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Eine Frage hab' ich noch. Ottos Sketchfigur Harry Hirsch, der rasende Reporter, geistert seit den Achtzigern durch seine Shows.

© imago/United Archives

Wenn Pointen von damals heute aufregen: Warnen ist ein Akt der Rücksichtnahme – was soll daran schlecht sein?

Der WDR versieht alte Otto- und Harald-Schmidt-Shows mit Hinweisen und wird dafür als Zensor beschimpft. Das zeigt vor allem etwas über die Schimpfer.

Ein Zwischenruf von Ariane Bemmer

Wieder ein Anlass für Triumphgeheul und damit wieder ein Hinweis darauf, dass es bei manchen Debatten kein echtes Interesse am Thema mehr gibt. Was ist los?

Der WDR hat alte Otto-Waalkes-Shows in der Mediathek abrufbar gemacht und mit dem Hinweis versehen, dass das folgende Programm als „Bestandteil der Fernsehgeschichte, in seiner ursprünglichen Form gezeigt“ werde und Passagen enthalte, „die heute als diskriminierend betrachtet werden“. Das Gleiche macht der Sender auch mit alten Harald-Schmidt-Shows.

Die betroffenen Fernsehgrößen reagierten mit Ironie, auf den gängigen Onlineplattformen dagegen wird das empört als weitere Woke-Attacke auf die Freiheit im Allgemeinen interpretiert. 

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Der Abwehrreflex ist insofern verständlich, als die Sendermaßnahme vor allem die Fernsehgewohnheiten und -idole derjenigen betrifft, die bis heute als sogenannte Boomer in der Mehrheit sind, maßgeblich meinungsbildend mitwirken und sich nur ungern ihre ehemaligen Vorlieben zu Irrtümern umdefinieren lassen.

Das gilt übrigens auch für die Autorin dieser Zeilen, die einmal sogar aus dem Unterricht geflogen ist, weil sie so lange über einen Otto-Witz lachen musste. Aber der Hinweis definiert gar nichts um, und darum könnte man den Abwehrreflex leicht überwinden und feststellen, dass zur Selbstaufstachelung kein Grund besteht.

Die Humorvorstellungen und Pointen von damals gelten vielen heute als diskriminierend. Das mal als Tatsache akzeptiert, ist die Warnung nicht mehr als eine erwiesene Rücksichtnahme. Es wird damit nichts zensiert, es wird nichts ungeschehen gemacht, es wird nichts zurückgenommen.

Was ein anderes Kaliber wäre. Und was, wenn es in anderen Zusammenhängen so kommt, zurecht massiv diskutiert wird. Dabei geht es dann um etwas. Bei der Warnung nicht.

Heiligabend lief spätabends auf einem kleinen Sender „Saturday Night Fever“, ein Film von 1977 mit John Travolta. Darin gibt es eine Szene, in der ein Mädchen, das die Hauptfigur Tony (Travolta) unerwidert anhimmelt, auf dem Rücksitz eines Autos von zwei oder drei Jungs vergewaltigt wird. Sie ruft „nein, nein“, das Auto fährt, Tony sitzt am Steuer. Irgendwann hält das Auto an, das Mädchen heult, bekommt noch einen blöden Spruch von Tony mit, dann machen die Jungs Pläne für den weiteren Abend oder so ähnlich.

Müsste auch vor Morden in Krimis gewarnt werden? Natürlich nicht.

Ich habe den Film 2022 mit Tannenbaum im Rücken zum ersten Mal gesehen und war entsetzt. Lange dachte ich seitdem, man sollte den Film verbieten oder die Szene rausschneiden. Aber vielleicht hätte ein Warnhinweis gereicht. Und bevor die Frage aufkommt, ob auch Krimis mit der Warnung versehen werden sollten, dass in der folgenden Sendung so getan werde, als ob jemand stürbe: Eher nicht, da steht ja schon „Krimi“.

Natürlich lässt sich auch das Pferd mit den Warnhinweisen zu Tode reiten. Pragmatischer wäre es jedoch, erst mal zu schauen, wie weit man damit kommt. In dem Sinne ist die WDR-Maßnahme regelrecht vorbildlich. Das Alte bleibt, und wer neu dazu kommt, wird gewarnt.

Wer das als Provokation empfindet, hat sich vielleicht schon zu sehr in einen vermeintlichen Kulturkampf hineingesteigert. Bei der Abrüstung kann der Blick in die USA helfen. Das Land, das die Rede- und Meinungsfreiheit über viele Schmerzgrenzen hinaus schützt, versieht seit langem schon Filme oder Videos mit Warnungen vor expliziter Sprache oder Gewaltszenen. Man kann sich darüber lustig machen, das aber genauso gut als Absicherung derjenigen sehen, die mit einigen Grobheiten nicht klarkommen.  

Niemand verliert etwas durch Warnhinweise, und manchen helfen sie. Vergleichbar Geländern an Bergwanderwegen, die manche lächerlich finden, die aber anderen die Angst vor riskanten Situationen beim Aufstieg nehmen. Der Lohn dafür ist das gemeinsame Fest auf dem Gipfel. Schön, wenn es möglichst viele dorthin schaffen.

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