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Seit der Bergung aus dem Gletschereis muss die Mumie künstlich konserviert werden.

© imago/Belga/dpa

Heute vor 32 Jahren: Der Mann aus dem Eis

Zunächst hielt man den Leichnam für den eines kürzlich verunglückten Bergsteigers. Damit lag man nicht völlig falsch, aber „Ötzi“ war früher umgekommen, viel früher.

Eine Kolumne von Patrick Eickemeier

Das Ehepaar war abseits der markierten Pfade unterwegs. Am 19. September 1991, heute vor 32 Jahren, überqueren Erika und Helmut Simon beim Abstieg von der Fineilspitze in den Ötztaler Alpen ein Schneefeld am Tisenjoch. Sie entdecken Kopf, Schultern und einen Teil des Rückens einer menschlichen Leiche, die aus dem Eis herausragen. Es ist die Geburtsstunde „Ötzis“, der die Wissenschaft bis heute beschäftigt.

Die Simons vermuten, dass es sich um einen verunglückten Bergsteiger handelt und liegen damit ja auch nicht falsch. Sie informieren den Wirt einer Hütte in der Nähe, die Bergung wird vorbereitet und erfolgt am nächsten Tag. Niemand ahnt, welchen Sensationsfund man gemacht hat.

Seither wurde viel über den Mann herausgefunden, der bei seiner Alpenwanderung verstarb, aber einige Geheimnisse wird Ötzi für sich behalten. Dazu gehören der Grund, aus dem er sich auf die gefährliche Wanderung begeben hatte und wie er zu Tode kam.

Die Bergungsaktion wird nicht wissenschaftlich geleitet. Es passieren Fehler. Die Mumie wird an mehreren Stellen beschädigt, ein Birkenrindengefäß, das der Mann mit sich geführt hatte, zerbricht, sein Beinkleid wird beschädigt und seine Axt wird zunächst von der Söldener Polizei sichergestellt.

So könnte Ötzi zu seinen Lebzeiten ausgesehen haben.

© Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology/dpa

Doch die wissenschaftlichen Untersuchungen liefern nach und nach Einzelheiten über Ötzi und seine Ausrüstung: Zum Zeitpunkt seines Todes vor etwa 5300 Jahren war der Mann wahrscheinlich um die 45 Jahre alt, etwa 1,60 Meter groß und wog 50 Kilogramm. Er hatte einen aus Gras gefertigten Umhang, Gürtel und Gürteltasche aus Kalbsleder, Feuerstein, ein Birkenrindengefäß wahrscheinlich für Glut, einen Dolch, das Kupferbeil, ein Bogenstab, Schnüre aus gedrilltem Gras, eine Art Rucksackgestänge aus Haselstöcken und er trug Schuhe, die mit Gras ausgestopft waren.

Erst zehn Jahre nach dem Fund entdecken Forschende auf Röntgenbildern der Mumie einen Schatten, der sich als steinerne Pfeilspitze erweist. Ein Pfeil muss Ötzi von hinten getroffen und sein Schulterblatt durchschlagen haben, die Spitze blieb erst kurz vor der Lunge unterhalb des siebten Rippenbogens stecken. Ötzi war ermordet worden und der Fall bleibt ungeklärt.

Neueste wissenschaftliche Methoden verändern das Bild vom Mann aus dem Eis noch einmal grundlegend. Ein Forschungsteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und dem Institut für Mumienforschung von Eurac Research in Bozen analysiert Ötzis Genom. Der Anteil von Genen aus Anatolien eingewanderter Frühbauern ist ungewöhnlich hoch, berichten die Wissenschaftler. Ötzi könnte aus einer Alpenbevölkerung mit wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen stammen. Er sah wahrscheinlich auch anders aus, als man ihn sich bisher vorstellte. Er hatte dunkle Haut und zum Zeitpunkt seines Todes mit hoher Wahrscheinlichkeit nur noch wenige Haare auf dem Kopf.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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