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Bilder von Gesicht, Zunge und Netzhaut nutzt eine KI für die Altersbestimmung. (Symbolbild)

© Getty Images/View Stock RF

Zeig mir Zunge, Gesicht und Auge: KI berechnet biologisches Alter

Man ist so alt, wie man sich fühlt. In der Tat: Kennen Ärzte das biologische Alter eines Patienten, können sie aus der Differenz zum chronologischen Alter auf Krankheiten schließen.

„Strecken Sie mal die Zunge raus!“ Bislang zielen Ärzte mit dieser Aufforderung vor allem auf einen freien Blick in den Hals ab. Das könnte sich allerdings ändern, wenn sich eine Technik durchsetzt, die am Montagabend im US-amerikanischen Fachblatt „PNAS“ von einer chinesischen Forschungsgruppe vorgestellt wurde: Mithilfe eines Blicks auf die Zunge, das Gesicht und in die Augen des Patienten kann ein KI-Modell das biologische Alter eines Patienten abschätzen. Wich es stark vom tatsächlichen Alter ab, war das ein statistisch signifikanter Hinweis auf eine chronische Erkrankung, schreiben Jinzhuo Wang von der Universität Peking und Kollegen.

Die Forschung sucht schon lange nach einem zuverlässigen Weg, das biologische Alter eines Menschen zu bestimmen. Das ist nicht nur nützlich, um bei Unwissenheit über oder Zweifeln am tatsächlichen, chronologischen Alter eines Menschen die Lebensjahre realistisch einschätzen zu können – etwa bei der Frage, ob ein Migrant minder- oder volljährig ist.

5,43
Jahre weicht das biologische Alter von Rauchern von ihrem tatsächlichen Alter ab.

Das Alter ist auch für Mediziner ein wichtiger Faktor bei der Diagnose, um das Risiko ihrer Patienten für bestimmte chronische Krankheiten einschätzen zu können: Herz-Kreislauf- oder Demenzerkrankungen nehmen im Alter zu und sind somit wahrscheinlicher.

Alter aus dem Erbgut lesen

Ansätze, das biologische Alter zu bestimmen, gibt es viele. So lässt sich etwa das Alter von Blutzellen über die Länge der Chromosomenenden, der Telomere, abschätzen. Eine andere Methode misst bestimmte Anhängsel am Erbgut, Methylierungen, für eine Altersangabe. Allerdings bedarf es dafür einer Blutabnahme oder Gewebeprobe. Weniger invasiv sind CT- oder MRT-Bilder des Gehirns, Bilder vom Gesicht oder von der Netzhaut im Auge, die ebenfalls herangezogen werden, um die bereits verstrichene Lebenszeit eines Menschen zu bestimmen.

Zwar sind auch einige der genannten Methoden mithilfe von Künstlicher Intelligenz optimiert worden. Doch das Team um Jinzhuo Wang entschied sich nun, ein KI-Modell auf die Altersvorhersage mittels gleich mehrerer Informationen zu trainieren.

Sie speisten 3D-Bilder von Gesichtern, Zungen und Netzhäuten von 11.223 gesunden Menschen (Mitte 40 bis Mitte 60; 52 Prozent Frauen) ein, um das biologische Alter zu schätzen. „Gesichtsbilder können auf die Gesundheit der Haut hinweisen, Zungenbilder auf die Gesundheit des Mikrobioms im Mund und Darm und Netzhautbilder auf die Gesundheit des neurologischen und kardiovaskulären Systems“, schreiben die Forschenden.

Tatsächlich stellte das Team fest, dass bei 2840 Menschen mit chronischen Krankheiten das geschätzte biologische Alter signifikant vom tatsächlichen Alter abwich. Patienten mit chronischen Herzerkrankungen erschienen der KI biologisch im Mittel 3,16 Jahre älter als tatsächlich, bei chronischen Gefäßerkrankungen waren es 4,51 Jahre, 3,94 bei Diabetes, 4,06 Jahre bei Patienten mit Bluthochdruck und sogar 4,94 Jahre bei Schlaganfall-Patienten.

Krankheiten beschleunigen Alterung

Das stütze die Annahme, dass chronische Krankheiten die biologische Alterung beschleunigen. Das biologische Alter übertraf das tatsächliche übrigens auch bei jenen Testpersonen deutlich, die einen „ungesunden Lebenstil“ hatten: Bei Rauchern wich das biologische Alter um 5,43 Jahre ab, bei Menschen mit übermäßigem Alkoholkonsum um 3,62 Jahre und um 4,36 bei übergewichtigen Studienteilnehmern.

Offenbar stützte sich die KI bei dieser Abschätzung vor allem auf Unterschiede in der Augenpartie auf den Gesichtsbildern, in den Regionen nahe der Lippe und in der Mitte der Zungenbilder. Bei den Netzhautbildern stützte sie sich auf subtile Differenzen in der Region mit der höchsten Blutgefäßdichte.

Anders als die Altersbestimmung aus Blut- oder anderen Zellen, argumentieren Wang und Kollegen, wäre eine KI-gestützte, auf Bildern von Gesicht, Zunge und Netzhaut beruhende Altersbestimmung sowohl nicht-invasiv als auch kostengünstig genug, um sie in die ärztliche Untersuchung zu integrieren.

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