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Hubert Aiwanger, Bundesvorsitzender der Freien Wähler, beim Politischen Frühschoppen Gillamoos.

© dpa/Daniel Löb

Halbe Wahrheiten im Fall Aiwanger: Die Mitschuld der Medien am Populisten-Aufstieg

Statt Bayerns Vize-Ministerpräsident zu stürzen, wird ihn die Flugblatt-Affäre womöglich stärken. Grund dafür ist auch der publizistische Aktivismus, mit dem er verfolgt wurde.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Einlassungen von Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger zu Urheberschaft und Verwendung eines menschenverachtenden Flugblatts aus seiner Schulzeit sind dürftig, die Erinnerungslücken auffällig.

Seine Version ist allerdings schwer zu widerlegen. Er hat seinen Bruder als Zeugen aufgeboten, der sich zur Tat bekannte. Bis zum Nachweis des Gegenteils wird man zugrundelegen müssen, dass Elftklässler „Hubsi“ trotz Strafarbeit unschuldig war. Damals also ein Fehlurteil und heute: Im Zweifel für den Angeklagten.

Trotzdem eine Geschichte, die erzählt werden musste und die - vielleicht - nicht zu Ende ist. Sie berichtet anschaulich von einem Scheitern im Umgang mit der deutschen Nazi-Vergangenheit und legt Schlüsse auf Mentalitäten handelnder Personen nahe. Die Defizite treten klar zutage.

Fraglich ist, ob die Geschichte richtig erzählt wurde: Als politischer Skandal, der das „wahre“ Gesicht des Politikers als das eines rechtsextremen Antisemiten enthüllt. So zumindest wirkte es in den ersten Berichten. Als Beleg für Gesinnungskontinuität diente dessen Bierzelt-Rhetorik, man müsse sich „die Demokratie zurückholen“. Das Urteil, der Mann müsse weg, stand von Anfang an fest - insbesondere bei den Enthüllern.

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Viel Entschiedenheit angesichts unscharfer Fakten. Zudem kontrastierte die widerliche Wortwahl des Pamphlets von vornherein mit dem Umstand, dass es sich der Sache nach um einen Pennäler-Scherz handelte. Ohne Frage ein Ausweis braunen Ungeists - aber eben der eines Jugendlichen. Es wäre ein ungewöhnlicher Schritt in der politischen Kultur gewesen, sogar der deutschen, einen Erwachsenen dafür unbeschränkt haften zu lassen.

Auch dass die vermeintliche Enthüllung bereits bei vielen seit vielen Jahren ein Thema war und - mutmaßlich - ein früherer Lehrer Aiwangers die Strippen zog, hätte zur umfänglichen Meinungsbildung auf den Tisch gehört. Stattdessen wurden die Zusammenhänge des Falls unsichtbar gemacht, um Raum für Empörung zu schaffen.

Menschen merken es, wenn Medien überziehen, wenn sie einseitig werden. Die Flugblatt-Enthüllung könnte irgendwann als Beispiel dafür dienen, wie bestimmte Formen von publizistischem Aktivismus Glaubwürdigkeit kosten. Bis dahin wird Aiwanger nicht der einzige rechte Populist sein, der mit dieser Schwäche Wahlkampf macht.

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