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Luiz Inacio Lula da Silva von der Arbeiterpartei feiert seinen Wahlsieg mit Anhängern.

© Foto: dpa/Lincon Zarbietti

Lula gewinnt gegen Bolsonaro : Wahl des geringeren Übels

Brasilien ist von einem Happy Ending weit entfernt. Auch der Sieger ist eine zwielichtige Figur. Er wird weder die Spaltung überwinden noch die Demokratie retten.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Und wie geht es jetzt weiter, nach dem ersten Aufatmen? Klar doch, die meisten demokratischen Staaten Amerikas und Europas sind erleichtert über das Ergebnis der Präsidentenwahl in Brasilien.

Der radikale Rechte Jair Bolsonaro unterliegt dem linken Herausforderer Luiz Lula da Silva, wenn auch denkbar knapp. Er erhält keine zweite Amtszeit, in der er den Regenwald weiter abholzen, seine Gegner dämonisieren und das Vertrauen in die Demokratie untergraben kann.

Doch was folgt aus der Wahl? Es werden vor allem Hoffnungen beschworen, die zur Wirklichkeit in Brasilien nicht so recht passen.

Wahlsieger Lula soll die politische Spaltung überwinden, die verfeindeten Lager versöhnen, das Ökosystem des Amazonas retten und das Klima gleich mit, die demokratische Ordnung stärken und Brasilien aus einer angeblichen internationalen Isolierung führen.

Wenn das alles gelingen soll, hätten die Brasilianer besser eine andere Person zum Präsidenten wählen sollen. Lula ist keine Lichtgestalt. Seine Biografie wirft Fragen auf.

Abtransport von Holz aus dem Amazonas-Regenwald.

© mauritius images / imageBROKER

Er war bereits Präsident für zwei Amtszeiten von 2003 bis 2011. Er und seine Nachfolgerin Dilma Roussef, die dann des Amts enthoben wurde, haben mit Klüngelwirtschaft, Geldwäsche und Korruption den Boden dafür bereitet, dass Bolsonaro in einer Protestwahl gegen die Staatsausbeutung durch das linke Lager 2018 deutlich gewann.

Lula saß im Gefängnis, entlastet ist er nicht

Zuvor war Lula zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Er musste sie nicht voll absitzen, weil ein Richter, der am Urteil mitgewirkt hatte, im Nachhinein für befangen erklärt wurde. Von den Anklagepunkten entlastet wurde Lula jedoch nicht.

So erinnert die Abfolge von Erleichterung und überzogenen Erwartungen in fataler Weise an jene Novembernacht 2020, in der ein paar Tausend Kilometer weiter nördlich der US-Demokrat Joe Biden die Präsidentschaftswahl gegen den rechtspopulistischen Amtsinhaber Donald Trump gewann. Auch auf Biden projizierten damals viele die Hoffnung, dass er die gespaltenen Staaten von Amerika versöhnen und ein Mindestmaß von Anstand in die Politik zurückbringen werde.

Parallelen zu den USA als Warnung

Die Irrungen und Wirrungen, die in den USA folgten, sind bekannt. Weder Trump noch seine Anhänger zeigten Interesse, das Ergebnis zu respektieren, sich versöhnen zu lassen und die Gräben zwischen den Lager zuzuschütten.

Die Herausforderung durch den Sturm auf das Kapitol meisterte die nordamerikanische Demokratie. Sie wehrte den Versuch, den Machtwechsel gewaltsam zu verhindern, ab. Trump gilt jedoch unter Republikanern trotz seiner Verwicklung in den Umsturzversuch nicht als diskreditiert. Die Konservativen sind zwei Jahre später sogar die Favoriten für die Kongresswahl kommende Woche.

Wenn Biden, der eine viel reinere Weste als Lula hat, die Erwartungen nicht erfüllen kann, wie soll das dann dem Wahlsieger in Brasilien gelingen? Bislang ist nicht einmal klar, ob Bolsonaro seine Niederlage akzeptiert oder in der Zeit bis zur Amtsübergabe aufbegehrt.

Wie sollen Figuren von gestern die Zukunft retten?

Ähnlich wie der greise Biden wirkt der 77-jährige Lula bereits im Moment des Wahlsiegs wie eine Figur von gestern. Er verkörpert weder den Generationenwechsel noch die Frische, die nötig wären, um der Gesellschaft in Brasilien wie den Partnern im Ausland zu signalisieren, dass nach einer gefährlichen Phase der Wirrungen eine neue Epoche der Stabilität und Verlässlichkeit anbricht.

Deshalb ist beim Blick auf Brasilien Bescheidenheit anzuraten. Die Wähler haben sich mit denkbar knapper Mehrheit für Lula entschieden, aber nicht um seiner Leistungen willen, sondern vor allem, um einen Schlimmeren zu verhindern. Das gleicht einer Wahl des geringeren Übels. Die Spaltung der Gesellschaft in zwei verfeindete Lager bleibt. Es gibt keine politischen Zaubertricks, um sie zu überwinden.

In dieser Lage wäre schon viel gewonnen, wenn Bolsonaro seine Anhänger nicht zum Widerstand aufruft und Brasilien die Prüfung erspart bleibt, die die USA bestehen mussten. Die drängende Aufgabe hier wie dort wäre, einen Generationenwechsel bei den Kandidatinnen und Kandidaten einzuleiten, ehe die nächste Wahl ansteht.

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