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In den USA wächst das Gefühl der Bedrohung – und führt wie hier in Michigan auch zur Gründung von Milizen. Der Supreme Court stärkte vor wenigen Wochen das Recht, öffentlich Waffen tragen zu dürfen.

© imago images/ZUMA Wire

Schusswaffengewalt in den USA: Die gefährlichen Staaten von Amerika

Mehr Waffen, mehr Opfer, mehr Unsicherheit – was kann US-Präsident Joe Biden der Gewalt entgegensetzen? Am Dienstag stellt er neue Pläne vor.

Am Sonntag hat es einen Football-Spieler des Hauptstadt-Klubs Commanders erwischt. Zwei Schüsse trafen Brian Robinson Jr. in der H Street im nordöstlichen Teil Washingtons, offenbar hatte es der Angreifer auf das Auto des 23-Jährigen abgesehen.

Robinson wurde in ein Krankenhaus gebracht, die Verletzungen seien aber nicht lebensgefährlich, hieß es. Es war eine von vielen Meldungen am Wochenende über Schusswaffenangriffe in der amerikanischen Hauptstadt. Und nicht jeder ging ähnlich glimpflich aus – aber große Aufmerksamkeit ziehen die meisten nicht mehr auf sich, vor allem, wenn sie in den ärmeren Teilen Washingtons stattfinden und die Opfer Afroamerikaner oder Hispanics sind.

Die Zahl der Schusswaffenopfer in den USA steigt und steigt, und das liegt nicht nur an Massakern wie das an einer Grundschule im texanischen Uvalde. Menschen werden jeden Tag in ihren Wohnungen getötet, rund um Bars und auf den Straßen größerer Städte.

Die Zahl der verkauften Waffen stieg 2020 und 2021 stark an

Dabei steigt die Gewalt im Gleichschritt mit der Zahl der verkauften Waffen, die in den Pandemiejahren 2020 und 2021 Rekordhöhen erreichte: Mehr als 43 Millionen Waffen wurden Schätzungen zufolge in diesem Zeitraum erworben, wie die „Washington Post“ schreibt.

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Im gleichen Zeitraum sei die Zahl der Schusswaffentoten auf den höchsten Stand seit dem Jahr 1995 geklettert: Mehr als 45.000 Menschen sterben derzeit pro Jahr, aus eigener Hand oder durch die Hand anderer.

Aber obwohl sich Umfragen zufolge eine deutliche Mehrheit der Amerikaner für schärfere Waffengesetze ausspricht, passiert viel zu wenig. Immer wieder blockieren von der Lobbyorganisation NRA unterstützte Politiker strengere Maßnahmen mit dem Verweis auf die Verfassung, in der das Recht, eine Waffe zu besitzen, festgeschrieben ist.

Der Supreme Court lockerte das Waffenrecht

Seit dem umstrittenen Urteil des Supreme Courts im Juni, das in einem New Yorker Fall dieses Recht sogar noch ausweitete und erklärte, der Verfassung zufolge könne eine Waffe in der Öffentlichkeit zur Selbstverteidigung getragen werden, arbeiten mehrere Bundesstaaten daran, Regulierungen aufzuheben. Das Oberste Gericht hat Gerichte auf unteren Ebenen angewiesen, Gesetze zu überprüfen, etwa in Kalifornien und New Jersey, die regeln, wie viel Munition in Gewehrmagazine passen darf, oder eins in Maryland, das den Verkauf von Sturmgewehren verbietet.

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US-Präsident Joe Biden, der die Schusswaffengewalt eine „Pandemie“ nennt, will sich mit dieser Entwicklung nicht abfinden, obwohl er das frustrierende Ringen um schärfere Gesetze seit Jahrzehnten aus eigener Anschauung kennt. Wo gesetzgeberische Maßnahmen schwierig sind, gibt es zumindest noch die Möglichkeit, mehr Geld auszugeben.

Biden will in mehr Polizei auf den Straßen investieren

Anders als der linke Flügel seiner Partei, der viele Bürger im vergangenen Wahlkampf mit Rufen nach „defund the police“ gegen sich aufgebracht hatte, will Biden nicht weniger, sondern mehr in die Polizei investieren. An diesem Dienstag will er daher ein 37 Milliarden Dollar schweres Maßnahmenpaket vorstellen, mit dem Sicherheitskräfte gestärkt und Kriminalität bekämpft werden soll. Damit sollen Städte beispielsweise dabei unterstützt werden, in den kommenden fünf Jahren 100.000 Polizisten einzustellen und auszubilden.

[Lesen Sie auch: US-Kongresswahlen im November: Ausgerechnet Trumps erzkonservative Richter läuteten Bidens Aufwärtstrend ein (T+)]

Das Thema Kriminalität wird auch im anstehenden Kongress-Wahlkampf eine große Rolle spielen. Die Konservativen werden das angebliche Versagen der Biden-Regierung anprangern, die nicht ernsthaft für „law and order“ eintrete und Verbrecher zu milde behandle, aber Bürgern, die sich nur verteidigen möchten, ihre Waffen abnehmen wolle.

Auftritt des US-Präsidenten in Pennsylvania

Die Demokraten wiederum werden versuchen, die Republikaner als von der NRA gekaufte Politiker zu brandmarken, die akzeptierten, dass schon Grundschüler sich nicht mehr sicher fühlten.

Bidens eigentlich für Juli geplanter Auftritt an der Universität in Wilkes-Barre (Pennsylvania), der wegen seiner damaligen Covid-Infektion nun nachgeholt wird, fällt in die Zeit des landesweiten Schulstarts nach der Sommerpause rund um den Feiertag Labor Day am kommenden Montag.

Angesichts fast alltäglich gewordener Meldungen über Schulschießereien bedeutet das für viele Familien, dass sie sich wieder verstärkt mit Gefahren für ihre Kinder beschäftigen müssen. Monatliche Drills, wie sich Schüler bei einem Angriff verhalten sollen, sind landesweit Routine.

Was tun gegen die Gewalt an Schulen?

Aber bei der Frage, wie sich die Sicherheit an Schulen verbessern lässt, gehen die Vorschläge oft weit auseinander: Republikaner plädieren etwa für mehr bewaffnete Sicherheitskräfte vor Ort, Demokraten für eine Anhebung der Altersgrenze für Waffenkäufe.

Der Blick auf das Thema wird in den USA immer davon beeinflusst, wo man wohnt. So gehören Waffen für Amerikaner in ländlichen Regionen, wo die nächste Polizeiwache manchmal Stunden entfernt und die Jagd normaler Zeitvertreib ist, zum Alltag.

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In Städten wiederum leben prozentual weniger Konservative, hier werden Schusswaffen eher als Bedrohung wahrgenommen. Allerdings wächst auch in Städten und Vorortsiedlungen bei vielen das Gefühl, dass die Lage zunehmend gefährlich wird – was nicht zuletzt an immer ausgefeilteren Alarmsystemen liegt. So nutzen viele Amerikaner inzwischen Software auf ihrem Handy, die ihnen im Minutentakt „verdächtige Vorkommnisse“ in der Nachbarschaft anzeigen, etwa, wenn ein Paket vor der Haustür oder ein Fahrrad gestohlen wird.

Das erklärt wohl den Fakt, dass sich zunehmend auch Frauen eine Waffe zulegen und daran ausbilden lassen. So gibt es etwa im Bundesstaat Virginia, der an Washington angrenzt, eigens Schießkurse für besorgte Frauen. Die Nachfrage sei hoch, teilen die Organisatoren mit.

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