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Michel Würthle (1943-2023) im Jahr 2007 in seinem Lokal vor dem berühmten Kippenberger-Gemälde, das die Bar selbst darstellt.

© IMAGO/Jannis Chavakis

Der Wirt als Künstler: Zum Tod von Michel Würthle von der Berliner „Paris Bar“

In der Nacht zu Donnerstag starb der Mann, der die „Paris Bar“ bekannt gemacht hat. Ein solches Lokal zu führen, ist eine anstrengende Art, unsterblich zu werden.

Jeder Besuch ein kleines Wagnis: Da war die lauernde Möglichkeit – selbst für prominentere Menschen – in der „Paris Bar“ abgewiesen zu werden. Es gab die Genugtuung, persönlich begrüßt zu werden. Oder die Demütigung, einen Tisch nur vor der Klotür bekommen zu haben.

München hat Charles Schumann und seine Bar mit der strengen Tür. Berlin hatte Michel Würthle und seine „Paris Bar“. Der Österreicher, der 1979 in der Charlottenburger Kantstraße das Künstlerlokal übernommen hatte, verankerte es als Fixstern am Himmel der West-Berliner Gesellschaft. Und er betrieb diese Institution lange Jahre mit der Leidenschaft eines Künstlers.  

Ein gutes Lokal, das wusste der Wirt aus Wien, ist ein Ort, an dem das Geistige und das Irdische zusammenfinden. Auch Künstler müssen essen. Und weil Würthle eine Verachtung pflegte für Geld – oder besser: Für Leute, für die Geld die Triebfeder ihres Tuns war, konnten Künstler, die bei ihm aßen, in ihrer eigenen Währung zahlen: Martin Kippenberger etwa zahlte in Bildern, eines prangte jahrelang an der Stirnseite des Raumes.

Reis mit Scheiß zum halben Preis

Andere zahlten mit der Unterhaltsamkeit ihrer Person oder der Strahlkraft ihrer Prominenz, die sich auf den Ort übertrug und ihn zu jenem Magneten machte, dessen Anziehungskraft in den 80er Jahren bis New York zu spüren war.  Weshalb alle in die Kantstraße pilgerten: Iris Berben, Billy Wilder, Wolfgang Joop, Jean-Luc-Godard. Markus Lüpertz. Jack Nicholson. Gina Lollobrigida. Jil Sander. Damien Hirst.

Würthle studierte Kunst in Wien, bevor er zunächst mit seinem Freund, dem Schriftsteller Oswald Wiener und dessen Frau Ingrid am Maybachufer in Kreuzberg das „Exil“ gründete. Legendär sein erster Schlagabtausch mit Martin Kippenberger, der eines Tages hungrig dort auftauchte: „Was gibt’s?“, kofferte Kippenberger. „Reis mit Scheiß“, konterte Würthle. „Zum halben Preis“, verlangte Kippenberger. Die Freundschaft war besiegelt.

Das Lokal als Kunstwerk

Als in den 70ern euphorisch neue Kunstformen entdeckt wurden, lieferte Würthle seinen eigenen Beitrag: das Lokal als Kunstwerk, der Wirt als Künstler. Er war der Urheber eines Schauspiels, dass allabendlich in immer neuer Form entstand. So hatte Würthle einen Ort geschaffen, der noch am ehesten mit dem damals berühmten „La Coupole“ in Paris oder der legendären „Kronenhalle“ in Zürich vergleichbar war. Und das Werk wuchs, wie bei jeder guten Kunst, über seinen Autor hinaus: Unter idealen Brutbedingungen entstand bei bestem französischem Essen im rumpeligen, uneleganten Berlin eine Truppe, die man endlich als so etwas wie „Gesellschaft“ bezeichnen konnte.

Doch ein Lokal jener Sorte zu führen ist eine sehr anstrengende Art, unsterblich zu werden: Es verlangt stetige Präsenz. Würthle verschrieb sich der „Paris Bar“ vollkommen: Die langen Nächte, die rauen Witze, die vielen Flaschen, („Vor elf keine Rauschmittel!“), die rituelle Wiederkehr der Berlinalen und Kunstereignisse – zusammengenommen ein Lebenswerk. Geschaffen in stets eleganter Kleidung.

Nur das Geld, die Notwendigkeit, sich richtig zu kümmern, hatte er dann doch unterschätzt. Nach einem unangenehmen Steuerstrafverfahren musste er schon vor Jahren das Lokal verkaufen. Auch das inzwischen Millionen werte Kippenberger-Bild musste geopfert werden. Fortan war Würthle in seiner ehemaligen Bar nur noch als Stammgast und guter Geist präsent.

Von seiner Krebsdiagnose war er geschockt.  Dazu kam die zehrende Coronazeit. Er blieb zuhause, malte, schrieb und zeichnete: Ein Werk über sein Werk. Unter dem Namen „Paris Bar Press Confidential“ erschienen im Steidl-Verlag im vergangenen Jahr sechs schwerwiegende Bände im Schuber. Er starb in der Nacht zum Donnerstag mit 79 Jahren.

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