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Der umstrittene Polizeieinsatz am 20. April.

© MDR Investigativ

Klimaaktivist klagt gegen Schmerzgriff: Diskussion um Maßnahmen der Berliner Polizei soll vor Gericht

Der Klimaaktivist Lars Ritter und die Gesellschaft für Freiheitsrechte reichen am Dienstag Klage ein. Im Visier: der Schmerzgriff bei Klimablockaden der Letzten Generation.

Immer wieder war er bei Polizeieinsätzen gegen Blockaden der Klimagruppe Letzte Generation im Einsatz – der Schmerzgriff. Der prominenteste Fall war in einem Video vom 20. April zu sehen, das in den sozialen Netzwerken breite Resonanz fand.

Lars Ritter aus Leipzig, Klimaaktivist bei der Letzten Generation in Vollzeit, 20 Jahre alt, wurde an diesem Tag von Polizisten mit einem Schmerzgriff von der Straße des 17. Juni geholt – und er schrie vor Schmerzen.

Am Dienstag reicht Ritter, unterstützt von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, Klage beim Verwaltungsgericht Berlin ein. Demnach soll das Gericht feststellen, dass der Einsatz des Schmerzgriffes bei Lars Ritter rechtswidrig war.

„Hier geht es nicht darum, ob man die Protestformen der Letzen Generation gut findet“, sagte Anwalt Patrick Heinemann dem Tagesspiegel. „Hier geht es um die Frage, ob die Polizei Schmerzgriffe einsetzen darf, die nicht erforderlich sind. Ich sage klar: Nein.“

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„Es ist auch bei der Polizei angekommen, dass Wegtragen das mildere Mittel ist. Doch vereinzelt machen Polizisten noch vom Schmerzgriff Gebrauch“, sagte Ritter dem Tagesspiegel. „Mein Ziel ist es, den Gerichten, der Polizei und der Gesellschaft klarzumachen, dass es nicht gerechtfertigt ist, mit Gewalt dagegen vorzugehen, wenn Menschen friedlich auf die Straße gehen.“

Bereits im Mai hatte es Ritter per Eilverfahren versucht. Doch das Verwaltungsgericht ließ ihn abblitzen – und wies den Eilantrag als unzulässig zurück, ebenso den Versuch, die Polizei zum Unterlassen des Schmerzgriffes zu verpflichten. Es habe keine Wiederholungsgefahr bestanden, Ritter habe nicht ausreichend dargelegt, warum ihm nun der Schmerzgriff erneut droht – obwohl der 20-Jährige angekündigt hatte, sich weiter an Sitzblockaden in Berlin beteiligen zu wollen.

Auf dem Video ist zu sehen, wie ein Berliner Polizist eine Blockade nahe der Siegessäule auflöst. Mehrfach hatte die Polizei die Blockierer aufgefordert, die Fahrbahn zu verlassen. Ein Beamter warnte Ritter davor, ihm Schmerzen zufügen zu müssen, wenn er nicht die Straße verlässt. Dann zerrten zwei Beamte den Mann von der Straße und setzten den Schmerzgriff ein. Wenige Tage danach leitete die Polizei von Amts wegen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt ein.

„Ich habe die Polizisten darum gebeten, sitzen bleiben zu können oder weggetragen zu werden. Der Polizist hat mir dann eine klare Ansage gemacht, dass er mir Schmerz zufügen werde, wenn ich mich nicht wegbewege“, sagte Ritter.

Der Einsatz von Zwangsmitteln kann als unmenschliche und erniedrigende Behandlung gegen das menschenrechtliche Folterverbot verstoßen.

Gesellschaft für Freiheitsrechte

Laut Klageschrift empfand Aktivist Ritter die schmerzhafte Behandlung vor den Augen der Medienöffentlichkeit als erniedrigend. Er habe länger andauernde Schmerzen erlitten.

Dem Tagesspiegel hatte die Polizei erklärt, dass keine Techniken genutzt würden, die per se Schmerzen als Ziel hätten. Erlaubte Mittel seien gesetzlich geregelt. Das Ziel sei das „für alle Beteiligten möglichst wenig verletzungsträchtige und ungefährliche Überwinden eines Widerstandes“. Schmerz entstehe nur, wenn Betroffene sich der Bewegungsrichtung widersetzten.

Anwalt Heinemann hält es in diesem Fall aber für einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Der Schmerzgriff sei nicht nötig gewesen, weil auch das Wegtragen möglich gewesen wäre. Dafür seien ausreichend Einsatzkräfte vor Ort gewesen.

Die Polizei dürfte sich nicht darauf berufen, Beamte vor Ort vor körperlicher Überlastung schützen zu wollen. Der Schmerzgriff habe Ritter auch in seiner Würde verletzt. Zudem beeinträchtige der Schmerzgriff die Versammlungsfreiheit von Betroffenen, sie könnten eingeschüchtert und von weiteren Spontanversammlungen abgehalten werden.

„Schmerzgriffe sind Nervendrucktechniken aus dem Kampfsport, die durch Druck oder Hebelwirkungen heftige Schmerzen auslösen“, erklärte die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Gezielt und unnötig Schmerz zuzufügen, um eine friedliche Demonstration aufzulösen, verstoße gegen Grundrechte. „Der Einsatz von Zwangsmitteln, deren Ziel die Zufügung von Schmerzen und die Angst der Person vor den Schmerzen sind, kann als unmenschliche und erniedrigende Behandlung gegen das menschenrechtliche Folterverbot verstoßen.“

Ziel der Klage sei es, „die sehr engen Grenzen für den Einsatz von Schmerzgriffen“ bei friedlichen Protesten „gerichtlich feststellen zu lassen“. Der Verein will mit strategisch eingesetzten Klagen Grund- und Menschenrechte in Deutschland verteidigen und ausbauen.

Jörn Badendick, Sprecher des Berufsverbandes „Unabhängige in der Polizei“, begrüßte das Vorgehen. „Ich finde es hilfreich, wenn die Gerichte solche Rechtsfragen abschließend klären. Das gibt den Einsatzkräften vor Ort mehr Handlungssicherheit“, sagte Badendick.

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