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Schüler einer 7. Klasse lernen mit iPads im Mathematik-Unterricht.

© picture alliance/dpa / Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Bürger müssen rechnen können: Ein „Wumms“ gegen die Bildungskrise wäre ebenso nötig

Mal wieder hat eine Schulstudie profunde Bildungsmängel festgestellt. Solche Befunde lassen um die mündige Öffentlichkeit fürchten, die es für komplexe Staatssysteme aber braucht.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Und in der Bildung so? In Berlin wurden am Dienstag die Schulen bestreikt, um Gewerkschaftsforderungen nach kleineren Klassen Nachdruck zu verleihen. Und am Montag machte eine vergleichende Untersuchung zu schulischen Leistungen in allen 16 Bundesländern klar, dass die Viertklässler von heute in Deutsch und Mathematik so schlecht dastehen wie nie zuvor.

Dass die Untersuchung des IQB-Instituts der Berliner Humboldt-Universität „Bildungstrend“ heißt, kann man fast komisch finden, denn im Grunde misst der, wie zahlreiche Untersuchungen zu schulischen Leistungen seit Jahren, vor allem Veränderungen in Tempo und Ausmaß des Niveauabfalls.

Eine Trendneuheit wäre also mehr als wünschenswert. Stattdessen taumelt Deutschland weiter rein in eine schulische Sackgasse, die mit Länderzuständigkeiten solide ausbetoniert wurde. Diskutiert und gehadert wird von Studie zu Studie immer wieder neu, als sei es in der Draufsicht von zentraler Bedeutung, was Coronaquarantänen oder Flüchtlingszahlen im Leistungsprofil geändert haben.

Diese Faktoren haben dem allgemeinen Trend nur Nuancen oder auch mal Ausreißer – der „Bildungstrend“-Report verzeichnete 2016 in manchen Bundesländern kurzfristige Verbesserungen – beigefügt. Dass in Deutschlands Schulen ein immer größeres Bildungsprekariat aufwächst, hat mehr mit Reformoverkill, Lehrermangel und immer heterogenerer Schülerschar zu tun als mit Einzelereignissen.

Aber offenbar ist die Politik nicht in der Lage, die richtigen Konsequenzen zu ziehen, und sieht die fundamentalen Risiken nicht, die damit einhergehen.

Bisher werden verkrachte Schullaufbahnen und Abrutschen ins gesellschaftliche Abseits meist aus der Sicht der Betroffenen behandelt, ebenso der Umstand, dass Kinder aus bildungsfernen Familien in der Regel bildungsferne Erwachsene werden, die wieder bildungsferne Kinder großziehen und so weiter.

Statistiken zufolge bekommen bildungsferne Frauen mehr Kinder als die mit höheren Abschlüssen. Absehbar also, dass da ein Unverhältnis droht. Zugleich nimmt der Staat Jahr für Jahr mehr Geld für Sozialleistungen in die Hand. Wie viel fruchtbarer wäre es, die Milliarden zu Beginn in Bildungschancen zu investieren, statt später in die Kompensation des Scheiterns?

Aber das ist nicht alles. Die kritischen Kompetenzen in Bereichen wie Lesen, Schreiben, Rechnen sind eine wabernde Hypothek für das ganze Staatswesen. Um komplexe Systeme wie Demokratien lebendig zu halten, braucht es Menschen, die wissen, was passiert. Die etwas nachlesen oder -rechnen und begreifen können und wollen.

Kompetente Bürger fallen nicht vom Himmel, die müssen ausgebildet werden

Die möglichst nicht beliebig manipulierbar sind oder komplett gleichgültig. In den Ideen von Jürgen Habermas: rationale Öffentlichkeiten. Die fallen nicht vom Himmel. Die müssen ausgebildet werden. Das ist nicht fakultativ. Das ist das Fundament.

Mit der Pflege von Fundamenten hat Deutschland es aber nicht so. Allerorten wird die Kür vor die Pflicht gesetzt. Erinnert sei beispielsweise an die Zumutung der Pkw-Maut-Pläne, die sinnlos hunderte Millionen Euro verschlingen konnten, während landauf landab Brücken und Straßen verrotten. Und so läuft es letztlich auch in der Bildungspolitik. Da stehen Kantinenfragen auf der Tagesordnung, während in Klassenzimmern der Putz von der Decke rieselt und das Einmaleins auf der Strecke bleibt.

Die Anforderungen, die moderne Gesellschaften an ihre Bevölkerungen stellen – der Umgang mit Fake News ist nur ein Bruchteil davon –, werden immer anspruchsvoller. Es Kindern während solcher Globalentwicklungen zu erlassen, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen, ist im schlimmsten Fall der Ausverkauf des ganzen Staatsmodells.

Die Politik ist zuletzt mit Wumms-Aktionen aufgefallen. Ein Wumms gegen die Corona-Krise, ein Doppel-Wumms gegen die Energiekrise. Ein Triple-Wumms gegen die Bildungskrise wäre ebenso nötig. Wenn nicht nötiger.

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