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Renate Künast kämpft seit Jahren gegen Beleidigungen in sozialen Netzwerken.

© imago images/Christian Spicker

Kampf gegen Hass und Hetze im Internet: Warum es schwerfällt, Renate Künast für ihren Aktivismus zu feiern

Die Grünen-Politikerin hat einen Erfolg vor dem Bundesverfassungsgericht erstritten. Doch ihr Fall eignet sich schlecht, um ein Beispiel abzugeben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Die Grünen-Politikerin Renate Künast gilt aus guten Gründen als hartnäckig. In ihrer Dauerfehde mit Facebook hat sie nun einen weiteren Teilerfolg erzielt. Das Bundesverfassungsgericht gab ihrer Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Kammergerichts statt. Die Berliner Richterinnen und Richter müssen noch einmal neu verhandeln, in wie vielen der zuletzt noch übrig gebliebenen zehn von 22 Fällen Künast in rechtswidriger und möglicherweise strafbarer Weise beleidigt wurde. Die Plattform müsste dann die Daten der bisher anonymen User herausgeben (Az.: 1 BvR 1073/20).

Es handelt sich um klassische Hass-Postings. Die Politikerin sieht ihr Verfahren als symbolisch dafür an, wie weit man mit juristischen Mitteln gegen Hass und Hetze angehen kann. Sie selbst spricht davon, in Karlsruhe sei jetzt „ein Stück Rechtsgeschichte im digitalen Zeitalter“ geschrieben worden.

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Das trifft zu, denn die Entscheidung ruft deutlicher als bisher dazu auf, danach zu fragen, ob fiese Kommentare einer Diskussion dienen sollen oder nur darauf abzielen, jemanden niederzumachen. Zugleich ist es vor allem eine Entscheidung für Politikerinnen und Politiker wie Künast, die im Netz täglich Anfeindungen über sich ergehen lassen müssen. Diese nimmt das Gericht besonders in Schutz.

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„Wenn keine Gewalt im Spiel ist“

All dies ist richtig und gut. Dennoch bleibt gerade im Fall Künast eine gewisse Skepsis. Die von ihr vor Gericht gebrachten Kommentare beziehen sich auf die Debatte um frühere Positionen der Grünen zum Thema Strafbarkeit von Pädophilie. Anlass war ein bewusst verfälschtes Zitat Künasts, das ein Internetblogger in Umlauf gebracht hatte und das sie so darstellte, als finde sie „Sex mit Kindern doch ganz ok“.

Tatsächlich hatte die Politikerin Mitte der achtziger Jahre im Abgeordnetenhaus mit einem Zwischenruf den Eindruck erweckt, dass sie damals womöglich einverstanden gewesen sein könnte, die Strafdrohung für sexuelle Handlungen an Kindern aufzuheben, „wenn keine Gewalt im Spiel ist“.

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Gesagt ist gesagt und in diesem Fall auch protokolliert. Im Internet wird erbarmungslos aufgerechnet. Verjährung gibt es keine, Kampagnen viele. Hass, da hat Künast recht, ist keine Meinung, schon gar nicht wenn sie auf einzelne Menschen zielt. Aber Abscheu, wie sie in den Posts in und neben allen Unflätigkeiten ebenfalls zum Ausdruck kommt? Und dies bei einem Thema, bei dem die Gesellschaft heutzutage in erfreulicher Deutlichkeit mit Abscheu reagiert?

Abscheu sollte man ausdrücken können

Das Bundesverfassungsgericht hat sich dazu nicht verhalten und überlässt diese Abwägungen richtigerweise dem Kammergericht. Mit welchem Ergebnis, ist offen. Womöglich werden noch einige weitere Invektiven für strafbar erklärt. Es ändert aber nichts daran, dass sich die Politikerin für ihren ansonsten ehrenwerten Kampf eine Fallsammlung ausgesucht hat, in der sie selbst im Zwielicht erscheint. Gab es keine andere?

Selbstverständlich haben Politikerinnen und Politiker, auch wenn sie mehr aushalten müssen, denselben Achtungsanspruch wie alle anderen Bürger. Klagen sie ihn aber ein, kann es so wirken, als wollten sie Kritiker mundtot machen. Künast für ihren Aktionismus ausgerechnet in dieser Sache zu feiern, fällt deshalb schwer. Auch gegenüber Politikern wie etwa Björn Höcke sollte man anlässlich ihres Geredes Abscheu ausdrücken können, ohne dass deswegen der Staatsanwalt kommt.

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