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Chinas Chefdiplomat Wang Yi trifft am 22. Februar 2023 in Moskau den russischen Präsidenten Wladimir Putin.

© REUTERS/Sputnik

Heute die Ukraine, morgen Taiwan?: Russland hat China eine empfindliche Propaganda-Niederlage eingebrockt

Chinas Außenministerium fordert, man solle aufhören, Parallelen zwischen der Ukraine und Taiwan zu ziehen. Doch die Assoziation lässt sich nicht mehr kappen. Denn sie trifft zu.

Ein Kommentar von Cornelius Dieckmann

China hat ein Problem. Und dieses Problem heißt nicht USA oder Nato, Taiwan oder Japan. Es heißt Russland.

Ausgerechnet Wladimir Putin, der im Februar 2022 mit Xi Jinping eine strategische Partnerschaft unterzeichnet hat, ist für eine der größten Propaganda-Niederlagen verantwortlich, die Chinas Machthaber in den vergangenen Jahren erleiden musste. Seit zwölf Monaten morden, vergewaltigen und verschleppen russische Soldaten in einem Land, das nicht ihres ist. Und seit zwölf Monaten fällt im selben Atemzug mit dem Wort Ukraine das Wort Taiwan.

Für China ist das ein PR-Supergau. Peking ist so sehr daran gelegen, die Parallele abzuwürgen, dass Außenminister Qin Gang am Dienstag in einer Rede forderte, „bestimmte Länder“ sollten damit aufhören, vor dem Szenario „heute die Ukraine, morgen Taiwan“ zu warnen.

Emotional stünden die Uhren wieder auf 4.50 Uhr, 24. Februar 2022

Doch die gedankliche Verbindung lässt sich nicht mehr kappen. Denn sie trifft zu. Zwei Supermächte, die ihre territorialen Ansprüche mit geschichtsklitternder Imperial-Ideologie herleiten, bedrohen ihre Nachbarländer. Russland hat den Angriff vollzogen, China glücklicherweise bislang nicht. Aber Moskaus und Pekings Expansionsprojekte sind geistesverwandt.

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Viele Fragen sind offen, falls sich die kommunistische Führung in Peking irgendwann zu einem Überfall auf Taiwan entscheiden sollte: Würden die USA der Inselrepublik militärisch zu Hilfe eilen? Würde Japan eingreifen? Wie würde sich Europa verhalten?

Nur eines steht außer Zweifel: Auf der ganzen Welt wäre die erste Reaktion geprägt von schockierter Wiedererkennung. China, so würde sie lauten, tut es Russland gleich und bricht einen brutalen, durch nichts zu rechtfertigenden Krieg gegen eine souveräne Demokratie los. Emotional stünden die Uhren wieder auf 4.50 Uhr, 24. Februar 2022.

Die russische Invasion der Ukraine ist ein Krieg mit größtmöglicher moralischer Eindeutigkeit, ein Eroberungsfeldzug, der flagrant die grundlegenden Prinzipien der UN-Charta bricht. Würde China gegen Taiwan losschlagen, dächte man sofort auch an die Raketen auf Kiew, die Belagerung von Mariupol, das Massaker von Butscha.

Diese unheilige Assoziation hat sich Peking selbst eingefangen. Erstens, indem es Taiwan zunehmend mit Kampfjetmanövern bedroht und immer wieder betont, eine bewaffnete Eroberung nicht auszuschließen. Zweitens, und das wiegt vielleicht schwerer, indem es sich entschieden hat, sich nicht von Russlands Vernichtungskrieg (chinesisch: „Ukraine-Krise“) zu distanzieren.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz hat Pekings oberster Außenpolitiker Wang Yi auf die Frage, ob er eine bevorstehende Eskalation gegen Taiwan ausschließen könne, geantwortet: „Taiwan war nie ein Land und wird auch nie eines sein.“ Er hätte beruhigen können und tat es nicht. Stattdessen: nächster Halt Moskau. Dort hat Wang sich am Mittwoch kumpelhaft lachend mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow ablichten lassen und danach Wladimir Putin getroffen.

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China und Russland, da haben sich zwei gefunden – das ist der eine Eindruck. Der andere: Taiwan und die Ukraine sind eine Solidargemeinschaft. Der ostasiatische Inselstaat unterstützt Kiew seit den ersten Tagen der Invasion mit humanitärer und finanzieller Hilfe. Als Ende 2022 ein taiwanesischer Soldat getötet wurde, der sich der ukrainischen Fremdenlegion angeschlossen hatte, fand dies in beiden Ländern große Beachtung.

Das Narrativ der chinesischen Propaganda war immer: Taiwan, das ist eine interne Angelegenheit der Volksrepublik China. Nach diesem Jahr darf man konstatieren, dass zumindest diese Lüge ihre Überzeugungskraft verloren hat. Taiwan, das de jure die 1912 gegründete Republik China ist, wurde nie von der 1949 ausgerufenen Volksrepublik China regiert.

Diese historische Dimension sprach schon immer gegen Peking. Aber im systemischen Ringen zwischen Demokratie und Diktatur geht es stets auch um Psychologie. Hearts and minds heißt das in geopolitischer Diktion. Und diese Herzen und Köpfe wenden sich seit Russlands Ukraine-Feldzug mehr und mehr von China ab.

Die Ukraine ist der Präzedenzfall, den China immer vermeiden wollte

Im Globalen Süden ist der Rückhalt der Volksrepublik zwar teilweise unverändert. Der Westen aber steht zu ihrem großem Verdruss ungeahnt solidarisch an der Seite der Ukraine. Dass sich das seit Februar 2022 auch in Unterstützung für Taiwan niederschlägt, ist für China eine Katastrophe. Es ist der Präzedenzfall, den Peking immer vermeiden wollte.

Wolodymyr Selenskyj erklärte vergangenes Jahr in Bezug auf Taiwan, bedrohten Ländern müsse man vor der Aggression helfen, nicht erst hinterher. „Wir dürfen sie nicht zurücklassen in der Gewalt eines anderen Landes, das finanziell, territorial und materialtechnisch stärker ist“, sagte der ukrainische Präsident.

Selbst aus dem sonst eher auf Rücksicht auf China bedachten Deutschland kamen klare Worte. Vor der UN-Vollversammlung sagte Außenministerin Annalena Baerbock im August, kurz bevor Peking großangelegte Schießmanöver um Taiwan durchführte: „Wir akzeptieren nicht, wenn das internationale Recht gebrochen wird und ein größerer Nachbar völkerrechtswidrig seinen kleineren Nachbarn überfällt – und das gilt natürlich auch für China.

Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis schrieb wenig später in einem Gastbeitrag im „Telegraph“: „Die freie Welt darf nicht zulassen, dass Taiwan eine zweite Ukraine wird.“ Der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der die Inselnation unlängst besucht hat, veröffentlichte im Januar einen Artikel in der „Financial Times“ mit der Überschrift: „Taiwan darf nicht das Schicksal der Ukraine erleiden.“ EU-Parlaments-Vize Nicola Beer sagte im Tagesspiegel: „Wir haben uns von Putin überraschen lassen. Das darf und wird uns in Taiwan nicht passieren.“

Heute die Ukraine, morgen Taiwan – das ist die Warnung, von der China nicht will, dass sie Gehör findet. Es gibt allen Grund, sie umso lauter auszusprechen.

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