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Mahlzeit: Wenn Kühe rülpsen, stoßen sie klimaschädliches Methan aus. Besseres Futter soll das verhindern.

© TSP/Heike Jahberg

Erste Klimafarm in Deutschland: Wie ein hessischer Bauer Nestlé helfen soll

Sind Kühe Klimakiller? Mario Frese hat 135 Tiere. Auf seinem Hof lässt Nestlé von Wissenschaftlern untersuchen, wie Kühe Treibhausgase sparen können.

Dass sie dem Klima schaden, wissen die Kühe von Bauer Mario Frese nicht. Sie tun das, was Kühe eben so tun, nämlich Milch geben. Dazu müssen sie aber auch fressen, saufen und verdauen. Dass sie dabei klimaschädliches Methan ausstoßen, ahnen die Tiere nicht. Es wäre ihnen im Zweifel auch egal. Anderen aber nicht.

Das Umweltbundesamt rechnet vor, dass die Landwirtschaft im vergangenen Jahr 54,8 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente ausgestoßen hat, den Löwenanteil mit 56,4 Prozent macht Methan aus. Methan ist 25 mal klimaschädlicher als Kohlendioxid.

Die Übeltäter sind schnell gefunden: Es sind vor allem Rinder und Milchkühe. Auch die 135 Kühe von Bauer Frese. Alle 45 Sekunden rülpsen sie, bis zu 300 Liter Methan stoßen sie so am Tag aus – und zwar pro Tier.

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In Zeiten des sich rasant beschleunigenden Klimawandels ist das ein Problem. Nicht nur für das Klima und die Milchbauern, sondern auch für die Ernährungskonzerne, die Milch verarbeiten. Auch sie stehen unter dem Druck, umweltfreundlichere Lösungen zu finden.

Das gilt nicht zuletzt für den weltgrößten Hersteller von Nahrungsmitteln, Nestlé. Die aktuelle Lebensmittelkrise in Deutschland als Folge von Corona und Krieg sei nur eine „sanfte Vorwarnung, wenn wir das Klimaproblem nicht in den Griff kriegen“, warnt Deutschland-Chef Marc Boersch.

Wie das gehen kann, sollen Mario Frese und seine Tiere zeigen. Sein Hof ist eine „Klima-Milchfarm“, die erste in Deutschland. Auf der Farm im nordhessischen Mörshausen, zwei Autostunden von Frankfurt entfernt, soll ausprobiert werden, wie man den CO2-Fußabdruck der Milchkühe reduzieren kann. Das Ziel: In kommenden drei Jahren soll der gesamte Milchviehbetrieb rechnerisch möglichst auf netto-null sein.

Bauer Mario Frese und einige seiner Tiere: Aus ihrer Milch wird der Mozzarella für die Wagner-Pizzen aus dem Haus Nestlé.

© TSP/Heike Jahberg

An dem Projekt sind viele beteiligt: Die Molkerei Hochwald (Bärenmarke), bei der Frese Genossenschaftsmitglied ist und die seine Milch weiterverarbeitet, Experten der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU), das Thünen-Institut für Betriebswirtschaft und die Bodensee-Stiftung.

Nestlé finanziert das Projekt mit einem hohen sechsstelligen Betrag, denn viele der aufwendigen Messgeräte, mit denen Futter- und Landqualität vermessen werden, könnte sich Frese allein nicht leisten.

Warum sich Nestlé engagiert

Dass sich der Konzern engagiert, hat einen Grund. Nestlé hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit seine Treibhausgas-Emissionen bis 2050 auf netto null zu senken, bis 2030 soll schon einmal eine Halbierung erreicht sein. Doch Ökostrom in den Werken und umweltfreundlichere Verpackungen von Kaffeekapseln können nur einen eher kleinen Beitrag leisten. 70 bis 80 Prozent der Treibhausgase kommen aus den Rohstoffen, die Nestlé bezieht. Die Milch macht davon rund 40 Prozent aus.

Der Konzern steht unter Beobachtung. Skandale der Vergangenheit verfolgen das Unternehmen bis heute, selbst positiv gedachte Aktionen gehen nach hinten los. Nestlé war einer der Vorreiter des auch von Verbraucherschützern gelobten Nutri Scores, der zeigen soll, wie gesund ein Lebensmittelprodukt verglichen mit anderen seiner Art ist. Doch der gemeinsame Auftritt mit der damaligen Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) ging nach hinten los und wurde als Schleichwerbung kritisiert.

Wie sich Nestlé verändert

Seitdem hat sich einiges getan. Nestlé baut seine Produktpalette um, setzt auf Veggie-Burger, Fisch und Ei aus Pflanzen. Doch das wichtigste Thema ist die Nachhaltigkeitsstrategie. „Wir wollen Value für die Gesellschaft“, sagt Boersch und hofft, dass das, was Nestlé auf freiwilliger Basis macht, eines Tages Eingang in die staatliche Regulierung finden könnte. Oder man sich auf EU-Ebene auf ein Klimalabel einigt, das Verbrauchern zeigt, welchen ökologischen Fußabdruck ein Produkt hat. Nestlé möchte vorne dabei sein.

Veggie: Nestlé ist nach der Rügenwalder Mühle in Deutschland die Nummer zwei auf dem Markt für pflanzliche Alternativen zu Fleisch.

© AFP/TOBIAS SCHWARZ

45 Klimafirmen soll es weltweit geben

In 45 Klimafarmen weltweit will der Konzern erforschen, wie man Milch umweltfreundlicher herstellen kann, 20 laufen bereits. Sie sind auf der ganzen Welt verteilt. Die Idee: Die Rezepte, die sich auf den Klimafarmen bewähren, sollen auch auf anderen Höfen eingesetzt werden.

In Deutschland betrifft das zunächst die 2600 Milchbauern, die zu Hochwald gehören. Sie sollen von ihrem Genossen Frese lernen. Hochwald zahlt schon jetzt Mitgliedern, die klimaschonend präsentieren, mehr Geld für ihre Milch. Perspektivisch will Nestlé aber auch mit anderen Molkereien zusammenarbeiten. Deutschland-Chef Boersch kann sich vorstellen, dass sein Unternehmen eines Tages nur noch mit Lieferanten zusammenarbeitet, die klimafreundlich arbeiten.

„Ein Milchviehbetrieb kann nicht klimaneutral arbeiten“, sagt Juliette des Grandprie vom WWF. Tierische Produkte haben naturgemäß einen großen CO2-Fußabdruck. Das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg hat ausgerechnet, dass ein Kilo Rindfleisch 13,6 CO2-Äquivalente, ein Soja-Brätling hingegen nur 1,1 hat. Käse liegt im Schnitt bei 5,7, Butter gar bei 9,0. Ein Liter Vollmilch hat einen ökologischen Fußabdruck von 1,4 CO2-Äquivalenten.

Aus Freses Milch wird Mozzarella für Nestlé

Mario Frese arbeitet jetzt schon umweltfreundlicher als viele seiner Kollegen. Er produziert 1,2 Millionen Milch im Jahr. Diese landet vor allem als Mozzarella auf den Nestlé-Pizzen von Wagner. Pro Liter Milch liegt der ökologische Fußabdruck seiner Milch bei 1,07 CO2-Äquivalenten. Doch Frese will besser werden. Die größten Klimaprobleme entstehen bei der Verdauung der Tiere (Methan), gefolgt vom Futtermittelanbau und der Gülle.

Klee statt Dünger

Helfen soll ein ganzes Maßnahmenbündel. Anstelle von Mineraldünger soll möglichst organischer Dünger, also Gülle und Mist, genutzt werden. Kleegras, Hülsenfrüchte wie Lupinen, Erbsen oder Ackerbohnen können Stickstoff aus der Luft binden, auch das verringert den Einsatz von Dünger. Digitale Technik hilft zudem, Dünger passgenau einzusetzen.

Zentrale Stellschraube ist das Futter. Wenn Kühe optimales Futter bekommen, können sie es besser verwerten. Die Folge: Sie geben mehr Milch – und die Emissionen pro Kilo Milch sinken, sagt Stephan Schneider, Professor für Tierernährung an der HfWU. 50 bis 55 Kilo Frischmasse frisst eine Kuh am Tag, die Tiere von Frese haben jetzt einen Futteranalyseplan.

Der Großteil des Futters kommt vom eigenen Hof. Ein Futteranschieberoboter im Stall sorgt, dass die Kühe stets ans Futter herankommen. Diskutiert wird auch, Futtermittelzusätze einzusetzen, die dafür sorgen, dass bis zu 90 Prozent weniger Methan bei der Verdauung entsteht. Das Problem: Sobald man den Zusatz weglässt, ist wieder alles beim Alten.

Am Erfolg interessiert: Andreas Durst, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen, Detlef Latka, CEO der Molkerei Hochwald, Landwirt Mario Frese und Marc Boersch, Vorstandsvorsitzender von Nestlé Deutschland (von links nach rechts).

© obs/Nestlé Deutschland

Gülle und Urin sollen besser getrennt werden, um umweltschädliches Ammoniak zu verhindern. Bauer Frese träumt von einer Biogasanlage, um dort Gülle und Futterreste zu Strom und Geld zu machen. Derzeit kann er mit einem Milchgeld von 60 Cent pro Liter ganz gut leben, doch wer weiß, wie lange die Preise noch so hoch sind.

Die Kälber leben in Gruppen

Auch die Haltung ist ein großes Thema. Seine Kälber wachsen jetzt in Gruppen auf, werden lange mit Milch ernährt. Frese will in ein besseres Stallklima investieren, eigentlich wäre er auch ganz gern Biobauer geworden. Doch dafür hat er nicht genug Land. Jetzt stehen seine Tiere in einem offenen Stall, Mütter sind vor und nach dem Kalben auf der Weide.

Damit der Betrieb unterm Strich klimaneutral ist, muss Frese jedoch Ausgleich schaffen. Denn selbst wenn er die Emissionen in der Produktion herunterfährt, wird eine Kuh niemals klimaneutral Mich geben. Daher pflanzt er Hecken, legt Blühstreifen an und bearbeitet den Ackerboden humusschonend.

Dass er Milchbauer bleiben will, steht für Frese außer Frage. Eigentlich hat er Mechatroniker gelernt, doch dann hat es ihn doch wieder auf den elterlichen Milchbetrieb gezogen.  Kühe, sagt der 41-Jährige, sind keine Klimakiller. Im Gegenteil: „Wir brauchen Kühe, um die Ernährungssicherung in Deutschland zu garantieren.“

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