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Er hat es wieder an die Spitze der Regierung geschafft: Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.

© Abir Sultan/dpa

Berlin und Israels rechte Regierung: „Eine Herausforderung für wertegeleitete Außenpolitik“

Wie soll die Bundesregierung auf Netanjahus neues Kabinett reagieren? Israels Ex-Botschafter und eine frühere AA-Staatsministerin analysieren die Lage.

Von Hans Monath

Kein Wort der Mahnung oder gar Kritik kam Olaf Scholz über die Lippen, als er vor wenigen Tagen Premierminister Benjamin Netanjahu zur Amtsübernahme gratulierte. Der Kanzler wünschte ihm „eine glückliche Hand und viel Erfolg". Israel und Deutschland verbinde eine besondere und enge Freundschaft, schrieb er weiter. Diese Grundlage der partnerschaftlichen Zusammenarbeit werde man weiter pflegen.

Netanjahus neue Regierung steht in Israel und im Ausland unter besonderer Beobachtung, denn der Likud-Politiker hat rechtsextreme und nationalreligiöse Kräfte in sein Kabinett geholt, um sich eine Mehrheit zu sichern. Gefährliche Entwicklungen werden seither auch in israelischen Medien thematisiert: der forcierte Bau völkerrechtswidriger Siedlungen in besetztem Gebiet; ein unwiderruflicher Abschied von der Zwei-Staaten-Lösung; eine so harte Politik gegenüber den Palästinensern, dass eine neue Intifada unausweichlich wird, sowie ein Angriff auf die Gewaltenteilung und der Umbau des Staates hin zu einer illiberalen Demokratie.

Das stellt auch die deutsche Außenpolitik auf die Probe. Die Frage heißt: Wie viel Normalität ist möglich, wie viel Kritik nötig? Scholz selbst ist kein Freund symbolischer Politik, wie sein formeller Glückwunsch zeigt. Er will nur auf Taten reagieren, nicht auf Vermutungen.

Das tat die Bundesregierung denn am Mittwoch – und übte scharfe Kritik am Besuch des rechtsextremen Politikers und neuen Polizeiministers Itamar Ben-Gvir auf dem Tempelberg wenige Stunden nach seinem Amtsantritt. Der Besuch auf der heiligen Stätte sei eine Provokation, erklärte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes, die Bundesregierung erwarte, dass sich die neue israelische Regierung zur erprobten Praxis an den heiligen Stätten bekenne und weiteren bewussten Provokationen Einhalt gebiete.

Seinen Besuch auf dem Tempelberg verurteilte die Bundesregierung: Israels Polizeiminister Itamar Ben-Gvir.

© AFP/Minhelet Har-Habait

Der Ton deutscher Außenpolitiker, die auf die neue Regierung in Jerusalem angesprochen werden, ist tastend zurückhaltend. Solche diplomatische Rücksichtnahme muss Kerstin Müller, ehemals Staatsministerin im Auswärtigen Amt, nicht mehr üben. Netanjahus Kabinett sei „wohl die rechteste und religiöseste Regierung, die das Land je hatte“, sagt die frühere Grünen-Politikerin dem Tagesspiegel. Sie werde Israel „vermutlich mehr denn je verändern – im Inneren wie nach außen“.

Im Inneren wolle die neue Regierung „die Axt an Israels Rechtsstaat legen“, indem sie den Obersten Gerichtshof durch eine „Aufhebungsklausel“ entmachte. „Das würde ein schwerer Schaden für Israels System der Gewaltenteilung und seinen Rechtsstaat bedeuten“, warnt Müller, die nun für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu Israel arbeitet.

Die Bundesregierung kann nicht schweigen, wenn Israel zu einer illiberalen Demokratie umgebaut werden sollte.

Shimon Stein, früher Botschafter Israels in Berlin

Diese Gefahr sieht auch der ehemalige israelische Botschafter in Berlin, Shimon Stein. „Die größte Gefahr geht von Justizminister Jariv Levin aus, einem Vertrauten Netanjahus, der seit Jahren den Einfluss des Obersten Gerichtshof zurückdrängen will“, sagt er dieser Zeitung. Der Diplomat forderte für den Ernstfall klare Worte von der deutschen Außenpolitik gegenüber der Regierung seines Landes. „Wenn die Bundesregierung über eine werteorientierte Außenpolitik spricht, kann sie nicht schweigen, wenn Israel zu einer illiberalen Demokratie umgebaut werden sollte.“

Nach Ansicht von Müller reklamiert die neue Regierung gegenüber den Palästinensern und den besetzten Gebieten „so unverblümt, wie keine zuvor, dass ,das jüdische Volk ein exklusives Recht auf alle Gebiete des Landes Israel habe‘“. Das nationalreligiöse Kabinett wolle den Siedlungsbau vorantreiben, illegale Außenposten innerhalb der ersten 60 Tage legalisieren und auch das Thema Annexion wird wieder auf der Agenda heben.

Die von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) lautstark vertretene „wertegeleitete Außenpolitik“ steht im Verhältnis zu Israel nun auf dem Prüfstand.

© AFP / PATRICIA DE MELO MOREIRA

Da die zentrale Zuständigkeiten für das Westjordanland in den Händen der „Religiösen Zionisten“ liegen würden, sei nun zu erwarten, dass eine Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung am Ende der Legislaturperiode „noch unwahrscheinlicher werden wird“. Die Regierung werde alles dafür tun, unumkehrbare Fakten gegen das Konzept der Zwei-Staaten-Lösung zu schaffen.

An diesem Punkt widerspricht Ex-Diplomat Stein. „Im Hinblick auf die Zwei-Staaten-Lösung wird sich im Vergleich zu den Vorgängerregierungen nichts ändern“, meint er. Die Israelis hätte dieses Thema „längst zu den Akten gelegt“. Schon unter den Vorgängerregierungen habe „ununterbrochen eine schleichende Annexion von palästinensischem Territorium“ stattgefunden, woran auch ständige Mahnungen der Europäer nichts geändert hätten.

Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.

Shimon Stein, früherer Botschafter Israels in Berlin

„Die Hunde bellen, wenn man so sagen kann, doch die Karawane zieht weiter“, sagt der frühere Botschafter. Auch er erwartet, dass besonders Innenminister Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich versuchen werden, illegale Siedlungen zu legalisieren. Denn Deutschen könne das nicht egal sein: „Natürlich ist das eine Herausforderung für die wertegeleitete Außenpolitik, die sich Außenministerin Annalena Baerbock auf ihre Fahnen geschrieben hat.“

Kerstin Müller hat klare Erwartungen: „Die Bundesregierung kann sich angesichts solcher Entwicklungen schwerlich mit den Extremisten der neuen Regierung zu Regierungskonsultationen an einen Tisch setzen und ,Business as usual‘ spielen“, warnt sie. Sollte sich die israelische Regierung tatsächlich zentrale Projekte beim Siedlungsbau vorantreiben, die bisher auf Druck der internationalen Gemeinschaft auf Eis lagen, gar Teile annektieren, hätte die deutsche Regierung „allen Grund, die Konsultationen zumindest zeitweise auszusetzen“.

Beerdigung eines 16-Jährigen in Nablus im Westjordanland, der angeblich bei Zusammenstößen mit israelischen Sicherheitskräften getötet worden war.

© REUTERS / MOHAMAD TOROKMAN

Die Ex-Staatsministerin erwartet, dass aus anderen EU-Staaten dann härtere Forderungen kommen, etwa die, Programme der EU mit Israel einzufrieren oder gar Sanktionen zu verhängen. Sie selbst warnt vor schärferen Maßnahmen, denn Europa werde dann kaum mit einer Stimme sprechen können.

Zwei große Ziele Netanjahus beschreibt Shimon Stein: „Er will die Beziehungen zu weiteren arabischen Staaten und vor allem zu Saudi-Arabien normalisieren. Und er will Israel vor der Bedrohung durch iranische Nuklearwaffen schützen.“

Dann wird die Lage hoch brisant.

Ex-Staatsministerin Kerstin Müller zu Attacken israelischer extremistischer Politiker auf den Status des Tempelbergs

An diesem Punkt sieht Ex-Politikerin Müller einen Zielkonflikt innerhalb des Kabinetts in Jerusalem. Wenn die Extremisten Ben-Gvir und Smotrich tatsächlich am Status des Jerusalemer Tempelbergs zündelten, werde die Lage „hoch brisant“. Denn ein solcher Schritt könne die gesamte arabische-sunnitische Welt gegen Israel aufbringen, auch jene Staaten, mit denen Israel im Rahmen der Abraham-Abkommens kooperieren will. Die letzte UN-Resolution sei bereits „ein schlechtes Signal für Israel“ gewesen.

Eine Ausweitung des Konflikts widerspreche diametral Netanjahus Kernanliegen in der Außenpolitik, nämlich das Abraham-Abkommen mit den sunnitischen Staaten der Region gegen den gemeinsamen Feind Iran weiter auszubauen. Netanjahu müsse daher versuchen, eine Eskalation in Jerusalem zu verhindern und die Extremisten seiner Regierung im Zaun zu halten. Optimistisch ist Kerstin Müller nicht: „Es ist fraglich, ob ihm das gelingen wird.“

Ähnlich wie die Ex-Staatsministerin beschreibt auch Shimon Stein die Versuche Netanjahus, seinen Einfluss in der EU auszubauen: „Er hat in einer Art populistischen Allianz gute Beziehungen unter anderem zu Viktor Orban aufgebaut. Ungarn soll eine Verurteilung Israels durch die EU verhindern, die dafür eine einstimmige Entscheidung braucht.“ Der Ex-Botschafter rät ohnehin zu einer realistischen Bilanz, was den Einfluss Deutschlands und der EU auf Israel angeht: „Für Netanjahu ist die USA zentral, die Europäer zählen für ihn nicht.“

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