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„Florenz ist antifaschistisch“ heißt es auf dem Transparent auf der Demonstration, die auf den Angriff auf Schüler des Michelangiolo-Gymnasiums folgte.

© action press/Gianni Pasquini

Straßengewalt in Italien: „Der Faschismus begann auf dem Bürgersteig“

Ein Angriff Rechtsextremer vor einer Schule erregt Italien. Die Regierung schweigt. Stattdessen droht der zuständige Minister einer Schulleiterin, die an die Anfänge der Diktatur vor 100 Jahren erinnerte.

Schon die Schläge waren ein nationaler Schock: Am Samstag vergangener Woche, kurz vor dem Klingeln zur ersten Stunde um acht Uhr, wurden in Florenz zwei Schüler vor ihrem Gymnasium ins Krankenhaus geprügelt. Ihr Vergehen: Sie hatten mit Mitgliedern von „Azione studentesca“ gestritten, der Schülerorganisation der Partei von Premierministerin Giorgia Meloni, die gerade dabei waren, Flugblätter vor der Schule zu verteilen.

Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Schüler, der bereits zu Boden gegangen ist, von mehreren Angreifern brutal geschlagen und getreten wird. Erst das Eingreifen einer Lehrerin beendete den Überfall. Inzwischen wird gegen sechs mutmaßliche Beteiligte ermittelt. Drei Betroffene sind volljährig, der jüngste Verdächtige soll 16 Jahre alt sein..

Die Reaktionen auf den Vorfall vor dem Michelangiolo, einem angesehenen altsprachlichen Gymnasium der Stadt, sortierten sich sofort nach rechts und links. Während links der Mitte Assoziationen an den Faschismus aufkamen und Florenz‘ Bürgermeister Dario Nardella etwa von „squadrismo“ sprach, der organisierten Straßengewalt vor allem in den frühen Jahren des italienischen Faschismus, bemühte sich die Rechte, das Geschehen herunterzuspielen.

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Ein Handgemenge habe es vor der Schule gegeben, hieß es aus der Regierungspartei. Deren Florentiner Vertretung verurteilte nebulös „jede Form der Gewalt“ und rief zwischen den Zeilen die 1970er Jahre auf. Niemand habe „Sehnsucht nach der Phase politischer Gewalt, die zu lange die Geschichte Italiens prägte“ Die Intention war klar: Damals gaben sich die Straßengewalt von rechts und die von links nicht viel.  

Inzwischen scheint jedoch sicher, dass die Gewalt ausschließlich von jener Seite kam, die die Rechte nicht nannte. Die einzige Aggression der verprügelten Schüler war es nach Rekonstruktion von Polizei und Medien, dass sie sich über den Inhalt der Flugblätter empörten und dies auch sagten: „Träume, kämpfe, zeichne dich aus, um wirklich zu leben“ stand dort, das Ganze mit keltischen Kreuz verziert, einem Erkennungszeichen der extremen Rechten.

Schulleiterin warnt vor „Wir“ gegen „die Anderen“

Auf den Schock vom Montag folgte am Donnerstag ein weiterer: Nachdem tagelang nur dröhnendes Schweigen aus dem Regierungslager in Rom zu vernehmen war, bot jetzt der Brief einer Schulleiterin aus Florenz dem Schulminister Anlass zur Stellungnahme – allerdings weiter ohne ein Wort des Bedauerns über die Gewalt.

Annalisa Savino, Direktorin des naturwissenschaftlichen Leonardo-da-Vinci-Gymnasiums hatte sich am Tag nach der Tat an die Schüler:innen und Eltern ihrer Schule gewandt: Sie vertraue darauf, dass alle sich über die Ereignisse „vor einer Schule wie unserer“ und die fehlenden Reaktionen ihr eigenes Bild machten.

Aber sie wolle doch erinnern: „Der Faschismus in Italien ist nicht auf Kundgebungen von mehreren tausend Menschen entstanden. Er begann auf irgendeinem Bürgersteig, mit dem Opfer einer politisch motivierten Prügelattacke, das von gleichgültigen Passanten sich selbst überlassen blieb.“

Ich hasse die Gleichgültigen, sagte Antonio Gramsci, ein großer Italiener, den die Faschisten bis zu seinem Tod ins Gefängnis sperrten, weil die Kraft seiner Gedanken sie einschüchterte wie die Hasen.

Aus dem Brief der Florentiner Schulleiterin Annalisa Savino an ihre Schüler:innen

Solcher Gewalt müsse immer entgegengetreten werden, auch in Zeiten der Unsicherheit wie jetzt, wo Totalitarismen bevorzugt entstünden. Sie fügte hinzu: „Diejenigen, die den Wert der Grenzen preisen, diejenigen, die das Blut der Vorfahren im Gegensatz zu anderen ehren und weiter Mauern bauen, muss man isolieren, beim Namen nennen und bekämpfen, mit Bildung und mit der Macht des Gedankens.“

Schulminister sieht Schule politisiert

Das war Schulminister Giuseppe Valditara, einem Mitglied der ebenfalls rechtsradikalen „Lega“, früher Parteifreund Melonis in der Vorgängerpartei Alleanza nazionale, offensichtlich zu viel: Italien rutsche „nicht in Gewalt und in ein autoritäres System ab“, sagte er im Fernsehen.

„Es steht einer Schulleiterin nicht zu, solche Botschaften zu verbreiten“, ihr Brief sei „völlig unangemessen“, eine faschistische Gefahr zu sehen „lächerlich“. Eine offene Drohung schloss der Minister an: Die Wortmeldung der Direktorin sei „Ausdruck einer Politisierung, von der ich hoffe, dass sie keinen Platz mehr in der Schule haben wird. Sollte es allerdings dabei bleiben, werden wir sehen, ob wir Maßnahmen ergreifen müssen.“

Die Reaktionen waren heftig: Genau diese verhüllten Drohungen verrieten „ein autoritär intolerantes Klima“, das die Regierung verbreite, urteilte Gianfranco Pagliarulo vom Verband der italienischen Partisanen. Valditara hülle sich in Schweigen über die Attacken von faschistischen Parteigängern, „ersatzweise droht er heute einer Schulleiterin mit Strafmaßnahmen“ erregte sich Stefano Bonaccini, der am Sonntag Chef der sozialdemokratischen Partei PD werden will.

Opposition: Meloni deckt Gewalttäter

Auch das Schweigen der Regierungschefin – die er kürzlich zum Ärger von Parteifreund:innen als „fähig“ gelobt hatte - prangerte Bonaccini an: „Damit schützt sie de facto Gewalttäter und klagt die an, die sich ihnen im Namen von Demokratie und Antifaschismus entgegenstellen. Will sie weiter schweigen?“

Das steht zu vermuten. Tatsächlich zeigt der Vorfall die Ambivalenz ihrer Regierung und ihrer Person. Meloni verzichtet seit langem auf rechtsextreme Rhetorik und hat mit unverbrüchlicher Bündnis- und EU-Treue, Ukraine-Solidarität und verbindlichem Auftreten im Ausland gepunktet. Dass sie sich beharrlich weigert, klare Worte zu den faschistischen Wurzeln der Partei – und nicht wenigen Zweigen - zu sagen, die sie vor einem Jahrzehnt gegründet hat, wird auch in Italien gern als unbedeutende Geste an die Adresse der faschistischen Nostalgiker und Falken von FdI gesehen.

Jetzt fällt es ins Gewicht: Azione studentesca, der die Schläger von Florenz angehören, geht auf die Jugendorganisationen des MSI zurück, jener Partei, in der sich nach der Befreiung Italiens vom Faschismus dessen Nostalgiker und etliche gefallene Größen des Mussolini-Regimes sammelten. 2008 überfielen und besetzten Anhänger von AS den Sitz der Lehrergewerkschaft, um gegen die angeblich übergroße Macht von Gewerkschaften und Lehrkräften zu protestieren.

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