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Ein Tag hat zehn Stunden. Jedenfalls nach revolutionärer Zeitrechnung.

© DeFacto/Wikipedia

Heute vor 231 Jahren: Heute wäre „Tag der Vernunft“ Primidi Vendémiaire CCXXXII

Die Französische Revolution änderte alles. Also vieles. Nur an einem neuen, revolutionären Kalender scheiterte sie.

Eine Kolumne von Sascha Karberg

Die Vier-Tage-Woche ist in Deutschland gerade Gegenstand hitziger Debatten. Das könne die Arbeitsbelastung senken und die Produktivität erhöhen, sagen die einen. Die anderen befürchten, dass Arbeit liegen bleibt und sich der Fachkräfte- und Personalmangel verschärft. Wie dem auch sei, es ist eine Diskussion, die sich Arbeitende im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts im Traum nicht hätten vorstellen können. Denn sie hatten es plötzlich mit einer Zehn-Tage-Woche zu tun. Dank der Französischen Revolution.

Ein Tag hat zehn Stunden

Die Idee für einen neuen, „revolutionären“ Kalender entstand schon am Tag nach dem Sturm auf die Bastille: Am 15. Juli 1789 wurde das „Jahr 1 der Freiheit“ ausgerufen. Offiziell beschlossen wurde das Ende der Monarchie allerdings erst am 22. September 1792, heute vor 231 Jahren, im Nationalkonvent. Es sollte der Beginn einer Zeitenwende sein, eine Zäsur. Und dieser Beginn der Herrschaft des Volkes sollte auch in einem kalendarischen Neuanfang deutlich werden.

Am 5. Oktober 1793 beschloss der Nationalkonvent also eine neue Zeitrechnung: Ein Jahr hat zwölf Monate, ein Monat besteht aus drei Zehn-Tage-Wochen, ein Tag hat 10 Stunden à 100 Minuten, welche 100 Sekunden dauern. So wie zahlreiche Maßeinheiten, etwa das Meter, ein möglichst wissenschaftliches Fundament bekamen, sollte auch der gregorianische Kalender von Einflüssen der alten Ordnung, vor allem der christlichen Prägung, befreit werden.

Der neue Kalender galt rückwirkend ab dem 22. September 1792. Die dezimale Einteilung des Tages, die mit Beginn des dritten Revolutionsjahres (am 22. September 1794) hätte in Kraft treten solle, wurde allerdings nie umgesetzt. Die Anpassung der Uhren wäre viel zu teuer geworden. Und auch sonst war der Republikskalender von Beginn an unbeliebt: Der Sonntag als Ruhetag entfiel, Erholung gab es künftig nur noch alle zehn Tage. Wer sich nicht an die neuen Regeln hielt, musste mit drastischen Strafen rechnen. Dass Monate plötzlich „Weinlese“ (Vendémiaire) oder „Blume“ (Floréal), Tage Primidi oder Decadi und Schalttage „Tag der Vernunft“ heißen sollten, machte es nicht einfacher. Sogar die Wochen wurden benannt: nach Haustieren, Pflanzen, Bäumen und Sträuchern. Die zweite Dekade des Monats Priarial etwa Erdbeere, Betonie, Erbse, Akazie, Wachtel, Nelke, Holunder, Mohn, Linde und Heugabel.

1795 wurde die Benennung der einzelnen Tage wieder zurückgenommen, 1802 ging man wieder zur 7-Tage-Woche über. Und Kaiser Napoleon verfügte schließlich, die Kalenderrevolution habe Silvester 1805 zu enden.

Das Experiment war gescheitert. Kalender sind nun mal, trotz der naturgegebenen Bewegung der Erde um die Sonne, vor allem kulturell geprägte Übereinkünfte, die sich nicht einfach per Verordnung ändern lassen. Vielleicht sollte man sich dessen auch in der Diskussion um die Sommerzeit bewusst werden. Oder auch in der Debatte um die Länge der Arbeitswoche.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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