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 Gläubige sitzen beim Weihnachtsgottesdienst in der Kathedrale.

© dpa / Matthias Rietschel

Der Krieg und die Kirche: Was Pfarrer in Deutschland an Weihnachten predigen wollen

Um die Frage der Waffenlieferungen an die Ukraine gibt es vor allem in der evangelischen Kirche Streit. Greifen Pfarrinnen und Pfarrer das Thema an Heiligabend auf?

Vor Weihnachten geht es hektisch zu bei Pfarrer Justus Geilhufe. Man erreicht ihn unterwegs. Eine politische Botschaft? Wolle er in seiner Predigt an Heiligabend nicht senden. „Ich predige so gut wie nie politisch“, sagt der evangelische Pfarrer aus dem sächsischen Großschirma. Er wolle in seiner Predigt darüber sprechen, dass sich die Welt düsterer und kälter anfühle als sonst.

„Aber Gott kommt in diese Welt, weil sie dunkel ist. Und in dieser Nacht spüren wir etwas von dem, was er für uns tut“, sagt Geilhufe. Er merke, wie sehr die Menschen in seiner Gemeinde zurzeit so eine Botschaft bräuchten.

Doch spricht man Geilhufe auf den Krieg in der Ukraine und die Debatte innerhalb seiner Kirche an, wird der junge Pfarrer sehr deutlich. „Natürlich werden Deutsche Waffen in der Ukraine Leben kosten. Aber wir können doch nicht einfach zusehen, wie dieses Land grauenhaft überfallen wird“, sagt der 32-Jährige.

Die deutsche Geschichte habe gezeigt, dass es manchmal Waffen brauche, um Frieden zu schaffen. „Der Nationalsozialismus ist nicht durch Gutzureden besiegt worden.“

Die Frage der Waffenlieferungen stürzt die Kirchen in ein Dilemma

Zwischen Friedensbotschaft und christlicher Nächstenliebe: Der Krieg in der Ukraine und speziell die Frage der Waffenlieferungen stürzt die Kirchen in Deutschland in ein Dilemma. Besonders in der evangelischen Kirche gibt es Spannungen - auch nach zehn Monaten Krieg sind sie noch deutlich zu spüren. Eine gemeinsame Linie zum Thema Waffenlieferungen gibt es nicht.

An Heiligabend zieht es nach zwei Corona-Weihnachten wieder viele Menschen in die Kirche. Wie gehen Pfarrinnen und Pfarrer in ganz Deutschland in ihren Predigten mit dem Krieg in der Ukraine um? Der Tagesspiegel hat vor Weihnachten mit vielen von ihnen gesprochen.

In der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hatte es monatelang einen öffentlichen Streit um den Umgang mit der russischen Invasion in der Ukraine gegeben. Vor allem der mitteldeutsche Landesbischof Friedrich Kramer sorgte als Friedensbeauftragter der EKD mit einer strikt pazifistischen Position für Aufsehen: Noch im Eröffnungsgottesdienst der EKD-Synode im November in Magdeburg sprach er sich gegen Waffenlieferungen an die um ihr Überleben kämpfende Ukraine aus.

Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland und Friedensbeauftragter.

© dpa / Klaus-Dietmar Gabbert

Auch im Gespräch mit dem Tagesspiegel bekräftigt er diese Position. „Die Frage der Waffenlieferungen ist für Christen ein Dilemma. Auf der einen Seite steht das Ideal der Gewaltlosigkeit, das uns auch Jesus Christus lehrt. Auf der anderen Seite die Forderung und der Wunsch, den Nächsten zu schützen“, sagt Kramer. Er vertrete klar pazifistische Positionen.

„Ich komme aus der Friedensbewegung. Deswegen bin ich auch nach wie vor dagegen, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert.“ Die Risiken einer Eskalation seien enorm und Waffen beförderten den Ausnahmezustand des Krieges nur weiter. „Ich plädiere für einen Waffenstillstand.“

Scharfe Kritik an Äußerungen von Käßmann

Ähnlich argumentiert die frühere EKD-Ratsvorsitzende und Theologin Margot Käßmann. Für ihre Äußerungen in den vergangenen Monaten wurde sie scharf in der Öffentlichkeit kritisiert. Frieden schaffen ohne Waffen – angesichts der Kriegsverbrechen, die Russland in besetzten Gebieten verübte, erschien das vielen auch in der evangelischen Kirche als frommer, aber unrealistischer Wunsch.

Margot Käßmann.

© picture alliance/dpa / Jens Schulze

Doch Käßmann ist weiter gegen Waffenlieferungen. „,Frieden auf Erden‘ singen die Engel im Lukasevangelium. Wenn wir die Bibel ernstnehmen, müssen wir jetzt die Frage diskutieren, wie Frieden werden kann“, sagt sie am Telefon. Es könne doch nicht das Ziel sein, „den so genannten Blutzoll immer weiter zu erhöhen“, um die Verhandlungsposition zu verbessern.

Auch sie beschreibt die Frage als ein „gigantisches ethisches Dilemma“, bei dem man nie auf der Gewinnerseite stehen könne. „Waffen schützen Menschenleben, aber sie töten auch“, sagt sie. „Ich persönlich bin dagegen – weil ich aus meiner christlichen Überzeugung heraus Pazifistin bin.“

Für andere in der evangelischen Kirche sind die Positionen von Käßmann und Kramer nur schwer zu ertragen. „Käßmann und Kramer sind in dieser Diskussion sehr präsent – das wird als die Haltung der evangelischen Kirche wahrgenommen. Das ärgert mich sehr“, sagt zum Beispiel der 32-jährige Pfarrer Geilhufe.

Auch an höchster Stelle, bei der Ratsvorsitzenden der EKD, Präses Annette Kurschus, stößt die Position von Kramer nur auf begrenzte Unterstützung. „Waffen helfen, sich zu wehren und zu verteidigen, sie können Leben retten, und das ist sehr viel“, sagt sie. „Waffen allein schaffen aber keinen Frieden: Friede kann erst werden, wenn die Waffen schweigen und Gespräche möglich sind.“ Tatsächlich riefen EKD-Vertreter in letzter Zeit mehrfach dazu auf, die Gesprächskontakte nicht völlig abreißen zu lassen. 

„Krieg ist immer tausendfacher Tod, vieltausendfaches Leid und ein Schlag ins Gesicht Gottes, der das Leben will und nicht den Tod“, sagte etwa die stellvertretende Ratsvorsitzende, Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs, beim Adventsempfang der Nordkirche. „Das gilt selbst für einen Krieg, der nach unseren Maßstäben aus großer Not heraus vertretbar ist, weil er eine Selbstverteidigung gegen einen Überfall darstellt.“ 

Das bedeute nicht, ein angegriffenes Land aufzufordern, sofort die Waffen niederzulegen. „Aber der Vorrang für das Leben bedeutet, dass jeden Tag wieder nach einer Lösung gesucht werden muss, die besser ist als die Fortsetzung des Tötens“, sagte die Bischöfin. „Darum braucht immer auch die kluge Diplomatie eine Chance.“

Der Vorrang für das Leben bedeutet, dass jeden Tag wieder nach einer Lösung gesucht werden muss, die besser ist als die Fortsetzung des Tötens.

Hamburgs Bischöfin Kirsten Fehrs

Für den Frieden sind also alle in der evangelischen Kirche – nur über den Weg dahin gibt es unterschiedliche Ansichten. „Die einen wollen jetzt einen Waffenstillstand um jeden Preis. Die anderen sagen, Russland würde ja im Falle eines Waffenstillstands keine Gebiete freiwillig zurückgeben. Es dürfe nicht sein, dass der Aggressor eine Belohnung bekommt“, erklärt Thomas Bremer. Er ist in Münster Professor für Ökumenik und Friedensforschung.

Die katholische Kirche hat sich dagegen schon im März eindeutig für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgesprochen. Pazifistische Positionen nach Art eines Friedrich Kramer hört man von ihren Bischöfen nicht – was damit zusammenhängen mag, dass zu den Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz auch der apostolische Exarch für die katholischen Ukrainer des byzantinischen Ritus, Bischof Bohdan Dzyurakh, gehört. Langwierige Diskussionen wie im Protestantismus gab es in der katholischen Kirche nicht.

Gewaltloser Widerstand hat lange Tradition in der evangelischen Kirche

Kirchenexperte Bremer führt die Unterschiede unter anderem darauf zurück, dass beide Kirchen eine unterschiedliche Geschichte ihrer Beziehungen zum Staat und zum Militär hätten. „Die Forderung nach gewaltlosem Widerstand hat eine Tradition in der evangelischen Kirche nach 1945“, sagt er. Die atomare Aufrüstung sei kritisch gesehen worden, genauso wie die Gründung der Bundeswehr. „Die katholische Kirche zeichnete sich nach 1945 eher durch eine gewisse Staatsnähe aus.“

Spricht man mit Pfarrinnen und Pfarrern vor Ort sagen viele, dass sie das Thema Waffenlieferungen in ihren Predigten nicht direkt ansprechen wollen. Rainer Müller-Brandes leitet als Stadtsuperintendent den lutherisch-evangelischen Stadtkirchenverband Hannover. Er unterstützt die Waffenlieferungen. „Natürlich ist das ein Konflikt, aber keine Abwehr würde auch zu noch mehr Unrecht führen“, sagt er.

Auch unsere Demokratie sei darauf aufgebaut, dass andere Länder im Zweiten Weltkrieg gegen Deutschland Krieg geführt hätten. Er freue sich über jeden Quadratmeter, den die Ukraine zurückerobere, sei emotional dabei. „Aber eben immer auch in dem Wissen, dass Gewalt auch Gegengewalt erzeugt. Und das Krieg nach Gottes Willen nicht sein soll.“

Weihnachten ist kein Kuschelfest, Weihnachten ist nicht Rosamunde Pilcher. An Weihnachten war Gott nicht bei Herodes im Königspalast, sondern im Stall. Er geht dorthin, wo es dunkel ist, das ist die gute Nachricht.

Rainer Müller-Brandes, Stadtsuperintendent des lutherisch-evangelischen Stadtkirchenverbands Hannover.

In den Tagen vor Weihnachten hatte Müller-Brandes Corona. An seiner Predigt, die er Heiligabend im Hauptbahnhof von Hannover halten will, hat er trotzdem gearbeitet. Darin wird der Krieg eine Rolle spielen, auch eine geflüchtete Ukrainerin wird dort sprechen.

Am ersten Feiertag findet ein Gottesdienst gemeinsam mit Russinnen und Ukrainerinnen statt, am zweiten wird Gottesdienst in einer Notunterkunft auf dem Messegelände gefeiert. „Näher kann uns doch die Weihnachtsgeschichte gar nicht kommen, das ist sie im Original“, sagt Müller-Brandes. „Weihnachten ist kein Kuschelfest, Weihnachten ist nicht Rosamunde Pilcher. An Weihnachten war Gott nicht bei Herodes im Königspalast, sondern im Stall. Er geht dorthin, wo es dunkel ist, das ist die gute Nachricht.“

Ethik ist nie schwarz oder weiß. Das ist das Minusmalum-Prinzip: Es ist das geringere Übel um Schlimmeres, einen Genozid, zu verhindern. Aber natürlich sind Waffen keine Friedensgeräte.

Rainer Maria Schießler, katholischer Pfarrer in München

Rainer Maria Schießler ist katholischer Pfarrer in der St.-Maximilian-Gemeinde in München. „So existenzielle Krisen, direkt bei uns, so etwas hat es, solange ich predige, noch nicht gegeben. Momentan gibt es wenig echte Zuversicht.“ Weihnachten habe sich in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr zu einer Konsumschlacht entwickelt, meint Schießler. „Alles musste perfekt sein, das Essen, das Geschenk, sogar das religiöse Gefühl. Aber jetzt merken wir mehr denn je, dass wir vor einer kaputten Welt stehen.“

Zu predigen falle ihm in dieser Zeit leichter. „Ein Publikum, das keine Sorgen haben muss, das völlig übersättigt ist, weil es auf dem richtigen Teil der Erde geboren wurde, ist viel schwerer zu erreichen. Jetzt kann ich den Menschen sagen, dass Gott sich nicht abwendet, auch nicht, wenn wir im Dreck liegen.“

Die Waffenlieferungen an die Ukraine sind für Schießler ein heikles Thema. „Das ukrainische Volk braucht das Recht, sich verteidigen zu dürfen, sonst wäre es doch längst überrollt worden. Die Waffenlieferungen sind ein Garant für geschützte Menschenleben“, sagt er. Doch natürlich belaste es ihn, dass mit ihnen ein kriegerischer Konflikt ermöglicht werde.

„Ethik ist nie schwarz oder weiß. Das ist das Minusmalum-Prinzip: Es ist das geringere Übel um Schlimmeres, einen Genozid, zu verhindern. Aber natürlich sind Waffen keine Friedensgeräte.“

Das wichtigste für ihn in seiner Predigt ist aber: Hoffnung spenden. „Es liegt ein Grauschleier über allem gerade und es gibt nur wenig Licht.“ Gerade in diesen Zeiten zu feiern sei dennoch wichtig. „Weihnachten ist doch eine ganz deutliche Antwort auf all das Schlechte. Krieg, Korruption, das gibt es alles schon bei Lukas. Herodes, Quirinius, über all diese Schurken würden wir nicht reden, wenn es nicht auch Jesus gäbe.“

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