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In seinen Fruchtkörpern bildet der Zunderschwamm drei verschiedene Materialtypen.

© picture alliance / imageBROKER/Alex Labhardt

Nachwachsender Dämmstoff: Pilz statt Plastik

Der Zunderschwamm, ein gewöhnlicher Baumpilz, besitzt ähnliche Eigenschaften wie leichte Kunststoffe. Er könnte Plastik ersetzen oder zumindest neuen Materialien als Vorbild dienen.

Pilze kommen wenigen in den Sinn, die an einen festen, stabilen Werkstoff denken – schwammig und weich sind eher ihre Attribute. Doch der mikroskopische und molekulare Aufbau von Pilzen wird für die Materialwissenschaft zunehmend interessanter. Manche von ihnen besitzen so vielversprechende Eigenschaften, dass sie sogar künftig einige Kunststoffe ersetzen könnten.

So eine Erkenntnis präsentierte kürzlich ein Team unter der Federführung von Forschenden aus Finnland im Fachblatt „Science Advances“. Sie untersuchten den Zunderschwamm Fomes fomentarius, einen weit verbreiteten Baumpilz, und stellten fest: Dank seiner molekularen Struktur könnte er als Vorbild, wenn nicht gar als Ersatz für verschiedene ultraleichte Kunststoffe dienen, zum Beispiel für Styropor. Als nachwachsender, ökologisch verträglicher Werkstoff könnte der Pilz die Produktion und den Verbrauch von Plastik reduzieren.

Wuchsformen bestimmen Eigenschaften

Der Fruchtkörper des Zunderschwamms, also jener hufförmige Teil, den der Pilz an Bäumen bildet, besteht aus drei geschichteten Gewebetypen. An seiner Oberseite ist der Pilz fest wie Sperrholz. Direkt darunter ist das Gewebe porös, und darunter wiederum bildet der Pilz eine Schicht aus senkrecht angeordneten Röhren, die etwa zwei Drittel des Fruchtkörpers ausmacht.

Den Grundbaustoff jeder Schicht bildet das Myzel: So wird das feine Netzwerk von Zellen genannt, das jedem Pilz seine typische Form verleiht. In jeder Schicht des Zunderschwamms ist das Myzel minimal verändert, was die Struktur des Gewebes bestimmt. In der obersten Schicht etwa liegen die Zellen dicht beieinander, in der mittleren Schicht sind sie ungleichmäßig und locker angeordnet, in der untersten wiederum bilden sie ein gleichmäßiges Muster.

Das bewirkt unterschiedliche Eigenschaften jeder Schicht, was den Zunderschwamm vielseitig einsetzbar macht. „Die Pilze übertreffen die meisten natürlichen und künstlich hergestellten Materialien, bei denen normalerweise Kompromisse bei Eigenschaften wie Gewicht oder Stabilität eingegangen werden müssen“, schreiben die Forschenden um Studienleiter Pezhman Mohammadi vom VTT Technical Research Centre of Finland in Espoo. Das poröse Gewebe ließe sich zum Beispiel als Dämmstoff für Lautstärke oder Wärme verbauen, oder als Stoßdämpfer in Sporthelmen.

„Vielversprechende Zellfabrik“

Der Zunderschwamm wird bereits seit Jahrtausenden als Werkzeug verwendet – allerdings auf ganz andere Weise. Weil sein Gewebe lange glimmt, wurde es als Anzünder genutzt, was ihm seinen Namen eingebracht hat. Zudem lässt sich sein Gewebe in ein lederartiges Textil umwandeln, aus dem in der Vergangenheit zum Beispiel Hüte gefertigt wurden.

Nun steht ein neues Kapitel für seine Nutzung an: als Kunststoffersatz. „Wir glauben, dass unsere umfassenden Untersuchungen zu den Mechanismen von Struktur, Chemie und Eigenschaften eine Inspirationsquelle für die Herstellung von multifunktionalen Materialien auf Myzelbasis in der Zukunft bieten können“, schreibt das Team.

Bereits heute bieten Unternehmen wie das US-amerikanische Start-up „Ecovative“ Materialien an, die auf Pilzmyzel basieren. Im vergangenen Jahr bereits zeigte eine andere Forschungsgruppe , dass das Zunderschwamm-Gewebe vergleichbare Eigenschaften hat wie EPS, ein Dämmstoff aus Polystyrol, der zum Beispiel in Hauswänden verbaut und um dessen umweltgerechte Entsorgung gerungen wird.

Ihren Daten zufolge könnte der Zunderschwamm „eine vielversprechende Zellfabrik für die künftige Entwicklung von Pilzverbundwerkstoffen darstellen, die synthetische Schaumstoffe wie EPS ersetzen“, schrieben sie damals. Sie wiesen jedoch auch darauf hin, dass dafür weitere Materialeigenschaften wie Wärmedämmung, Wasserfestigkeit, Langzeitstabilität und Alterung in zukünftigen Versuchen überprüft und wahrscheinlich optimiert werden müssten.

Pilzstoff aus dem Labor

Ein Prozess, der vor einer Anwendbarkeit der Erkenntnisse in jedem Fall beschleunigt werden müsste, wäre die Herstellung von Zunderschwamm-Pilzgewebe. Denn in der Natur dauert es sieben bis zehn Jahre, bis Fomes fomentarius einen Fruchtkörper voll ausbildet. Vorhandene Pilze aus Wäldern zu ernten, würde nicht in Frage kommen: Zwar werden Baumpilze wie der Zunderschwamm häufig als Schädlinge betrachtet, doch erfüllen sie in Wäldern wichtige Aufgaben, indem sie beispielsweise Totholz zersetzen.

Doch Mohammadi und sein Team sind sich dieser Hürde bewusst. In zukünftigen Versuchen wollen sie unter anderem die Herstellung von Pilzgewebe im Labor erproben. Gelänge es, den Pilz in Zuchtanlagen zu kultivieren, könnte durch optimierte Bedingungen der Wachstumsprozess der Pilze auf wenige Wochen verkürzt werden, vermuten die Forschenden.

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