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Schwierige Verhandlungen: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD)  nach den Beratungen mit den Ländern im Kanzleramt.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

„Sind hier nicht auf’m Fischmarkt“: Warum der Kanzler auf Konfrontation geht

Scholz platzt der Kragen, Weil verbiegt sich, Söder schweigt. Der Finanzstreit überschattet den Bund-Länder-Gipfel. Ein Einblick in schwierige Verhandlungen in schwieriger Zeit.

Stephan Weil muss sich verbiegen bis zum Äußersten, eine Steilvorlage für den Wahlkampfendspurt des um seine Macht bangenden niedersächsischen Ministerpräsidenten war die Runde im Kanzleramt nicht. „Das waren sehr konstruktive Beratungen“, sagt Weil danach, der SPD-Politiker darf als neuer Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz erstmals auf dem Podium neben Kanzler Olaf Scholz (SPD) Platz nehmen, doch statt eines großen Schulterschlusses, haben die Beiden und Vize-MPK-Chef Hendrik Wüst (CDU) nach dem Bund-Länder-Gipfel kaum Zählbares zu verkünden.

Vorausgegangen sind denkwürdige Stunden: Mitten in der tiefsten Energiekrise der Bundesrepublik, liegen Bund und Länder über Kreuz, weil sie sich bisher nicht über die Kostenverteilung einigen können. „Wir sind hier nicht auf’m Fischmarkt, ihr wollt immer mehr, mehr“, soll der Kanzler den Länder-Regierungschefs nach Teilnehmerangaben entgegengehalten haben.

Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, ist unzufrieden mit dem Sitzungsverlauf.

© Martin Schutt/dpa

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sagt wiederum zu Scholz: „Olaf, ich möchte nicht, dass du das Gefühl hast, dass wir dich über den Tisch ziehen. Aber leider habe ich inzwischen das Gefühl: Du willst uns hier über den Tisch ziehen.“ Über diese Aussage, die von Teilnehmern bestätigt wird, hatte zuerst der „Spiegel“ berichtet.

Aber leider habe ich inzwischen das Gefühl: Du willst uns hier über den Tisch ziehen.

 Bodo Ramelow

Für Unmut auf Länderseite sorgt, dass Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) wiederholt versucht habe, die Sichtweise des Bundes als gemeinsame Position in das Beschlusspapier zu schreiben; das Kanzleramt dementiert das energisch.

Und Scholz macht eine nicht von der Hand zu weisende Rechnung auf: Mit dem geplanten Energie-Abwehrschirm von bis zu 200 Milliarden Euro und den drei Entlastungspaketen gehe es um ein Volumen von 295 Milliarden Euro, sagt Scholz. „Der Bund wird davon knapp 240, 250 Milliarden Euro auf seine Kappe nehmen und finanzieren.“ Heißt: Liebe Länder, ihr müsst auch was geben.

Der NRW-Ministerpräsident sieht eine Wundertüte

„Das Paket ist eine ganz große Nummer“, wird in Regierungskreisen betont, es gehe hier um die Zukunft auch der deutschen Volkswirtschaft und die Länder würden eine Frage, ob es 1,5 oder 1,65 Milliarden für Regionalisierungsmittel im ÖPNV geben soll, zum großen Politikum aufblasen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, Kanzler Olaf Scholz (beide SPD) und NRW-Regierungschef Hendrik Wüst (CDU) nach der Bund-Länder-Runde.

© dpa/Bernd von Jutrczenka

Scholz bleibt eisern bei der Linie, dass der Bund erstmal nicht mehr nicht geben wird, zumal auch die Länder inflationsbedingt höhere Steuereinnahmen als erwartet haben. Zum großen Konfliktpunkt entwickelt sich der neue, von Scholz, Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Robert Habeck verkündete Schuldentopf, der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF), der mit 200 Milliarden Euro über neue Kredite gefüllt werden soll. Darüber sollen vor allem die geplante Gaspreisbremse, Rabatte beim Strompreis und Hilfen für Unternehmen finanziert werden. Aber auch in der EU gibt es Fragen hierzu, fühlt man sich von dem deutschen Alleingang zum Teil brüskiert.

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Nordrhein-Westfalens Regierungschef Wüst spricht mit Blick auf die geplante Gas- und Strompreisbremse von einer Wundertüte, alle seien gespannt, was drin sei. Er hatte sich erhofft, zu erfahren, wie hoch ungefähr die Entlastungen für die Bürger durch die Gaspreisbremse ausfallen könnten. Es seien „eine ganze Menge Fragen offen“, die die Bundesregierung beantworten müsse.

Der Abwehrschirm soll nicht für alles und jenes genutzt werden

In der Runde lässt Scholz Lindner Punkt für Punkt darlegen, wofür das Geld aus der Wundertüte aber nicht verwendet werden soll. So sind die zwei Milliarden an Hilfen des Bundes für Flüchtlinge aus der Ukraine aufgebraucht, hier braucht es eine Anschlussfinanzierung. Dafür soll nun die Steuerschätzung Ende Oktober abgewartet werden, bis November will der Bund hierzu eine Lösung vorlegen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, Kanzler Olaf Scholz (da noch in Corona-Isolation) und Finanzminister Christian Lindner nach der Vorstellung des 200-Milliarden-Abwehrschirms.

© dpa / Kay Nietfeld

Zudem fordern die Länder mehr Geld vom Bund für die Ausweitung des Wohngeldes auf zwei Millionen Empfänger und für ein bundesweites 49- bis 69-Euro-Ticket als Nachfolger des beliebten 9-Euro-Tickets. Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) verweist darauf, dass die Kosten seinerzeit als krisenbedingte Kosten eingestuft worden, nun also auch über den neuen Krisenfonds finanziert werden könnten.  

Die Länder pochen zudem auf zielgenaue Wirtschaftshilfen und Härtefallregelungen, für die „Industrie, kleine und mittlere Unternehmen, Handwerk und Einzelhandel, kommunale Energieversorger, Krankenhäuser sowie Universitätskliniken und Pflegeeinrichtungen, die soziale Infrastruktur, Kulturveranstaltungen und Sport oder eine Anpassung des Anwendungsbereichs des Kurzarbeitergeldes an die aktuelle Situation als besonders erfolgreiches Instrument in Krisenzeiten“, wie es in ihrer Vorlage für die Runde im Kanzleramt hieß.

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, nahm wegen einer USA-Reise online an der Sitzung teil.

© Foto: dpa/Caroline Blarr

Das Kanzleramt wiederum betont, mit den umfangreichen neuen Entlastungsmaßnahmen, insbesondere den Energiepreisbremsen, dürfte vielfach die Notwendigkeit für gesonderte Maßnahmen für einzelne Zielgruppen entfallen - heißt: Das kann wiederum durchaus über den Abwehrschirm finanziert werden - in Regierungskreisen wird von hochkomplexen Fragen gesprochen, das Verhalten einiger Länder-Chefs sei dem nicht immer angemessen. Vor allem der Unions-Seite wird ein durchschaubares Spiel vor der Niedersachsen-Wahl unterstellt.

Konzept für Gaspreisbremse soll in wenigen Tagen vorliegen

Bewusst hatten die Länder dem Bund eine Brücke gebaut, betont, dass man bereit sei, über die konkrete Kostenverteilung zu beraten, sobald die Einzelheiten zur Wirkung der Energiepreisbremsen absehbar sind. Aber Scholz macht eben deutlich, dass der neue 200-Milliarden-Topf nicht für alles Mögliche an Länderforderungen genutzt werden soll, er zieht harte Grenzen ein, das Geld soll vor allem zum Bremsen der durch das russische Agieren explodierten Energiepreise genutzt werden.

Die Spitzenkandidaten auf Wahlplakaten für die Niedersachsen-Wahl am 9. Oktober: Bernd Althusmann (CDU, links) und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD)

© dpa/Silas Stein

Die für die Gaspreisbremse eingesetzte Expertenkommission will nun bei einer Klausur am Wochenende einen „belastbaren Vorschlag“ erarbeiten und der Politik vorlegen. „Wir sind uns miteinander bewusst, dass die klare Erwartung von Bürgerinnen und Bürgern darin besteht, dass sich die Politik in dieser Hinsicht nicht in erster Linie streitet, sondern wir sehr schnell auch gemeinsam zu Entscheidungen gelangen“, betont Weil. Das sei eine Erwartung, die er derzeit „tagtäglich in der Begegnung mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gespiegelt bekomme.“

Piff und Paff statt Doppelwumms

Andreas Jung, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag

CDU-Chef Friedrich Merz nutzt den Verlauf der Sitzung für seinen Wahlkampf in Niedersachsen: „Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Stephan Weil, und Bundeskanzler Olaf Scholz sind alleine verantwortlich, dass es keine Ergebnisse gibt“, sagt er der Funke-Gruppe. Eine Wahrnehmung, die nicht mit dem Verlauf der Sitzung standhält.

CDU-Vize Andreas Jung sekundiert: „Piff und Paff statt Doppelwumms: Die MPK ist ausgegangen wie das Hornberger Schießen - und die Bundesregierung hat das zu verantworten.“ Aber Scholz kennt das Spielchen, er saß auch lange auf der Länderseite, auch in Corona-Zeiten gab es heftige Bund-Länder-Auseinsetzungen ums Geld.

Scholz will den Kalender freiräumen

Das Problem nun ist: Die verunsicherten Bürger und Unternehmen lechzen nach Klarheit, Scholz verspricht den Ländern, seinen prall gefüllten Kalender etwas freizuräumen, damit zeitnah eine Gesamteinigung erzielt werden kann. Nicht streichen kann er aber zum Beispiel eine für Anfang November geplante China-Reise, deren Staatschef Xi Jinping wird als einer der wenigen Personen angesehen, die den Einfluss hätten, um Wladimir Putin von einem Atomschlag abzuhalten. Auch Frankreichs Präsident Emmanuel Macron soll noch vor dem G20-Gipfel auf Bali nach China reisen.

Von einem, der im Vorfeld medienwirksam Scholz vor einem „Wümmschen“ gewarnt hatte, ist in der Sitzung übrigens nichts zu hören: Von Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Er ist im Zuge der Ampel-Turbulenzen laut einer Insa-Umfrage plötzlich zum beliebtesten Politiker des Landes aufgestiegen.

Weil und Scholz verbindet nicht das beste Verhältnis, dass ein zerstrittener Eindruck entstanden ist, hilft dem Wahlkämpfer sicher nicht. Es war jedoch auch fast absehbar, dass wegen des Wartens auf die Details einer Gas- und Strompreisbremse die Finanzfragen noch nicht restlos geklärt werden können. Aber der Druck ist nun nochmal gewachsen: „Die Bürger und Unternehmen brauchen Klarheit, sonst drehen sie durch“, heißt es mahnend in einer Staatskanzlei.

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