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Im Ausland geboren, aber inzwischen auch keine Fremde mehr in Italien: Pizza mit Ananas oder „Pizza Hawaii“.

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Italienischer Koch belegt Pizza mit Ananas: „Gerade ist mir nach Weinen zumute“

Pizza mit Ananas – in Italien regt das immer wieder auf. Dabei halten die Spitzen-Pizzabäcker des Landes den süßen Belag für keine Todsünde. Das Gegenteil ist der Fall.

„Leute, bitte regt euch nicht gleich auf“, beschwor Gino Sorbillo seine Fangemeinde auf Instagram. Der Pizzabäcker aus Neapel hatte da gerade etwas ganz Eigenes aus dem Holzofen gezogen. „Sie ist gut, wirklich.“ Sprach’s und schob sich ein Stück Pizza bianca in den Mund. Belegt mit Ananasscheiben.

Seine Bitte blieb ungehört, die Posts unter dem Video, das Sorbillo kurz vor Silvester ins Netz gestellt hatte, gingen hart mit dem vermeintlichen Landesverräter ins Gericht: „Echte Pizza ist etwas anderes, überlassen wir die hier den Amerikanern“, schrieb jemand. „Das hat nichts mit Tradition zu tun“, lautete ein weiterer Kommentar, offenbar als Antwort auf Sorbillo, der seine Traditionsverbundenheit betont hatte.

„Nichts als Marketing, um sich bekannt zu machen“, brummte wer. „Ich schätze dich eigentlich“, hieß es in einem Post, „aber gerade ist mir nach Weinen zumute. Ein Hoch auf die Pizza Margherita, ein Leben lang!“

Eine kleine Kulturgeschichte der Pizza Hawaii

Man darf Sorbillo glauben, als er seinen Kritiker:innen versicherte, dass er keine Ananas braucht, um sich bekannt zu machen. Neben dem Stammgeschäft in Neapels Altstadt gehören ihm eine Dependance im Hafen und mittlerweile Filialen in Mailand, Genua, Turin, Rom, Miami und Tokio. Sorbillo dürfte das bekannteste Gesicht von Italiens weltweit beliebtestem Exportgut sein.

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Ein Tabubrecher ist er allerdings nicht, auch wenn das sein Auftritt im Netz suggeriert. Die Tageszeitung „Corriere della sera“ nahm die Aufregung um „Italiens verhasstestes Gericht“ zu Jahresbeginn zum Anlass für eine kleine Kulturgeschichte der Pizza Hawaii.

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Millionen Pizzen sollen in Italien täglich gegessen werden.

Ergebnis: Sie ist nicht gerade ein Landeskind. Zum ersten Mal hat sie angeblich 1962 ein griechischer Immigrant in Kanada in seinem Lokal aufgetischt, auch Deutschlands erstem Fernsehkoch der 1950er Jahre, Clemens Wilmenrod, wird ein Anteil zuerkannt, weil er aus Weißbrot, Kochschinken, Ananas und Scheibenkäse „Toast Hawaii“ zusammenbastelte, einen der Partykracher der westdeutschen Fresswelle.

Kein Obst aus der Dose und nie Tomaten!

Aber eine wirkliche Exotin ist die Pizza mit Ananas auch in Italien nicht. Im Gegenteil: Gerade die feineren Pizzaioli schätzen die Kombination, die den Traditionsgläubigen ein solcher Graus ist. Die Zeitung zählt ein gutes halbes Dutzend bekannter italienischer Küchenchefs auf, die Pizza all’ananas auf ihren Speisekarten führen.

Einer von ihnen ist Franco Pepe, Patron des Restaurants „Pepe in grani“ in Caiazzo, einer Gemeinde etwa 50 Kilometer nördlich von Neapel. „Es gibt viele Vorurteile gegen Ananas auf Pizza“, sagt er dem Tagesspiegel. Er teilt sie ebenso wenig wie viele seiner Gäste: „Sie steht auf der Karte und wird in unserem Restaurant oft bestellt.“ Sie wurde schon auf der Mailänder Messe für gehobene Gastronomie ausgezeichnet, Pepe selbst vom Staatspräsidenten zum „Cavaliere“ ernannt für seine Verdienste um die nationale Küche.

Wie stets komme es auch hier auf die Qualität der Zutaten an, sagt Pepe. „Die Ananas muss frisch sein, aus der Dose ist das reiner Zucker.“ Tomatensauce dürfe auch nicht sein – Pizza bianca und Pizza rossa sind in Italien sowieso zwei Welten – und dann gehört auf den bei Pepe sorgsam hergestellten Pizzateig die richtige „fonduta“ aus Käse.

Auch so kann Pizza aussehen: Manche seiner Spezialitäten, hier die mit Ananas, serviert Chef Pepe als Hörnchen.

© Luciano FURIA

„Das arbeitet die Süße und Frische der Ananas sehr gut heraus.“ Gäste mit geübtem Geschmack wüssten das zu schätzen. „Statt sie zu verteufeln“, meint Pepe, „sollte man sie einfach einmal essen.“

Italiens Traditionen made in USA

Und wo bleibt die Tradition, Maestro? „Ich bin sehr für Tradition, aber es muss auch Platz für Innovation, für Entwicklung sein“, sagt Pepe. Auf handwerklich hergestelltem bestem Pizzateig sei vieles möglich.

Ich bin sehr für Tradition, aber es muss auch Platz für Innovation, für Entwicklung sein.

Franco Pepe, Bäcker und Pizzaiolo in dritter Generation

Mit der Tradition, dem meist bemühten Argument gegen die goldfarbene süße Pizza, ist es sowieso so eine Sache. Auch Pizza Margherita, die Mutter aller Pizzen und Ursprung des globalen Mythos, gab es nicht schon immer.

Ein neapolitanischer Pizzabäcker kreierte die Scheibe in den Landesfarben Grün (Basilikum), Weiß (Mozzarella) und Rot (Tomate) anlässlich des Besuchs von Italiens erster Königin, Margherita von Savoyen, in Neapel. Im Sommer 1889 war das, vor einer historischen Minute also.

Und Amerika, von Franco Pepes Landsleuten gern für ihre kulturelle Aneignung der eigenen Küchenkultur verspottet, dürfte im Gegenteil Ursprungsland von einigem sein, das als echt italienisch gilt.

Spaghetti alla carbonara wurde in Wirklichkeit in den USA erfunden, von Eingewanderten aus Italien, die ihre Pasta eben mit dem zubereiteten, was sie in der Neuen Welt dafür vorfanden: Eier, Speck, Sahne.

„Essen ist immer Kontamination“

Der Wirtschaftshistoriker Alberto Grandi hat das herausgefunden, nachzulesen in seinem Buch über die heikel-heiligen Mythen um Italiens Kochtöpfe.

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Milliarden Euro im Jahr generiert das Geschäft mit der Pizza in Italien.

Den besten Parmesan, der noch schmecke wie vor hundert Jahren in der Heimat, schreibt Grandi, gebe es heute nur noch in Wisconsin. Auch ihn brachten Migrant:innen aus Italien mit.

Er habe nichts gegen den Schutz regionaler Traditionen, sagte Grandi vergangenes Jahr in einem Tagesspiegel-Gespräch. Aber Essen sei immer Kontamination, Austausch. Und da wünsche er sich doch etwas mehr Ernst beim Thema „Made in Italy“.

Ausgerechnet in der Regierung, deren zuständiges Wirtschaftsministerium jetzt auch „Made in Italy“ heißt, scheint man noch nicht so weit. Als ihr Vorgänger Mario Draghi 2021 seine, so der Premier, „schöne Regierung“ vorstellte, kommentierte Giorgia Meloni, die ihn 20 Monate später als Premier ablösen sollte, knapp: „Ja, fast so schön wie Ananas auf Pizza.“ Das war nicht als Kompliment gemeint.

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