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Karoline Edtstadler ist Bundesministerin für EU und Verfassung.

© Imago/Michael Indra

Europaministerin im Interview: „Wenn Putin nach Österreich käme, würde er verhaftet werden“

Karoline Edtstadler von der konservativen ÖVP beharrt auf der militärischen Neutralität Österreichs. Im Interview spricht sie über den Vorwurf der „Trittbrettfahrerei“ und Bankgeschäfte in Russland.

Österreich werde die Ukraine auch weiterhin nicht militärisch unterstützen, das hat der österreichische Bundeskanzler Nehammer kürzlich gesagt. Seit mehr als einem Jahr tobt dieser Krieg vor den Toren der EU – ist so eine Aussage noch zeitgemäß?
Karoline Edtstadler: Wir waren immer sehr klar. Österreich ist militärisch neutral, aber keinesfalls politisch neutral. Wir sind solidarisch mit den Menschen in der Ukraine, wir unterstützen sie humanitär und wirtschaftlich, aber eben nicht, wenn es um Waffenlieferungen geht. Umgekehrt blockieren wir keine Beschlüsse von Unterstützungsleistungen aus der EU, aufgrund der sogenannten „irischen Klausel“ und unserer konstruktiven Enthaltung, die wir hier vornehmen.

Ist Österreich eher „gefühlsmäßig“ neutral? Es ist nicht bündnisfrei und nimmt an der Sky-Shield-Initiative der Nato teil.
Die Neutralität Österreichs steht seit 1955 in Verfassungsrang. Natürlich hat sie sich seither verändert, vor allem seit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 und der Möglichkeit, die Beistandspflicht zu erfüllen. All das ist möglich, obwohl wir neutral sind.

Was bedeutet das konkret?
Die Neutralität besagt, dass wir keine ausländischen militärischen Stützpunkte in Österreich zulassen und uns keinen militärischen Bündnissen anschließen dürfen. Daran halten wir uns und können trotzdem sehr viel an Unterstützung für die Ukraine leisten. Die Neutralität war für uns der Weg zur Freiheit und durchaus identitätsstiftend. Insbesondere hat sich Wien als Ort von Friedensverhandlungen und Sitz internationaler Organisationen etabliert.

Die Neutralität war eine Bedingung der Sowjetunion, wirklich Schutz bekommt Österreich heute nur von den Nato-Ländern. Kritiker werfen dem Land vor, „Trittbrettfahrer“ zu sein!
Wenn der 24. Februar nicht in dieser Art und Weise passiert wäre, dann hätten wir keine Änderung im Verteidigungsbudget, auch nicht in Deutschland. Trotzdem soll man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Woran hindert uns denn die Neutralität? Sie hindert uns nicht, politisch so zu agieren, wie wir es für richtig halten und die Ukraine zu unterstützen.

Sie verpflichtet uns, auch Österreich wehrhaft zu machen, das Verteidigungsbudget signifikant zu erhöhen oder mit anderen Ländern im Bereich der Luftabwehr oder des Luftraumschutzes eng zusammenzuarbeiten.

In Deutschland wird fast täglich hinterfragt, ob genug getan wird oder nicht.
Deutschland ist ein wesentlicher Player innerhalb der Europäischen Union, ganz besonders nach dem Ausstieg Großbritanniens. Wenn es konkret um den Krieg in der Ukraine geht, sind wir natürlich froh, wenn in einem bedeutenden Nato-Land wie Deutschland die richtigen Entscheidungen getroffen werden und Unterstützung fließt. Es ist aber legitim zu sagen, wir bleiben das, was wir sind: neutral, trotz der geänderten Situation und passen uns entsprechend an.

Käme der russische Staatschef Wladimir Putin nach Österreich, würde er dort verhaftet werden? In Ungarn passiert ihm nichts, hat Viktor Orban angekündigt.
Österreich wird seinen völkerrechtlichen und strafrechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Ich war in meinem Zivilberuf Strafrichterin und das Aussprechen und das Ausstellen dieses internationalen Haftbefehles des ICC (International Criminal Court. Anm.) bedeutet, dass, wenn er österreichischen Boden betreten sollte, eine Verhaftung durchzuführen ist.

Wo steht Österreich in Europa? Ihr Parteifreund, der EU-Abgeordnete Othmar Karas, hat den Brief einer Gruppe unterzeichnet, die eine „Debatte ohne Scheuklappen“ über die Neutralität fordert. Karas plädiert für eine Neuausrichtung der Sicherheitspolitik. Wie sieht die Ihrer Meinung nach aus?
Es braucht ein Neudenken in der Sicherheitspolitik, nicht nur der österreichischen, auch der europäischen. Was Othmar Karas und ich gemein haben: Wir wollen keine verkürzte Diskussion zum Thema Nato und Neutralität ja oder nein, sondern eine Überlegung, wie wir Österreich sicherer machen können in diesen krisengebeutelten Zeiten.

Wie zum Beispiel?
Im Bereich Cybersecurity haben alle Staaten Europas Aufhol- und Erweiterungsbedarf. Auch in der Luftsicherheit gibt es Bedarf, sich abzustimmen und gemeinsame Systeme zu etablieren.

Das Logo der Raiffeisenbank auf einem Gebäude hinter einem riesigen Denkmal für Lenin, den Gründer der UdSSR, in Moskau.

© AFP/Alexander Nemenov

Im Finanzsektor gilt Österreich aus westlicher Sicht teils als zu russlandfreundlich. Vor allem die Raiffeisenbank International sorgt mit ihren Verbindungen für Schlagzeilen. Sie soll an einem Deal mit der russischen Staatsbank Sberbank arbeiten, die auf der EU-Sanktionsliste steht.
Von Spekulationen über Tauschgeschäfte oder Sonstigem weiß ich nichts und will das nicht kommentieren. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass die Raiffeisen Bank International zugesichert hat, entsprechend der Sanktionen vorzugehen.

Abgesehen davon hat sich Österreich auch energiepolitisch sehr abhängig gemacht.
Rückblickend finde ich es auch nicht toll, dass wir vor Beginn des Angriffskrieges zu 80 Prozent von russischem Gas abhängig waren. Aber es ist ein Faktum. Genauso, wie wir das nicht von heute auf morgen ändern können, kann eine Bank ihr Geschäft nicht einfach zusperren und beenden.

Zuletzt wurde bei einer Aktionärsversammlung der RBI darüber gesprochen, die Geschäftsaktivitäten in Russland zu reduzieren. Es sind übrigens noch weit über 90 Prozent der europäischen und G7-Firmen in Russland tätig, haben sich nicht zur Gänze aus Russland zurückgezogen.

Es gibt in der Europäischen Union immer wieder Geschäftsbeziehungen zu Ländern, wo die Menschenrechtssituation nicht lupenrein ist. 

Karoline Edtstadler über die Geschäftsbeziehungen zu Russland

Ja, auch andere Firmen wie Kapsch und Kotányi machen nach wie vor Geschäfte in Russland.
Nicht nur österreichische Firmen und nicht unbedingt, weil sie es so großartig finden. Wenn wir bei der RBI bleiben, dann ist sie auch sehr aktiv in der Ukraine. Das wird wesentlich für den Wiederaufbau sein.

In der Ukraine gab es für die RBI schon Konsequenzen. Ihre russische Leasingtochter wurde sanktioniert, ihr Vermögen eingefroren.
Ja, aber sie ist meines Wissens nach trotzdem noch die größte ausländische Bank in der Ukraine mit Hunderten Filialen und Tausenden Mitarbeitern.

Russland ist für die RBI jedenfalls der beste Markt, sie hat ihren Nettogewinn mehr als verdoppelt. Ist es denn nicht unmoralisch, in einem Land Geschäfte zu machen, wo ein solcher Aggressor tätig ist?
Viele privatwirtschaftliche Unternehmen haben in den letzten Jahren Geschäftsbeziehungen im Osten gehabt und aufgebaut und bis zum 24. Februar 2022 war das nicht unüblich. Es gibt in der Europäischen Union immer wieder Geschäftsbeziehungen zu Ländern, wo die Menschenrechtssituation nicht lupenrein ist.

Was Putin gemacht hat, nämlich einen souveränen Staat zu überfallen, um mit der Waffe souveräne Grenzen zu verschieben, ist auf das Schärfste zu verurteilen. Dieser Situation muss man sich stellen, es wird sich aber nicht alles von heute auf morgen ändern. Das trifft umso mehr auf das Bankengeschäft zu. Entscheidend ist, dass die beschlossenen Sanktionen eingehalten werden  – und das werden sie.

Jetzt beschäftigt uns nicht nur der Krieg, die Pandemie ist nach wie vor präsent. Im flächenmäßig größten österreichischen Bundesland – Niederösterreich – hat sich Ihre Partei kürzlich mit der rechten FPÖ in einer Koalition geeinigt, Corona-Strafen zurückzuzahlen. Wer sich nicht an die Regeln hielt, wird jetzt belohnt – das diskreditiert doch den Einsatz jedes Einzelnen, auch von Institutionen und Krankenhäusern?
Sie kennen meine Aussage dazu und ich bleibe dabei. Im Bund ist es für uns kein Thema, dass Strafzahlungen, die damals unter aufrechten Verordnungen geleistet werden mussten, zurückbezahlt werden.

Österreich hat als erstes EU-Land die Impfplicht eingeführt. Sie haben es als gutes Gesetz bezeichnet. Wie sehen Sie das rückblickend?
Es war eines der modernsten Gesetze mit einem Vier-Stufen-Plan, damit hätte man auf die jeweilige Situation reagieren können. Ich spreche im Konjunktiv, weil die Impfplicht nie aktiv in Kraft getreten ist und das ist gut so. Mittlerweile ist das Gesetz komplett aus dem Rechtsbestand herausgenommen.

Warum hat man sie überhaupt beschlossen?
Der Beschluss war zum damaligen Zeitpunkt alternativlos. Der nächste Lockdown stand unmittelbar bevor und die Situation in den Krankenhäusern war extrem angespannt. Die Ärzte haben nicht gewusst, wie sie noch mit ihren zwei Händen Menschenleben retten sollen. 

Herbert Kickl (links), Bundesparteichef der FPÖ, und Udo Landbauer, Spitzenkandidat der FPÖ Niederösterreich.

© dpa / HELMUT FOHRINGER

In Niederösterreich hat die FPÖ zuletzt ein Rekordergebnis eingefahren. In Umfragen ist sie bundesweit auf Platz eins vor Ihrer Partei. Wie erklären Sie sich das?
Die Menschen sind krisenmüde, was verständlich ist. Auch die Regierung hätte es sich anders gewünscht, als nur gegen verschiedene Krisen anzukämpfen oder Antworten zu finden auf Themen, die es Generationen lang nicht gegeben hat. Das führt offenbar dazu, dass man gerne an einfache Lösungen glaubt.

In Zeiten, wo wir riesige gesellschaftliche Umbrüche erleben, gibt es diese aber nicht. Vieles können wir auch nicht nationalstaatlich lösen, da braucht es den gemeinsamen europäischen Ansatz. Wir tun jeden Tag alles, um den Menschen zu helfen, die unter Teuerung und hohen Preisen leiden.

Warum kommt das bei den Menschen nicht an?
Wenn etwas funktioniert, ist es in der Regel keine Headline. Die Regierung hat die kalte Progression abgeschafft, ein Projekt, das sich bereits viele Regierungen vor uns vorgenommen haben. Manchmal habe ich das Gefühl, man redet zu wenig über Erfolge. Da müssen wir selbst mehr trommeln, aber da eine Krise die andere ablöst, hat man kaum Zeit und ist ständig in diesem Strudel, neue Antworten finden zu müssen. 

Mit dieser prorussischen Kickl-FPÖ kann ich mir keine Regierung vorstellen.

Karoline Edtstadler (ÖVP)

Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach zeigt sich offen für eine Kommission zur Aufarbeitung der Corona-Politik. Ist so etwas in Österreich geplant oder wie gehen Sie damit um?
Der einzige Weg ist das Gespräch; und dann muss man immer wieder erklären, was damals war, heute und im Rückblick anders ist. In Österreich ist dazu ein breiter Dialogprozess geplant, der nach Ostern starten wird. Noch einmal: Es ist zynisch, sich wie Herbert Kickl hinzustellen und mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Wenn ich mich erinnere, was er in der Pandemie an gefährlichen Blödsinnigkeiten von sich gegeben hat, von der Teilnahme an Demonstrationen gemeinsam mit Antisemiten bis hin zum Wurmmittel gegen Corona, dann frage ich mich, warum es so viele gibt, die ihm Glauben schenken.

Sie haben mal gesagt, dass mit dieser FPÖ keine Regierung zu machen ist und auf deren Radikalisierung unter Parteichef Herbert Kickl verwiesen. Jetzt haben es Ihre Parteikollegen in Niederösterreich getan. Ist denn alles vergessen, was passiert ist? Die Ibiza-Affäre? Dazu die Aussagen der niederösterreichischen FPÖ, die als rassistisch und hetzerisch bezeichnet werden.
Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe: Mit dieser prorussischen Kickl-FPÖ kann ich mir keine Regierung vorstellen. Erst kürzlich hat sie wieder ein beschämendes Beispiel abgeliefert: Als der Präsident der Ukraine im Parlament gesprochen hat, sind die FPÖ-Abgeordneten demonstrativ ausgezogen.

In Österreich wird turnusmäßig 2024 gewählt. Sie bleiben bei Ihrer Aussage, dass Sie in einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung nicht mitmachen würden?
Dabei bleibe ich, mit einer prorussischen Kickl-FPÖ nicht. Für unsere Demokratie bleibt zu hoffen, dass sich irgendwann doch vernünftige Kräfte in der FPÖ durchsetzen.

Es ist nicht abwegig, dass es im Bund wieder eine Koalition zwischen ÖVP und FPÖ gibt.
Ich finde es völlig verfrüht, eineinhalb Jahre vor einer Wahl darüber zu spekulieren, mit wem man sich auf eine Koalition einigen könnte. Wichtiger ist jetzt eines zu tun: Sagen und zeigen, wofür man selbst und wir als Volkspartei stehen. Dafür ist während dieser ganzen Krisenbewältigung keine Zeit gewesen.

Man muss den Menschen auch Leitlinien anbieten, in welche Richtung sich Österreich innerhalb Europas bewegen sollte. Und dann hoffe ich, dass dieses Rennen zwischen den Parteien noch offen ist und wir es vielleicht schaffen, die Menschen zu überzeugen.

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