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Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, steht beim Politischen Frühschoppen Gillamoos auf der Bühne.

© dpa/Sven Hoppe

Bayerische Bierzelt-Show: Söder und Aiwanger entdecken wieder ihre gemeinsamen Gegner in Berlin

Auf dem Gillamoos, dem ältesten Volksfest Bayerns, greifen Freie-Wähler-Chef Aiwanger und Ministerpräsident Söder vor allem die Ampel an. Kein Wort zur Flugblattaffäre. Ein Ortstermin.

Als er am Montagvormittag endlich gegen 11.05 Uhr auf der Bühne des Weißbierstadls auf dem Gillamoos-Volksfest in Abensberg ankommt, sich den Weg durch engstes Menschenspalier gebahnt hat, wollen die „Hubert, Hubert“-Sprechchöre nicht enden.

Der umstrittene Chef der Freien Wähler, Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident von Bayern, nickt zufrieden und winkt, die blaue Trachtenjacke hat Hubert Aiwanger ausgezogen, die Hemdsärmel wie immer hochgekrempelt.

Aber seine Gesichtszüge bleiben merkwürdig ernst, lächeln fällt ihm sichtlich schwer; steckt ihm die Affäre um ein antisemitisches Flugblatt und die politische Krise, die daraus folgte, doch noch in den Knochen? Oder ist er nur sehr konzentriert?

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Selten waren wohl so viele Menschen und Medien auf dieser ältesten Kirmes Bayerns. Doch wer einen Showdown zwischen Ministerpräsident Markus Söder und Aiwanger um die Hoheit über die Bierzelte erwartet hat, wird enttäuscht werden. Es wird eher klassischer Wahlkampf – nach dem Motto: War da denn noch was anderes gewesen?

Aiwanger wird seine übliche Standardrede halten, wie schon vor Tagen in Hessen, wie in anderen Bierzelten. Er dankt zwar eingangs wie immer für die „große Rückendeckung in schweren Zeiten“. Doch das war es dann. Danach richtet sich seine Botschaft an diesem Tag nicht an die CSU, nicht an Markus Söder, sondern an die Ampel in Berlin.

Keine weitere Entschuldigung, kein Anflug von Demut wegen der Vorwürfe, kein Wort zu Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und frühere Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland; sie hatte Aiwangers persönliche Entschuldigung am Telefon nicht annehmen wollte – fand aber auch, dass Söder richtig gehandelt habe. So berichtete es die „Süddeutsche Zeitung“, die als erstes Medium das Flugblatt veröffentlicht hatte, nachdem es mehreren Medien angeboten worden war.

Aiwanger redet, als hätte es in den vergangenen zehn Tagen nie Rücktrittsdrohungen gegeben, als hätte seine politische Karriere nicht ernsthaft auch am seidenen Faden gehangen. „Wir sind die Vernünftigen“; die „Bürgerpolitiker“, die „anständigen Leute“, die „die als Korrektiv der CSU in die Regierung gehören“.

Das Gillamoos ist eines der größten und ältesten Volksfeste Niederbayerns und bietet traditionell einen politischen Schlagabtausch der Parteien.

© dpa/Sven Hoppe

CDU-Chef Merz kommt nur mäßig an

Ein paar Meter weiter vom Weißbierstadl ist die Stimmung auf dem in diesem Jahr extrem überfüllten Volksfest, benannt nach einer Benediktinerabtei des Heiligen Ägidius, auch nur ein wenig verhaltener. Natürlich hat die CSU, hat Markus Söder, auch hier auf dem Gillamoos das allergrößte Bierzelt.

Gillamoos ist Deutschland. Nicht Berlin. Nicht Kreuzberg.

CDU-Chef Friedrich Merz

Während sich bei Aiwanger rund 400 Menschen wie in einer verboten dicht besetzten Sauna drängeln, sitzen bei Söder mehr als 3000 Menschen so entspannt wie auf den großen Zelten beim Münchner Oktoberfest. Man lässt sich hier gern unterhalten. Im Weißbierstadl will man irgendwie mitmachen, teilnehmen, pushen.

Das riesige Spanferkel vor der Tür war schon morgens um 8 Uhr gebrutzelt, die Maß Bier ging gut im weiten Rund, und natürlich gehört zum Frühshoppen eine zünftige Weißwurscht mit süßem Senf und Bretzel. Und wer einfach nur eine Maß Wasser orderte, zahlte 10,50 Euro.

Markus Söder hat beim Einmarsch Unionschef Friedrich Merz im Schlepptau; der wird später sagen: „Gillamoos ist Deutschland. Nicht Berlin. Nicht Kreuzberg.“

Prost: CDU-Chef Friedrich Merz und Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident von Bayern stoßen an.

© dpa/Sven Hoppe

Doch die Zuschauer klatschen kaum; der CDU-Mann kommt nur mäßig gut an; auf jeden Fall ist Söder gewillt, heute locker zu bleiben, witzig zu sein, denn als populärer Redner ist der Chef der Freien Wähler und Vize Söders ihm schon sehr nahegekommen. Sollte sich das am Ende in Wählerstimmen auszahlen, hätte Söder ein neues Problem. Er wäre geschwächt, man würde ihm vorwerfen, bei Aiwanger die falsche Entscheidung getroffen zu haben.

Aber noch, so hat es sich Söder vermutlich gedacht, ist ja Zeit bis zum Wahltag am 8. Oktober.

Dieses Duell Söder/Aiwanger spielte bis zum Sonntag öffentlich keine Rolle, im Vordergrund stand die antisemitische Flugblattaffäre und Söders Entscheidung, Aiwanger im Amt zu belassen.

Doch aus CSU-Kreisen war zu hören, wie sehr es Söder genervt habe, dass da einer plötzlich zu populär wird und das auch noch mit populistischen Worten. Nie dürfe man in der CSU schließlich vergessen, dass man die Honoratioren wie die kleinen Leute gleichermaßen zu bespielen habe, also Establishment und „Leberkäs-Etage“ zugleich.

Doch spätestens als Aiwanger in Erding Mitte Juni bei einer Demo gegen das Heizungsgesetz – anwesend waren auch Mitglieder der AfD und andere rechtsextreme Gruppen – davon sprach, dass die schweigende Mehrheit sich die Demokratie zurückerobern solle, kam Söder ins Grübeln – das war noch vor der Flugblatt-Affäre. Wie sollte er diesem Aiwanger, notorisch unterschätzt, politisch begegnen?

Jetzt scheint es so, als würde er ihn am liebsten ignorieren, den kleinen, weniger wichtigen Partner in der Regierung, und einfach qua Amtsbonus vorne weglaufen im Wahlkampf, ohne sich umdrehen zu müssen zu einem, der Ärger macht.

Söder hatte sich früh festgelegt, die Koalition mit den Freien Wählern fortzusetzen. Ein Experiment mit den Grünen, worüber er 2018 ernsthaft nachgedacht hatte, kam nun wegen der Ampelregierung in Berlin nicht infrage. Und die FDP, Koalitionspartner von 2008 bis 2013, ist zu schwach.

Zum Gillamoos kommen seit rund 50 Jahren bayerische Spitzenpolitiker und Politiker der Bundesparteien zum politischen Frühshoppen. Eine Art politischer Aschermittwoch, nur eben im September. Am wenigsten gut besucht war wohl das Zelt der SPD mit dem Bundesvorsitzenden Lars Klingbeil als Redner. Pech hatte auch FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Er musste direkt neben Aiwangers Zelt reden.

Krachend voll ist es auch bei Winfried Kretschmann, dem Grünen-Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, und eben bei CSU und Freien Wählern.

Söder liefert die erwartete Show

Doch auch Söder macht heute keine Experimente, sondern das, was er in normalen Wahlkampfzeiten immer macht, er schimpft, wie Aiwanger, auf die Ampel in Berlin.

Er dekliniert alle Themen durch, die ihn als „bayerischen Ministerpräsidenten ärgern“, die klassische Landwirtschaft, die die Ampelkoalition bedrohe, das Essen, das sich Söder nicht von den „ausgehungerten grünen Funktionären“ vorschreiben lassen wolle, die klassische Familie, die Berlin nicht achte, den Strompreis, der auch für Mittelständler runter müsse, das Heizungsgesetz, das falsch und fehlerhaft sei und die Schule, „wo die Grünen die Noten und die Leistungsanreize“ abschaffen wollen.

Er ruft: „Mehrwertsteuer und Strompreis runter“, „Essen muss billiger“ und die Süßigkeiten für Kinder lasse man sich in Bayern auch nicht vom Lauterbach, dem Gesundheitsminister, verbieten.

Hubert Aiwanger kommt beim Politischen Frühschoppen Gillamoos an und wird von den Zuschauern begrüßt und bejubelt.

© dpa/Daniel Löb

Anders als es Aiwanger an diesem Tage scheint, ist Söder ganz bei sich. Er kann Show. Und er macht sie. Die Ellenbogen mal lässig auf dem Tisch, dann wieder den Oberkörper gewollt nach hinten gelehnt, er witzelt über „den Friedrich“, Friedrich Merz, der zwar sehr sportlich aussehe, aber bei dieser Figur womöglich „Veganer“ sei.

Aiwanger kommt noch in Wallung

Derweil redet sich Aiwanger im Weißbierstadl doch noch in Rage. Aber auch hier sind es ähnliche Themen, die „Leistungsträger“, die die Ampel vergesse, „mehr Netto vom Brutto“, ein Slogan, den einst der seinerzeitige FDP-Chef Guido Westerwelle populär machte; mittendrin trotzdem immer wieder „Hubert, Hubert“-Sprechchöre – das gibt es bei Markus Söder nicht. Die Leute dort lachen, aber sie sind deutlich distanzierter.

Zuvor schon hatten Kommunalpolitiker der Freien Wähler die Tonart vorgegeben, die anderen Parteien seien „alle ideologisch verbrämt“. „Wir sind die Vernünftigen“ – das ist die Erzählung, mit der Hubert Aiwanger die FW stark gemacht hat, mit der er sie 2008 erstmals in den Landtag und seit 2018 auch in die Regierung mit der CSU führte. Und natürlich bleibt er bei dieser Erzählung, egal, was da gewesen sein mag.

Tags zuvor hatte Söder in seinem Amtssitz im Prinz-Carl-Palais in München sehr staatsmännisch gesprochen und am Ende festgestellt, dass eine Entlassung Aiwangers aus dem Amt des Wirtschaftsministers „nicht verhältnismäßig“ sei. Aiwanger darf also trotz der Affäre um ein menschenverachtendes Flugblatt aus seiner Schulzeit, das sein Bruder verfasst und er in der Schultasche getragen haben soll, weitermachen.

Am Ende seiner rund einstündigen Rede ist Hubert Aiwanger wie immer vom Schweiß durchnässt. Aber das geht allen so. Er wird frenetisch gefeiert, obwohl die Rede nichts Neues hatte.

Die Anhänger im Saal sind gut gelaunt, sie wollen singen. Erst die Nationalhymne und dann „Marmor Stein und Eisen bricht, nur unser Hubsi nicht.“ Aiwanger muss mitsingen. So weit würde Markus Söder dann wohl doch nicht gehen.

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