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© picture alliance/Annette Riedl

Hebammen betreuen auch bei Aborten: Viele Frauen wissen nach Fehlgeburten nicht über ihre Rechte Bescheid

Oft ist nach Aborten kein medizinischer Eingriff nötig, außerdem haben Frauen Anspruch auf Unterstützungsangebote – doch das wissen viele Schwangere nicht. 

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Fehlgeburten sind und bleiben ein Tabuthema. Dabei betrifft es sehr viele Frauen. Die Versorgungslage sei eigentlich gut in Deutschland, sagt Christian Albring, der ehemalige Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte. Allerdings wissen viel zu wenige über ihre Rechte Bescheid. Statistisch betrachtet ist es nichts Ungewöhnliches, dass eine Schwangerschaft frühzeitig endet – bei zehn bis 20 Prozent aller Schwangerschaften ist das in den ersten drei Monaten der Fall.

Häufig merken die schwangeren Frauen nicht einmal, dass gerade ein Embryo beziehungsweise Fötus abgegangen ist. Manche hatten ein paar Wochen ihre Menstruation nicht und bluten daraufhin ein bisschen stärker. Andere, wie die Frau, die wir an dieser Stelle Judith nennen, sehen „schon recht schwanger aus“ – so jedenfalls beschreibt sie ihr Erscheinungsbild rückblickend. Doch ganz egal, wie weit die Schwangerschaft fortgeschritten ist: Der Verlust kann zur Tragödie werden.

Judith hatte bei einer Ultraschalluntersuchung in der elften Schwangerschaftswoche erfahren, dass das Herz ihres Ungeborenen nicht mehr schlägt. „Ich war wie in Watte eingepackt“, erzählt sie. Ihre Gynäkologin war einfühlsam, kramte anschließend aber auch routiniert einen Zettel hervor und überwies Judith für eine ambulante Ausschabung ins Krankenhaus. „Andere Optionen standen nicht zur Debatte“, sagt Judith. Dass sie rechtlichen Anspruch auf eine Hebammenbetreuung gehabt hätte, darüber klärte sie ihre Ärztin zu dem Zeitpunkt nicht auf.

Bei frühen Aborten gibt es drei Therapieoptionen

Judiths Fall muss nicht die Regel sein, zeigt aber eine Tendenz: Betroffene wissen häufig nicht, welche Möglichkeiten es nach einem Abort gibt; welche Rechte sie haben und an wen sie sich wenden können. Julia Hennicke ist zweite Vorsitzende des Berliner Hebammenverbands. Sie sagt, die Abläufe seien nach der Diagnose Fehlgeburt eigentlich klar, die Zuständigkeiten zwischen den unterschiedlichen Berufsständen – Gynäkolog:innen, Hebammen, Bestatter:innen – transparent. „Jetzt muss es noch vermittelt werden“, sagt Hennicke.

Anstatt von Fehlgeburten zu sprechen, ist es neutraler, den Vorgang als Abort, Schwangerschaftsverlust oder stille Geburt zu bezeichnen. Denn „Fehlgeburt“ impliziere, dass die Schwangere einen Fehler gemacht hätte, dass es ihr Verschulden sei, wenn die Schwangerschaft frühzeitig endet. Von frühen Aborten spricht man vor der zwölften Schwangerschaftswoche; von späten Aborten bis zur 24. Schwangerschaftswoche, sofern das Ungeborene weniger als 500 Gramm wiegt.

Auch, wenn der Bauch sich noch nicht einmal gewölbt hat, können Frauen bei einer frühen Fehlgeburt eine Hebamme kontaktieren.
Auch, wenn der Bauch sich noch nicht einmal gewölbt hat, können Frauen bei einer frühen Fehlgeburt eine Hebamme kontaktieren.

© imago

Patientinnen können bei frühen Aborten zwischen drei Versorgungsoptionen wählen: exspektativ, das heißt abwartend, medikamentös, damit wird der Geburtsvorgang eingeleitet, und chirurgisch, also eine Ausschabung der Gebärmutter meist unter Narkose. Ein wissenschaftliches Paper, das Ende 2021 erschienen ist, unterstreicht, dass die Therapieoptionen gleichwertig effektiv und sicher seien.

Die Gynäkologin ist meist die erste Ansprechperson und zuständig für die medizinische Behandlung und Beratung. Betroffenen steht eine Wochenbettbetreuung durch eine Hebamme zu, zudem übernimmt die Krankenkasse die Kosten für einen Rückbildungskurs, wenn dieser neun Monate nach dem Abort beendet wird. Psychosoziale Unterstützung bieten auch Beratungsstellen wie Pro Familia an, es gibt vielerorts Selbsthilfegruppen und Beratungstelefone.

Ich hätte mir jemanden gewünscht, mit dem ich da ganz offen drüber reden kann.

Judith, hatte eine frühe Fehlgeburt

Christian Albring, der bis Ende vergangenen Jahres Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) war, attestiert der medizinischen Versorgungslage für Aborte in Deutschland deshalb eine gute Qualität: „Das Zusammenwirken von medizinischem Fortschritt mit dem Erkenntnisgewinn zur Reduktion von psychischen Belastungen bei Paaren in dieser besonderen Situation war nie besser.“ Seine Kolleg:innen seien im Umgang mit Aborten „sehr erfahren“.

Dennoch beklagen Expert:innen und Hebammen wie Julia Hennicke fehlendes Wissen im Umgang mit der Diagnose. Es gebe wenige Informationsmaterialien für betroffene Eltern und Patientinnen, die öffentliche Aufklärung hinke hinterher, zudem seien Aborte und besonders frühe Aborte unterrepräsentiert in der medizinischen Ausbildung. Letzterem widerspricht Christian Albring. Die elfjährige Ausbildung bis zur Fachärzt:in für Frauenheilkunde und Geburtshilfe prädestiniere sie, mit Patientinnen umzugehen, die eine Fehlgeburt erleiden.

Ärzte könnten öfters der Natur freien Lauf lassen

Judith, dessen Abort mittlerweile mehrere Jahre her ist, hätte rückblickend vor allem mehr Zeit gebraucht: „Ich hätte mir jemanden gewünscht, mit dem ich da ganz offen drüber reden kann“, sagt sie. „Dass das nicht sofort entschieden wird, sondern meine Gynäkologin stattdessen sagt: ‚Kommen Sie in 24 Stunden noch mal wieder und dann schauen wir, was sich für Sie richtig anfühlt.“

Zu Hause hatte sie drei Kinder sitzen, es blieb kein Raum, das Erlebte mit ihrem Mann zu verarbeiten. Kurz darauf lag sie bereits im Krankenhaus auf der gynäkologischen Station. „Es ist schon erschreckend, wie wenig einfach zugängliche Informationen und Materialien es gibt“, sagt Julia Hennicke. Da die Gynäkologin diejenige ist, die den Abort diagnostiziert, müsse sie es sein, die diese und andere Informationen mit ihren Patientinnen teilt.

Zu einer ähnlichen Einschätzung wie Hennicke kommt auch Clarissa Schwarz, sie ist Hebamme und Bestatterin von Beruf. Schwarz sagt, dass der einzelnen Frau nicht immer klar sei, an wen sie sich wenden könne. Ihrer Meinung nach sollten Ärzt:innen häufiger „der Natur ihren Lauf lassen“, der Fötus könne in den meisten Fällen auch ohne medizinischen Eingriff abgehen. In erster Linie müssten Betroffene aber bei der Entscheidungsfindung unterstützt werden. Einen festen und einheitlichen Rahmen für alle beteiligten Akteur:innen könnte eine medizinische Leitlinie zu Fehlgeburten geben. Doch die existiert nicht.

Einen weiteren Schritt in der Versorgungskette gibt es erst seit 2013: Seitdem können Eltern die Geburt ihres Kindes beim Standesamt anzeigen und ihrem Kind damit offiziell eine Existenz geben. Auf Initiative eines hessischen Ehepaars hin hatte der Deutsche Bundestag damals eine entsprechende Gesetzesänderung beschlossen.

Zuvor galten „Leibesfrüchte“, wie der Gesetzestext frühe Fehlgeborene bezeichnet, juristisch als nicht existent. Mit der rechtlichen Anpassung dürfen betroffene Eltern ihren „Sternenkindern“ auch nachträglich einen Namen geben und sie bestatten lassen. Wenn Eltern ihr Fehlgeborenes beerdigen lassen wollen, müssen Kliniken den Fötus herausgeben – egal wie früh er abging. Die Gesetzesanpassung stärkt die Betroffenenperspektive, weil sie den Schwangerschaftsverlust als Kindsverlust anerkennt.

Frauen erhalten nach einem späten Abort keinen Mutterschutz

Dies kann die Trauerarbeit unterstützen, muss es aber nicht. Judith hatte sich zum Beispiel gegen eine Bestattung entschieden, sie wusste aber, dass das möglich war. Die Klinik, in der die Ausschabung stattfand, beschreibt sie als einen geschützten Raum. Die behandelnde Ärztin kümmerte sich gut, und Floskeln, dass alles schon irgendwie gut werde, hörte sie nicht. „Da konnte ich dann in Ruhe weinen und Abschied nehmen.“

Dass die rechtliche Situation heute so gut ist, das ist auch das Verdienst von Betroffenenverbänden wie der Initiative Regenbogen. Diese unterstützt Frauen und deren Angehörige, die ein Ungeborenes verloren haben. Jan Salzmann arbeitet bei der Initiative Regenbogen. Er sagt: „Das Kind ist für die Gesellschaft nie da gewesen.“ Frauenärzt:innen spiegelten den Querschnitt der Gesellschaft wider. Es könne deshalb durchaus passieren, dass Patientinnen und Betroffene schlechte Erfahrungen machen.

Trotz der Fortschritte beklagen Salzmann und andere, dass Frauen nach einem Abort nicht mit Wöchnerinnen gleichgestellt sind. Salzmann etwa kritisiert, dass der Staat Mutterschutzgeld erst bei einem Fötus zahlt, der mindestens 500 Gramm schwer ist oder der nach der 24. Schwangerschaftswoche abgegangen ist. Und auch die FDP setzt sich für die Rechte von Frauen ein, die einen Abort erlitten haben. Momentan müssen Frauen im Krankenhaus Zuzahlungen leisten, da Aborte gemäß Mutterschutzgesetz nicht als Geburten gelten. Das will die FPD ändern und die zusätzlichen Zahlungen streichen.

Das Problem, dass das Wissen nicht immer zu den Betroffenen durchsickert, bestünde dann vermutlich trotzdem weiter. „Es müsste eine Offensive geben – an den Orten, an denen sich Schwangere im Moment noch zuerst melden“, sagt Hennicke deshalb. In gynäkologischen Praxen oder in Rettungsstellen könnte es zum Beispiel ein Ablaufschema mit Hebammenlisten oder einen Hinweis auf Vermittlungsplattformen im Internet geben. „Überhaupt der Hinweis, dass Hebammen dafür die Fachpersonen sind.“

Am Ende trauert jede Frau und jede Familie anders. „Ich habe damals meinen Frieden gefunden, weil ich danach schnell wieder schwanger geworden bin“, sagt Judith. Obwohl sie sich ein Nachgespräch und mehr Aufklärung gewünscht hätte, bedankte sie sich bei ihrer Gynäkologin und der Ärztin im Krankenhaus für die gute Betreuung. Sie schickte ihnen nach der Geburt Karten.

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