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112 wird von zu vielen Berlinern zu leichtfertig gewählt. In vielen Fällen ist kein Rettungswagen nötig, sondern medizinische Hilfe zu Hause möglich.

© imago/Seeliger

Rettung für den Rettungsdienst gesucht: Berlin sucht nach Lösungen für den Ausnahmezustand bei der Feuerwehr

Zu viele Notrufe überlasten die Feuerwehr. Dabei handelt es sich oft um Bagatellfälle. Die Lösungssuche läuft, aber schnell wird die Entlastung nicht kommen.

Wegen der Krise bei der Berliner Feuerwehr und beim Rettungsdienst suchen Politik, Feuerwehr und Gewerkschaften nach Lösungen. Doch kurzfristig scheint nur wenig möglich zu sein.

Dabei ist der Druck groß: Als am Sonnabend 16 Stunden lang Ausnahmezustand herrschte, weil kaum oder gar keine Rettungswagen zur Verfügung standen, konnte sich die Feuerwehr um 40 Notrufe zunächst nicht kümmern.

Statt Rettungswagen fuhren Löschfahrzeuge los, etwa um einen 24-Jährigen mit Rückenschmerzen zu versorgen. Von den Löschfahrzeugen wurde Personal abgezogen, um überhaupt Rettungswagen besetzen zu können. „Das schlimmste Wochenende in diesem Jahr“, hieß es aus der Feuerwehr. Am Wochenende zuvor war die Lage ähnlich.

An fast jedem Tag ist in diesem Jahr bereits der Ausnahmezustand beim Rettungsdienst ausgerufen worden: 166 Mal war das in diesem Jahr der Fall – fast so oft wie im gesamten Jahr 2021. Weitere zehn Rettungswagen sollen in diesen Fällen von Beamten aus den Löschwagen besetzt werden, meist sind es weniger.

Rettungswagen fahren dann quer durch die Stadt, von Marzahn nach Zehlendorf, weil in der Nähe des Einsatzortes kein Fahrzeug verfügbar ist. Viele fragen sich: Wie lange kann das gut gehen, bis jemand stirbt, weil die Feuerwehr zu Bagatellen ausrücken musste, aber in den wirklichen Notfällen zu spät kommt?

„Hier geht es um Leben und Tod“

„Der ständige Ausnahmezustand ist viel mehr als ein Alarmsignal, ein absolutes Unding“, sagte CDU-Fraktionschef Kai Wegner am Montag. Der Rettungsdienst leide unter einem systematischen Missstand. „Das darf uns nicht kaltlassen, hier geht es um Leben und Tod.“

Wegner sieht nun Innensenatorin Iris Spranger (SPD) in der Pflicht: „Sie kann sich jetzt keine Sommerruhe gönnen. Sie muss ihren Job machen, unsere Retter retten.“

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Am Sonnabendvormittag musste der Ausnahmezustand ausgerufen werden, weil 106 Mitarbeiter fehlten, 27 Rettungswagen blieben unbesetzt, darunter zehn von Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz (DRK). In der Nachtschicht fehlten 90 Mitarbeiter. 21 von 108 geplanten Rettungswagen waren nicht besetzt. Am Ende, dank Personal von Löschfahrzeugen, waren 92 Rettungswagen im Einsatz. Sieben Freiwillige Feuerwehren mussten aushelfen.

Karsten Hintzmann vom DRK Rettungsdienst Berlin sagte dem Podcast „Berliner & Pfannkuchen“ vom Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint: „Problematisch ist, dass in Berlin Rettungswagen häufig in Einsätze geschickt werden müssen, die retrospektiv keine akuten Notfälle darstellen.“

112 nur in akuten Notfällen

Das binde immer wieder Kapazitäten, die etwa bei schweren Unfällen benötigt würden. Das DRK spiele zwar mit nur zehn Rettungswagen eine kleine Rolle im Vergleich zu den 130 Rettungswagen der Feuerwehr, sei aber ebenfalls stark ausgelastet. Die Bevölkerung sollte den Notruf 112 nur dann nutzen, „wenn tatsächlich eine akute Notfallsituation vorliegt“, appellierte Hintzmann.

Und, darauf verweist das DRK wie alle anderen Hilfsorganisationen und Feuerwehren: Alle leiden unter einem „zum Teil chronischen Fachkräftemangel“. Marco König vom Bundesverband der Rettungsdienste sagte dem Podcast: „Seit Jahren zeichnet sich dieser Zustand ab und die meisten Verantwortlichen schauen leider weg.“

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Wie die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) am Tag zuvor, forderte König einen „Runden Tisch“, um Lösungen zu finden. „Wir wissen von verschiedenen Leuchtturmprojekten aus Deutschland, dass viele vermeintliche Notfallpatienten in ihrer Häuslichkeit verbleiben oder dass der kassenärztliche Dienst die Versorgung in den Praxen übernehmen könnte“, sagte er.

DFeuG-Landeschef Lars Wieg gibt zu bedenken: „Das Personal, das wir für den Rettungsdienst brauchen, hat eine Ausbildungszeit von drei Jahren. Das ist nicht so schnell zu bekommen.“ Kurzfristig könnten sogenannte Vorausfahrzeuge eingesetzt werden, die bei den Patienten erkunden, ob sie einen Rettungswagen benötigen.

Auch Krankentransportdienste könnten zum Einsatz kommen. Daneben müsste der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung besser ausgestattet werden, um Patienten zu betreuen.

In den Haushaltsverhandlungen hatte die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus bereits einiges gefordert, war aber von Rot-Grün-Rot abgeschmettert worden. CDU-Fraktionschef Wegner zählte am Montag auf: „Mindestens zwölf zusätzliche Rettungswagen mit 50 Stellen, eine Sanitätsmotorradstaffel, wie es sie in Österreich und auch in Bayern seit Langem als schnelle Reaktionsgruppe gibt.“ Senat und Koalition hätten den Ernst der Lage aber offenbar noch nicht erkannt.

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„Nur immer mehr Fahrzeuge und Personal zu fordern, bringt keine nachhaltige Lösung“, sagte dagegen Björn Jotzo, FDP-Innenexperte im Abgeordnetenhaus. „Die Vergangenheit zeigt, dass die Fallzahlen – auch unter Berücksichtigung des Bevölkerungswachstums – überproportional steigen.“

Sinnvoll wäre aus seiner Sicht „eine flexible Antwort der Leitstelle, die statt eines Rettungswagens auch einen zügigen Einsatz des Kassenärztlichen Notdienstes oder eines Krankentransports auslösen kann.“

Ein Sprecher der Feuerwehr sagte, es werde jetzt geprüft, wie kurzfristig mehr Personal mobilisiert werden kann. Auch die Hilfsorganisationen würden nun im Sommer mehr Rettungswagen besetzen. Daneben werde geprüft, ob in der Notrufzentrale Anrufe zu voreilig als Fall für den Rettungsdienst eingestuft werden.

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