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FDP-Vize Johannes Vogel über Klimaschutz.

© Gestaltung: tagesspiegel/ K. Schuber/Fotos: imago, freepik

FDP-Vize Johannes Vogel über Klimaschutz: „Der Staat sollte entschlossener eingreifen als bisher“

Wir dürfen die Freiheitsrechte künftiger Generationen nicht einschränken, sagt der FDP-Politiker. Und erklärt, warum er trotzdem weiter auf Wachstum setzt.

Herr Vogel, die FDP bekennt sich zu den Klimazielen von Paris, die die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels einschließt. Müssen wir dafür als Gesellschaft anerkennen, dass wir über unsere Verhältnisse leben?
Die Verpflichtung von Paris ist, CO2-Emissionen zu reduzieren. Das bedeutet, unser modernes Leben und unser Wirtschaften zu dekarbonisieren. Das müssen wir als Gesellschaft schaffen – und das bietet uns auch viele Chancen. Mit Sicherheit haben wir über unsere fossilen Verhältnisse gelebt. Hinter dieser sehr deutschen Debatte lauert aber oft auch ein Missverständnis: Hier wird Klimaschutz mit Kapitalismuskritik verwechselt.

Wo wird das verwechselt?
Wir sind uns einig, dass wir die Dekarbonisierung erreichen müssen. Wenn aber „Systemwandel statt Klimawandel“ als Abkehr vom Kapitalismus gefordert oder „Degrowth“ propagiert wird, ist es der falsche Weg. Die Innovationskraft der Marktwirtschaft mit Emissionshandel ist für die riesige Transformation gerade die Lösung, nicht das Problem.

Was bedeutet die Verpflichtung zur Dekarbonisierung für eine Partei, die die individuellen Freiheitsrechte härter verteidigt als andere?
Das ist für uns als Liberale kein Widerspruch. Maximale Freiheit des Einzelnen ist das Ziel, aber diese Freiheit hat eine Grenze dort, wo die Freiheit der anderen anfängt. Dieses Denken schließt für mich auch Generationengerechtigkeit ein. Unser Handeln heute darf die Freiheit künftiger Generationen nicht einschränken. Und wenn wir uns jetzt nicht um diesen Planeten kümmern, ruinieren wir ihn womöglich für alle nach uns.

Aber das nicht ausreichende Handeln gegen die Klimakrise gefährdet ja gerade die Freiheit künftiger Generationen. Genau das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Klima-Urteil von 2021 angemahnt. Wir müssten also jetzt auf Freiheiten verzichten.
Das Urteil war klug und wegweisend, denn tatsächlich müssen wir uns im Sinne künftiger Generationen und ihrer Freiheitsrechte die Frage stellen, wie wir bei wichtigen umfassenden Themen der Nachhaltigkeit als Staat verbindlicher Normen setzen und durchsetzen; ich denke da an die Stabilität öffentlicher Finanzen, Stichwort Schulden, oder an soziale Sicherungssysteme, Stichwort Demografie. Aber eben auch an den Klimaschutz. Das alles sind Zukunftsfragen, bei deren Bewältigung wir nicht bloß in Legislaturperioden denken dürfen.

Wir müssen darauf verzichten, fossiles CO2 auszustoßen. Auf das moderne Leben müssen wir nicht verzichten.

Johannes Vogel, Vize-Vorsitzender der FDP

Gut, aber auf welche Freiheiten verzichten wir für künftige Generationen?
Wir müssen die notwendige Debatte über das richtige Wie führen und fragen, welche nachhaltige Freiheitsbilanz hat welche politische Maßnahme. Unser Problem ist, dass wir uns in Deutschland oft verzetteln in Debatten über Verzichtsmaßnahmen. Der einzige Weg ist, die Kräfte der Marktwirtschaft zu nutzen, um die Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch voran zu treiben und mit Blick auf die Treibhausgase zu vollenden.

Ernsthaft: Wachstum schafft mehr Klimaschutz?
Ja, klar. Nur so kann Klimaschutz global gelingen. Wenn wir Klimaschutz als Abkehr von Wohlstand und Wachstum begreifen, dann würde er spätestens global scheitern; der aufstrebende Globale Süden wird das als Anmaßung der Industrienationen verstehen.

Nochmal, Herr Vogel, worauf müssen wir jetzt verzichten?
Wir müssen darauf verzichten, fossiles CO2 auszustoßen. Auf das moderne Leben müssen wir nicht verzichten.

Was ist so schlimm daran, auf Dinge verzichten zu müssen, die nachweislich dem Klima nicht helfen? Warum sollte etwa weiterhin erlaubt sein, sich große SUVs zu kaufen, die wiederum Freiheitsrechte anderer einschränken?
Ich würde es so sagen: Niemand kann sich in gut zwei Jahrzehnten noch herausnehmen, fossile Kraftstoffe verbrennen zu wollen. Diese fossile Freiheit wird enden – und das ist gut so. Wir haben uns als Staatengemeinschaft mit Paris verpflichtet, das hinter uns zu lassen.

Wir sollten uns aber nicht in Debatten hineinsteigern, die Menschen in allen privaten Lebenslagen Freiheitsrechte nehmen. Man muss fossile Kraftstoffe loswerden, aber man darf Menschen nicht ihre individuelle Mobilität nehmen wollen. Dafür brauchen wir zum Beispiel klimaneutrale Autos. Und für die Klimaneutralität kommt es nicht darauf an, ob SUV oder nicht.

Die Entkoppelung des modernen Lebens und Wirtschaftens vom Ausstoß von Treibhausgasen geht nicht zwingend mit Freiheitsverzicht einher. Verstehe ich Sie richtig?
Ja. Es gibt diesen Automatismus nicht. Freiheit ist nicht, wie ich ein Flugzeug oder Auto antreibe, sondern dass ich diese Mobilität gewährleiste.

Karlsruhe sagt, gravierende Freiheitseinschränkungen können zum Schutz des Klimas verfassungsgemäß sein. Also könnte der Staat sich mehr Zugriff erlauben.
Der Staat soll eingreifen können. Aus meiner Sicht sollte er sogar noch entschlossener eingreifen als bisher. Aber nicht im Mikromanagement, sondern an der wirksamsten Stelle, die wir haben: beim Verbot von CO2. Deshalb will die FDP den Emissionshandel mit seinem dichten Deckel schneller ausbauen und die Einführung für alle Sektoren vorziehen.

Menschen gehen neue Wege. Sie ernähren sich anders, leben anders, verändern ihre Bedürfnisse.

Johannes Vogel

Hier soll die Politik die erlaubten Emissionen samt Reduktionspfad gemäß dem Pariser Vertrag festsetzen, - und dann schafft der Markt einen adäquaten CO2-Preis und nachweislich rechtzeitig die technischen Umstellungen. Das ist entschlossene Klimaordnungspolitik.

Verdeckt in Deutschland Zukunftspessimismus die Dinge, die schon auf dem Weg sind?
Ja. Wir leben in einem Land, das seit 1990 den CO2-Verbrauch um 40 Prozent gesenkt hat und in dem gleichzeitig unser Wohlstand gewachsen ist. Das sollte uns optimistischer machen. Unser Leben verändert sich und wird anders, nicht schlechter sein.

Was meinen Sie genau?
Menschen gehen neue Wege. Sie ernähren sich anders, leben anders, verändern ihre Bedürfnisse und Perspektiven und erfinden dabei neue.

Es gibt weltweit faszinierende Beispiele für eine ökologische Stadtentwicklung und Architektur, wir sehen neue Techniken, die uns klimaneutrales Fliegen oder Autofahren ermöglichen, es gibt Laborfleisch oder Gentechnik in der Landwirtschaft, die keine Pestizide verbraucht und die Artenvielfalt schont. Wir dürfen nicht in eine anti-moderne Haltung verfallen. Im Gegenteil: Wir sollten Lust haben auf nachhaltige Innovationen.

Müssen wir unseren Begriff von Wohlstand neu definieren, ein anderes Gefühl dafür bekommen, was Wohlstand außer Konsum sein kann?
Dieser Prozess findet ja statt. Menschen definieren für sich, wie sie leben und arbeiten wollen, zum Beispiel. Was aber mit Sicherheit bleibt, ist das Bedürfnis der Menschen, auch materiell abgesichert zu sein. Zu ihrer freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit gehören materielle Wünsche. Und das ist auch in Ordnung so – ohne schlechtes Gewissen.

Wir leben klimatechnisch nach wie vor zulasten des globalen Südens.
Klimaschutz und ökologische Marktwirtschaft können nur gelingen, wenn wir Wachstum und Ressourcenverbrauch entkoppeln. Länder wie China oder Indien werden nicht mitmachen beim Klimaschutz, wenn sie das als Absage an ihren fairen Anteil am Wohlstand verstehen müssten.

Ist es naiv zu fordern, die Menschen der Industriestaaten müssen wieder mehr im Einklang mit der Natur leben?
Ich glaube, wir tragen dieses Bedürfnis im Gegenteil tief in uns. Im Alltag sehen wir, dass Menschen das schon jetzt umsetzen. Wir können diesem Bewusstsein folgen, haben es schon mal getan: Wir hatten verseuchte Flüsse, wachsendes Ozonloch und dreckige Luft. Das alles haben wir gedreht. Jetzt können wir es wieder schaffen.

Redaktioneller Hinweis: Das Interview wurde im April vor der Heizungsdebatte geführt, die deshalb hier nicht thematisiert wird.

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