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Cassiopea können zwar schwimmen, liegen aber viel lieber kopfüber am Boden und lassen ihre Tentakel über sich baumeln.

© CALTECH

Heute vor 5 Jahren: Auch Quallen wollen schlummern

Quallen dösen nicht nur so gerne wie Menschen, sondern haben auch dieselben Probleme beim Aufwachen. Die einfachen Lebewesen machen deutlich, dass sich hinter dem Schlaf ein uraltes Verhalten verbergen muss.

Eine Kolumne von Miray Caliskan

Schlafen ist lebenswichtig – und in der Tierwelt weit verbreitet. Fische schlafen. Fliegen schlafen. Fadenwürmer schlafen. Und: Quallen schlafen. Am 21. September 2017, heute vor fünf Jahren, wurde über dieses erstaunliche Ergebnis zum ersten Mal in der Fachzeitschrift „Current Biology“ berichtet.

Erstaunlich, weil Forschende bis dahin davon ausgingen, dass nur Tiere mit einem Gehirn schlafen können. Quallen, die seit rund einer halben Milliarde Jahren auf der Erde leben und die damit zu den ältesten Tiergruppen gehören, besitzen keins. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Wurzeln des komplexen Verhaltens viel älter sind als bisher angenommen.

Warum Tiere schlafen, dafür gibt es verschiedenste Erklärungen. Schlaf, so die gängige Erklärung aus der Wissenschaft, würde helfen, Abfall- und Giftstoffe aus dem Gehirn auszuschwemmen. Die Ruhepause würde auch dazu beitragen, neue Erinnerungen zu festigen oder das Gehirn auf das Lernen am nächsten Tag vorzubereiten. Doch was ist mit einfachen Lebensformen wie Quallen, für die diese Hypothesen keinen Sinn ergeben?

Ravi Nath und seine Kollegen vom California Institute of Technology sind dieser Frage nachgegangen und unterzogen Mangrovenquallen (Cassiopea andromeda) aus der Gattung der Schirmquallen einer Reihe von cleveren Experimenten. Cassiopea, der im Englischen auch „upside-down jellyfish“ genannt wird, macht genau das: Sie schwimmt nur selten und liegt stattdessen viel lieber kopfüber am Meeresgrund und zieht ihre Ringmuskulatur regelmäßig zusammen. Ein zentrales Nervensystem besitzen Quallen nicht, sondern ein symmetrisch angeordnetes Nervennetz, das sich über ihre Körperoberfläche erstreckt.

Das Team beobachtete die Quallen in einem Becken rund um die Uhr. Als Erstes stellte es fest, dass die Quallen nachts deutlich langsamer pumpten – der Rhythmus sank von durchschnittlich 58 Stößen pro Minute auf 39. Außerdem legten sie Pausen ein, in denen sie ganz damit aufhörten – was tagsüber nicht beobachtet wurde. Damit war das erste grundlegende Merkmal des Schlafs erfüllt: Die Quallen waren weniger aktiv.

Mangrovenquallen weisen drei wesentliche Merkmale des Schlafs auf.

© CALTECH

Dann testeten die Forschenden das zweite Kriterium: ob die Quallen langsamer und schwächer auf Reize reagierten. Dafür zogen sie den Tieren die Unterlage weg, auf der sie kopfüber lagen. Die dösenden Cassiopea schwebten mehrere Sekunden im Wasser, bevor sie (langsamer als tagsüber) wieder zum Grund zurückschwammen.

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Schließlich prüften die Wissenschaftler:innen, wie die Quallen auf Schlafentzug reagierten: Dafür beschossen sie sie alle 20 Sekunden mit Wasserstrahlen und hinderten sie so aktiv am Ruhen. Am nächsten Tag pulsierten die Tiere viel weniger und legten ungewöhnliche Phasen der Ruhe ein. Sie waren groggy, so als hätten sie eine lange Nacht hinter sich.

Damit war klar: Cassiopeas schlafähnlicher Zustand belegt, dass der Schlaf noch vor der Entwicklung des zentralen Nervensystems entstand. „Vielleicht war der Antrieb für diesen Schlafzustand etwas Grundlegenderes, wie Energie zu sparen“, sagte Co-Autorin Claire Bedbrook gegenüber „The Atlantic“. „Es könnte etwas sein, das erforderlich ist, wenn man ein Nervensystem hat, unabhängig davon, wie einfach oder komplex“. Doch wie sich der Schlaf entwickelt hat, ob auch schon Vielzeller geschlafen haben, ist noch eine offene Forschungsfrage.

Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen der „Tagesrückspiegel“-Kolumne hier.

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