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Interessiert keine Sau: Die weiblichen Tiere sind nicht von der geplanten Reform erfasst.

© Foto: dpa/Sven Hoppe

Update

Das Leben vor dem Kotelett: Kabinett beschließt Pflicht zur Kennzeichnung

Beim Schweinefleisch sollen Kunden künftig sehen können, wie das Tier gehalten wurde. Doch die geplante Kennzeichnung hat viele Lücken.

„Ich will, dass auch künftig gutes Fleisch aus Deutschland auf den Tisch kommt“, sagt Cem Özdemir. Aus dem Mund eines Vegetariers mag das merkwürdig klingen, doch als Bundeslandwirtschaftsminister ist der Grünen-Politiker auch für die rund 128.000 deutschen Rindvieh- und die knapp 18.000 Schweineviehhalter zuständig. Vor allem letztere stecken in der Krise.

Die Bundesbürger verlieren zunehmend den Appetit auf Koteletts und Schinken, die Afrikanische Schweinepest lähmt den Export nach China, die Kosten steigen, viele Schweinemäster machen Verluste und geben auf. Allein von Mai 2021 bis Mai 2022 haben 1900 Betriebe aufgehört, der Schweinebestand verringerte sich um zehn Prozent oder 2,41 Millionen Tiere.

Das ist Özdemirs Strategie

Mit einer Reihe von Maßnahmen will Özdemir helfen. Ein zentraler Baustein seiner Strategie hat am Mittwoch die erste Hürde genommen. Das Bundeskabinett stimmte dem Gesetzentwurf des Agrarministeriums zu, in Deutschland erstmals eine verpflichtende Haltungskennzeichnung einzuführen.

„Heute ist ein guter Tag für die Verbraucherinnen und Verbraucher“, sagte Özdemir nach der Kabinettssitzung. Die Bürger hätten künftig eine „echte und verlässliche Wahl für mehr Tierwohl“, für die Bauern sei die verpflichtende Haltungskennzeichung ein erster wichtiger Schritt, „um beim Umbau zu einer zukunftsfesten Tierhaltung voranzukommen“.

Es ist wirklich wichtig, dass wir jetzt anfangen.

Renate Künast, Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin

Die Grünen-Agrarexpertin Renate Künast unterstützt die Reform. „Es ist wirklich wichtig, dass wir jetzt anfangen und nicht noch mehr Zeit verlieren“, sagte die frühere Bundesagrarministerin dem Tagesspiegel. Auch aus Klimagesichtspunkten sei es nötig, den Bestand der Nutztiere bis 2035 zu halbieren. „Wir müssen diesen Prozess gestalten“, sagte Künast, auch um den Bauern eine Perspektive zu geben.

Die Haltungskennzeichnung ist nur der erste Schritt

Zum Gesamtpaket gehöre neben der verbindlichen Haltungskennzeichnung auch eine Herkunftskennzeichnung für deutsches Fleisch, die Finanzierung sowie eine Ernährungsstrategie. Wichtig sei aber, die Außer-Haus-Verpflegung in das System einzubeziehen. Das müsse nächstes Jahr geschehen. „Wenn große Kantinenbetreiber oder das teure Restaurant am Gendarmenmarkt aufschreiben müssen, aus welcher Haltung das Tier kommt, werden sie hoffentlich bei der Preisklasse kein Fleisch aus einfacher Stallhaltung auftischen“, hofft die Grünen-Politikerin.

Fleisch aus deutschen Landen

Die verpflichtende Haltungskennzeichnung betrifft nur Schweine, die in Deutschland gemästet werden. Ausländische Anbieter sind aus EU-rechtlichen Gründen nicht verpflichtet, an dem System teilzunehmen. Die deutschen Landwirte befürchten Nachteile, wenn weiterhin billigeres Importfleisch in die Kühltheken kommt.

Bundesagrarminister Özdemir will dem begegnen, in dem er eine Herkunftsbezeichnung für deutsches Fleisch einführen will. Derzeit besteht eine EU-rechtliche Herkunftskennzeichnungspflicht bei vorverpacktem frischem, gekühltem oder gefrorenem Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch. Verbraucher können somit derzeit nur bei Fleisch, das im Supermarkt abgepackt verkauft wird, die Herkunft erkennen. Damit sie aber auch bei loser Ware erfahren, in welchem Land das Tier aufgezogen und geschlachtet wurde, bereitet das Agrarministerium einen Verordnungsentwurf vor, in dem die bereits geltenden Regeln auf nicht vorverpacktes frisches, gekühltes oder gefrorenes Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch national ausgeweitet werden. Das betrifft somit unverarbeitetes Fleisch, das in der Fleischtheke angeboten wird, etwa beim Metzger, Supermarkt, Hofladen oder Wochenmarkt. 

„Ein guter Tag für Verbraucher“: Agrarminister Cem Özdemir nach der Kabinettssitzung.

© Foto: IMAGO/Christian Spicker

Tierschützer und Bauern üben Kritik

Während die Biobranche die geplante Haltungskennzeichnung begrüßte, sehen andere das erste große Projekt des neuen Landwirtschaftsministers kritischer. Der Deutsche Tierschutzbund sprach von einem „Etikettenschwindel“. Die Haltungskriterien seien zu schwach, entscheidende Bereiche wie Transport und Schlachtung blieben außen vor, bemängelte der Präsident des Verbands, Thomas Schröder. Die Haltungsform „Stall“ suggeriere Bauernhofidylle, in Wirklichkeit würden die Schweine aber auf Spaltenböden in engen Ställen stehen - ohne Tageslicht und frische Luft.

Der Deutsche Bauernverband sieht das Vorhaben zwar im Grundsatz positiv, übte aber deutliche Kritik daran, dass die Sauenhaltung nicht erfasst ist. „So können betäubungslos kastrierte Ferkel weiter aus dem Ausland in den heimischen Markt importiert werden und würden dennoch das Tierwohllabel erhalten“, kritisierte Bauernpräsident Joachim Rukwied.

Wer soll das bezahlen?

Der Umbau der Tierhaltung ist im Koalitionsvertrag vereinbart worden und soll staatlich gefördert werden. Für neue tierfreundlichere Ställe sind in dieser Legislaturperiode eine Milliarde Euro eingeplant. FDP, SPD und Grüne stritten jedoch monatelang darüber, wie Landwirte für ihre höheren Folgekosten entschädigt werden können, wenn sie weniger Tiere halten. Im Gespräch waren eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch oder eine Tierwohlabgabe, aber die Ampelfraktionen konnten sich auf keines der Instrumente einigen.

Nun sollen auch diese Kosten mit Hilfe der Haushalts- Milliarde Euro gedeckt werden. Die Schweinehalter sind enttäuscht. Die Gleichung enthalte zu viele Unbekannte, um Sicherheit geben zu können, kritisiert der Geschäftsführer der Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands, Torsten Staack. „Deshalb ist davon auszugehen, dass es wohl genauso wie in der letzten Förderperiode ablaufen wird und Fördergelder zwar in Aussicht gestellt werden, faktisch aber nicht abgerufen werden können.“

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