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So ähnlich dürfte „Tujiaaspis vividus“ ausgesehen haben, der bereits Flossensäume am Bauch hatte, aus denen sich später paarige Flossen entwickelten, die noch später zu den vier Gliedmaßen der Landwirbeltiere wurden.

© Illustration: Qiuyang Zheng

Neuer Fossilienfund aus China: So sind Menschen zu ihrem Kiefer gekommen

Vor 440 Millionen Jahren entwickelte sich in Fischen nicht nur der Kiefer, mit dem heute die meisten Wirbeltiere zubeißen, sondern auch Vorläufer der Flossenpaare, aus denen später Gliedmaße wurden.

Der starke, gelenkige Kiefer, mit dem Menschen heute zubeißen, entwickelte sich vor über 440 Millionen Jahren in Fischen – so wie andere wirbeltiertypische Eigenschaften, wie paarige Flossen, aus denen später Arme und Beine wurden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Team um Min Zhu von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. Gleich vier Studien veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift „Nature“.

„Damals spielte die Entwicklung mit den grundlegenden Plänen für den Körperbau“, erklärt der Paläontologe Jürgen Kriwet, der an der Universität Wien die Geschichte der Fische erforscht und nicht an den Studien beteiligt war. Nach einem Massenartensterben vor 444 Millionen Jahren entstanden in dieser Epoche nicht nur die Kiefer, die ein Zubeißen und Festhalten der Nahrung ermöglichten, sondern auch Vorläufer der Flossenpaare, aus denen sich Vorder- und Hinterbeine der Wirbeltiere entwickelten, die jeweils die Manövrierfähigkeiten der Tiere verbesserten. Bisher waren nur wenige Fossilien bekannt, die einen genaueren Blick in diese Epoche ermöglichen.

Min Zhu und seine Gruppen stellt nun zwei bisher unbekannte Orte vor, die Fische mit recht unterschiedlichen Bauplänen zeigen. Einer davon ist ein 436 Millionen Jahre alter Fisch, der auf den Namen „Tujiaaspis vividus“ getauft wurde. Diese Art gehört zu einer „Galeaspida“ genannten Gruppe, von deren Mitgliedern nur etwas über den Kopfteil bekannt war.

Tiere eroberten neue Lebensräume

Die Fische hatten einen abgeflachten Schädel, der von einem starken Knochenschild gepanzert war. Auf der Unterseite war das Maul, das aber noch keine Kiefer hatte. Trotzdem sind diese längst ausgestorbenen Tiere nur sehr entfernt mit den letzten noch heute lebenden kieferlosen Tieren wie Neunaugen und den Schleimaalen  verwandt.

Zum ersten Mal fand das Forschungsteam auch den hinteren Teil dieser Art. Auf dem Rücken hatte sie drei Gebilde, die modernen Flossen ähneln. Am Ende befindet sich noch eine Schwanzflosse. Entstanden dürften diese vermutlich aus einem Flossensaum, der sich auf dem Rücken vom Schwanz bis zum Kopf zog. „Am Bauch aber war dieser Saum in zwei Hälften geteilt“, erklärt Jürgen Kriwet. Genau diesen doppelten Flossensaum hat „Tujiaaspis vividus“ noch.

Der Panzerfisch „Xiushanosteus mirabilis“ hatte vor 436 Millionen Jahren bereits gut bewegliche Kiefer, mit denen er viel besser fressen konnte als kieferlose Tiere.

© Heming Zhang

Computersimulationen zeigen, dass die Gebilde den Fisch nicht nur wendiger machen, sondern auch zusätzlichen Auftrieb verleihen. Diese gesteigerte Manövrierfähigkeit nutzten die Tiere aus, um einen neuen Lebensraum zu erobern: Waren die Arten vorher meist in der Nähe des Meeresbodens unterwegs, konnten sie jetzt durch offenes Wasser weit über dem Grund schwimmen.

Zum ersten Mal konnten die Fische also ihr Maul weit aufreißen.

Jürgen Kriwet, Paläontologe an der Universität Wien 

Die beiden Flossensäume am Bauch konnten sich dann später zu einzelnen Flossen entwickeln, die viel zur Wendigkeit der heutigen Fische beitragen. Diese Paare sind bei heutigen Knochenfischen vorne über einen Schulter- und hinten über einen Beckengürtel mit der Wirbelsäule verbunden. Als sich die ersten Fische an Land wagten, konnten diese beiden Flossenpaare wohl rasch zu den vier Beinen umgestaltet werden, mit denen viele Wirbeltiere heute unterwegs sind.

Im Laufe der Evolution wurden auch weitere Körperteile umgestaltet, wie die Studien zeigen. Während die kieferlosen Fische oft noch einen sehr massiven Schultergürtel hatten, verschlankte diese Verbindung stark und ermöglichte so eine deutlich höhere Beweglichkeit des Kopfes. „Zum ersten Mal konnten die Fische also ihr Maul weit aufreißen“, erklärt Jürgen Kriwet. Und so ihre Nahrungsaufnahme weiter beschleunigen und verbessern.

Das Team beschreibt auch die bisher ältesten Zähne in den Kiefern. Wie wichtig diese sind, zeigen heute Sandtigerhaie, die ihre Zähne jede Woche erneuern, um so mit einem messerscharfen Gebiss zuverlässig jagen zu können. Auch den Weg zu Knorpelfischen hatte die Evolution damals schon begonnen: So fanden die chinesischen Forschenden auch einen sehr frühen Stachelhai, der ein Vorfahre der heutigen Haie und Rochen gewesen sein könnte.

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