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© Lisa Rock für den Tagesspiegel

„Der Erbonkel“: Jeder ist ein Genmanipulator

Nicht nur leibliche Eltern prägen das Erbmaterial ihrer Kinder. Jeder kann die Gene anderer beeinflussen.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

„Ich will jetzt ein Eis“, brüllt die Dreijährige, wirft sich auf den Bürgersteig vor der Eisdiele, der kleine Kopf rot vor Wut. Herzzerreißende Tränen, flehendes Jammern, das volle Programm. Wie auch immer der Vater, die Mutter, die Oma jetzt reagieren, es wird sich auf das künftige Verhalten des Kindes auswirken. Etwa wie es Wut und eigene Bedürfnisse kontrollieren lernt. Es ist eine besondere Phase des Lebens, eine, in der enge Bezugspersonen Einfluss auf die Gene eines Kindes nehmen.

Ob es Lust (auf Eis), Wut (über fiese, eisverweigernde Eltern), Freude, Angst, Ekel oder Trauer ist – bestimmte Basis-Gefühle sind Menschen wohl angeboren. Das heißt, es gibt im Gehirn spezialisierte Nervenzellen, die schon bei kleinen Kindern mit Wut und Trauer auf die Information „kein Eis“ reagieren, indem sie die Gesichtsmuskeln zur passenden Mimik zwingen, die Tränendrüse aktivieren und per Hormonausschüttung den Herzschlag und diverse andere Körperfunktionen verändern.

Wie nah diese Nervenzellen am Wasser gebaut sind, wie schnell sie beim kleinsten Anlass mit Wut reagieren, das hängt ab von den jeweiligen Varianten vieler Gene, die die Eltern an das Kind vererbt haben. Zwar empfindet jedes Kind irgendwann Wut. Doch der Anlass kann bei dem einen schon die Andeutung der Eis-Verweigerung sein, während andere selbst das dritte Nein noch gelassen hinnehmen.

Im Laufe der Jahre lernen Kinder aber, ihre Basis-Gefühle zu kontrollieren und an gelernte Normen anzupassen. Doch das passiert nicht einfach so. Zum Lernen müssen sich Nervenzellen neu verbinden oder Verbindungen lösen, also die Gene, die das steuern, mal mehr, mal weniger aktiv sein.

Wenn in der Kita, auf dem Spielplatz oder auf dem Weg dorthin gelernt wird, dass Eis nicht immer zu haben ist, dann werden in den Nervenzellen zwar nicht die „Wut“-Gene selbst verändert, wohl aber ihre Aktivität, ihr Einfluss moduliert. „Epigenetisch“, sagen Biologen.

Die Form der Nase, die Größe der Ohrläppchen lassen sich so zwar nicht mehr verändern, diese Gene haben ihre Arbeit bereits getan. Aber auf sehr viele Eigenschaften, die Gene erst nach der Geburt steuern, können Umwelteinflüsse einwirken, also etwa der Erzieher in der Kita, die Lehrerin, der Fußballtrainer – jeder kann prägenden Einfluss auf die Gene eines anderen Menschen nehmen, nicht nur Eltern.

Und ja, es funktioniert auch umgekehrt. Auch Kinder können die Gene Erwachsener manipulieren. Etwa von Eltern, die sich fest vorgenommen hatten, der Trotzphase ihres Kindes zu trotzen. Und trotzdem das Eis kauften.

Was wir zum Leben mitbekommen und was wir weitergeben jeden Sonntag Geschichten rund um Gene und mehr in der „Erbonkel“-Kolumne des Genetikers und Wissenschaftsjournalisten Sascha Karberg.

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