als neues britisches Popwunder. Ihr Album „Stompwork“ ist ein sarkastisches Meisterwerk.

Lässiger und cooler ist das Wesen des Kapitalismus lange nicht auf den Punkt gebracht worden. Zu einem flatternden Basslauf, flirrenden E-Gitarren und fröhlich klatschenden Händen räsoniert eine Sängerin über Bergbau in der Wildnis, Geschäftsabschlüsse in der Bahn und Herrenbekleidung von Armani. Florence Shaw murmelt mehr, als dass sie wirklich sänge. Als ein Saxofon einsetzt, sagt sie: „If you’re rich you look good“ Wenn du reich bist, siehst du gut aus. Und dann summt sie das kuschelrockig säuselnde Saxofonsolo mit.

Klassenkämpferischer Aufruhr? Oder pure Ironie? Bei der Londoner Band Dry Cleaning kann man nie wissen, ob sie eine Botschaft hat oder bloß mit Slogans spielen möchte. „Anna Calls From The Arctic“, Auftaktstück des gerade erschienenen zweiten Dry-Cleaning-Albums „Stumpwork“, ist ein Musterbeispiel für die zwischen Gegenwartskritik und trockenstem britischen Humor oszillierende Kunst des Quartetts.

Die minimalistische, mit Hall unterlegte Musik steht in der Tradition von Post-Punk-Gruppen wie New Order oder Siouxsie and the Banshees. Zum Ereignis wird sie durch den Sprechgesang von Florence Shaw, die für ihre Texte auf Tagebuchnotizen, Schlagzeilen und Gesprächsfetzen zurückgreift. Manchmal klingt sie perfekt betonend wie eine Nachrichtensprecherin, manchmal unterkühlt wie die Apple-Software Siri, manchmal roboterhaft wie die New Yorker Avantgardekünstlerin Laurie Anderson.

Ob Shaw tatsächlich von einer Anna aus der Arktis angerufen wurde, mag fraglich sein, ist aber auch egal. Die vermeintliche Anna erzählt, dass die Menschen, die ihr am Pol begegnen, entweder Wissenschaftler, Bergarbeiter oder Hundeschlittenführer seien. Das hatte man sich so ähnlich bereits vorgestellt und klingt als Thema eines Popsongs einigermaßen verschroben.

Dry Cleaning gehören zu den interessantesten und erfolgreichsten neuen Bands des Vereinigten Königsreichs. Ihr Debütalbum „New Long Leg“, im April 2021 erschienen, enthielt Hits wie „Scratchcard Lanyard“ und „Strong Feelings“ und schaffte es auf den vierten Platz der britischen Charts und auf viele Jahresbestenlisten von Musikkritiker:innen.

Der Sound war ungestümer und nervöser als nun auf dem abgeklärter wirkenden Nachfolgealbum „Stumpwork“. Shaws süffisante, kaskadenartig am Getöse der Gitarren entlangfließenden Lyrics wurden als Kommentar zum Post-Brexit-Desaster verstanden. Der US-Talkmaster Jimmy Fallon holte die Gruppe in seine „Tonight Show“; die Disco-Diva Grace Jones lud sie zu dem von ihr kuratierten Meltdown-Festival in London ein.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Gitarrist Tom Dowse, Bassist Lewis Maynard und Schlagzeuger Nick Buxton hatten in verschiedenen Bands mit eher mäßigem Erfolg musiziert. Den Durchbruch schafften sie erst, als Florence Shaw dazustieß. Sie kannte Dowse vom Royal College Art in London, wo beide studiert hatten. Später arbeitete sie als Zeichenlehrerin und verschwendete keinen Gedanken an eine Musikkarriere.

Bis Dowse sie fragte, ob sie nicht mal zu einer Probe seiner Band kommen wolle. Angeblich dauerte es mehrere Monate, ehe sie sich dazu durchringen konnte. Im Proberaum angekommen, stand sie dann vor der Herausforderung, nicht bloß als Sängerin, sondern auch als Autorin vorgesehen zu sein.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„Bevor ich der Band beigetreten bin, habe ich nur sehr wenig geschrieben, vielleicht mal eine Bildunterschrift zu einer Zeichnung“, hat Shaw dem Magazin „Gentlewoman“ erzählt. „So viel zu schreiben, wie ich es jetzt tue, ist wirklich neu.“

Sie müsse sich noch daran gewöhnen und kämpfe manchmal mit Wörtern, die sie für „opak“, also undurchsichtig, halte. Dinge zu zeichnen fällt ihr leichter, schließlich könne man sie dann sofort sehen. Das wirkt allzu bescheiden für eine Künstlerin, die von Jason Williamson, dem Sänger der ähnlich sarkastischen Sleaford Mods als „klassische englische Songwriterin“ gerühmt wird.

Songwriting als Stickkunst

„Stumpwork“ bezeichnet eine Form von Stickerei, bei der Ornamente, Figuren oder Buchstaben dreidimensional aus einem textilen Untergrund hervorstechen. Eine schöne Metapher für die das Kunsthandwerk von Shaws Songwriting.

Ihre Liedtexte erinnern an Spoken-Word-Performances, die endlos fortgesetzt werden könnten. In „Gary Ashby“ singt sie zu fröhlichen Powerpop-Gitarren von einem entlaufenen Haustier, einer Schildkröte, die während des Lockdowns davonlief und trotz der „Shoop shoop shoop“-Lockrufe nicht wiederkehrte.

Klageton im Smalltalk

Die scheppernde Ballade „No Decent Shoes For Rain“ beklagt in Smalltalk-Phrasen, dass man egal wohin man reist – nach Neuseeland, Frankreich oder Northampton – nirgendwo anständige Schuhe bekommt, die vor Regen schützen. Und die psychedelisch wabernde Hymne „Conservative Hell“ verhandelt Probleme, die Menschen aus der Oberschicht haben: Hochzeitsvorbereitungen, Spesenrechnungen, Holzwürmer.

Entstanden ist „Stumpwork“ in den legendären Rockfield Studios, die seit 1963 auf dem Gelände eines Bauernhofs in Wales betrieben werden.  Dort haben Queen den Opern-Rock von „Bohemian Rhapsody“ entwickelt, später mieteten sich unter anderem Motörhead, die Simple Minds und Oasis ein. Die elf Titel von „Stumpwork“ wurden in zwei Wochen eingespielt, wieder in der Regie von John Parish, der schon das Vorgängeralbum „New Long Leg“ produzierte.

Bekannt geworden ist Parish durch seine Zusammenarbeit mit PJ Harvey. Der wüste, wie bei Harvey ausgeborgte Gitarrenrock von „New Long Leg“ rückt bei „Stumpwork“ in den Hintergrund, das Klangbild wirkt entspannter, mitunter fast jazzig.

Die Gitarren dengeln nun mitunter übermütig, es gibt viel Hall und cremige Saxofon-Einlagen, die an die Siebzigerjahre gemahnen. Zwischen den Sessions sollen die Musiker, so heißt es, ihr Tischtennisspiel verbessert haben.

Wir leben in einer Zeit von Krisen und Kälte, aber Dry Cleaning bleiben optimistisch. „Things are shit but they’re gonna be okay“, singt Florence Shaw an einer Stelle. Großer Mist. Aber alles wird gut.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false