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Ungleiche Kräfteverhältnisse zwischen Felicia (Carey Mulligan) und Leonard Bernstein (Bradley Cooper).

© Netflix/Jason McDonald

Venedig Filmfestival (4): Die Crux mit dem männlichen Geniekult

Filme über Enzo Ferrari und Leonard Bernstein machen in Venedig Furore. Aber Regisseur Roman Polanski ist der beste Beleg für die Kehrseite der Künstlerverehrung.

Von Andreas Busche

Am Samstag sind die Phantomschmerzen, den die fehlenden Stars auf dem Lido hinterlassen, ganz real – obwohl früh feststand, dass Bradley Cooper, der Regisseur, Hauptdarsteller und Autor des Leonard-Bernstein-Biopics „Maestro“, in Solidarität mit den Streiks in der US-Filmbranche Venedig fernbleiben würde.

Das Festival fühlt sich im wahrsten Sinn des Wortes verwaist an, selbst wenn die Regisseure und Regisseurinnen ihre Filme persönlich vorstellen. Echte Fans lassen sich davon sowieso nicht unterkriegen, sie harren schon tagsüber vor dem Kinopalast aus.

Aber es ist ruhiger dieses Jahr, was einerseits natürlich die Aufmerksamkeit auf die Filme lenkt – und nicht etwa auf die Frage, ob ein Hauptdarsteller den anderen bei der Premiere angespuckt hat. In diesem Innehalten hallt vielleicht aber auch die Antwort auf die Frage nach, wie dringend das Kino – und Venedig – seine Stars braucht.

Das fällt besonders bei Starkino wie „Maestro“ auf, das so dermaßen auf den Hauptdarsteller und dessen Partnerin Carey Mulligan zugeschnitten ist, dass beide mit vielen bedeutungsvollen Großaufnahmen bedacht werden. Stand nach Coopers Regiedebüt „A Star is Born“ ein weiteres Eitelkeitenprojekt zu befürchten, ist diese Netflix-Prestigeproduktion im Vergleich zum Vorgänger jedoch deutlich mehr an der weiblichen Figur interessiert.

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Felicia Montealegre, gespielt von Mulligan, wird in „Maestro“ von einer ebenbürtigen Künstlerin des Maestros zur Hausfrau und Mutter, bis sie – von den homosexuellen Eskapaden ihres Mannes enttäuscht – wieder zur Protagonistin ihres eigenen Lebens wird.

Die lebenslange, „telepathische“ Verbindung zwischen Leonard und Felicia ist dann auch – bei allem Geniekult, den der Film veranstaltet (ohne Bernsteins Bedeutung vor allem für die populäre amerikanische Musik des 20. Jahrhunderts zu erfassen) –, die eigentliche Geschichte von „Maestro“.

In den Credits steht Mulligan an erster Stelle. Mehr als nur eine Geste, sondern gewissermaßen die Essenz des Films. Vergessen sind die unnötigen Debatten um Coopers „jüdische“ Nasenprothese, die schlussendlich mehr über die Eitelkeit des Stars verrät als ein Dutzend Close-ups.

Venedigs unsägliche Polanski-Liaison

Dennoch fällt in den ersten Tagen auf, dass der männliche Geniekult – nach Michael Manns Film über Enzo Ferrari – im Kino nicht unterzukriegen ist. Am Montag könnte Sofia Coppola mit ihrem Film über die jungen Jahre von Priscilla und Elvis ein wenig gegensteuern; es heißt, die Presley-Erben seien nicht sonderlich glücklich über den Film.

Bis es so weit ist, muss man sich am Lido allerdings mit einem anderen männlichen Genie herumschlagen: dem 90-jährigen Polanski, der inzwischen als Persona non grata gilt – außer in seiner Wahlheimat Frankreich und in Venedig.

Milan Peschel und Mickey Rourke in „The Palace“ von Roman Polanski. 

© Malgosia Abramowska

Zur Premiere seines vermutlich letzten Films „The Palace“ ist er nicht angereist, weil Italien ein Auslieferungsabkommen mit den USA für geflüchtete Straftäter hat. Festivalleiter Alberto Barbera steht dennoch weiter zu Polanski – als Künstler.

Im Branchenmagazin „Hollywood Reporter“ erschien vor einigen Tagen ein Artikel, der fragt, wie man Journalist mit der Venedig-Polanski-Liaison umgehen sollte. Ignorieren? Skandalisieren? Die Antwort erübrigt sich mit „The Palace“ quasi von selbst; der Film belegt auch, dass hinter Barberas Einladungen Kalkül steckt. Denn die eigentliche Frage muss lauten, was solch eine Schmierenkomödie auf einem seriösen Festival zu suchen hat.

Polanskis Beitrag zum jüngeren Genre der „Superreichen-Satire“ ist schon humoristisch ein Rohrkrepierer, der in der Pressevorführung betretenes Schweigen hervorruft. Dass der Hollywood-Veteran nur noch Kaliber wie John Cleese und Mickey Rourke vor die Kamera kriegt (aus Deutschland Oliver Masucci und Milan Peschel), sagt viel über Polanskis Status aus. Aber der schert sich um seinen Ruf, anders lässt sich „The Palace“ nicht deuten, ohnehin nicht mehr. Unwürdiger kann eine große Karriere kaum enden.

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