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Das Video zeigt verwundete Gefangene sowie Schüsse auf teils gefesselte Personen, die aus einem Kleinbus aussteigen.

© Screenshot Twitter

Video aus Charkiw: Schießen hier Ukrainer auf russische Kriegsgefangene?

Die Ukraine nennt das Video eine russische Fälschung. Russland teilt mit, dass Spezialeinheiten bereits zwei verdächtige Militärs festgenommen hätten.

Drei Männer steigen aus einem Kleinbus, zwei von ihnen sind offenbar gefesselt. Eine weitere Person schießt ihnen aus nächster Nähe in die Beine. Die Verwundeten krümmen sich vor Schmerzen auf dem Boden, stöhnen und schreien. All das ist in einem Video zu sehen, das am Sonntag in den sozialen Medien aufgetaucht ist.

Das Video soll russische Soldaten in ukrainischer Kriegsgefangenschaft zeigen. Der Film dauert mehr als fünf Minuten und zeigt zu Beginn weitere gefesselte, verwundete Männer. Unklar ist, wer das Video gedreht hat und wer darin wirklich zu sehen ist.

Nicht weiter identifizierbare Personen reden über angeschossene und gebrochene Beine. Einer der Gefangenen soll sein Bewusstsein verloren haben. Wegen der dargestellten Gewalt zeigen wir das Video an dieser Stelle nicht.

Die Verwundeten tragen mehrheitlich weiße Armbinden – charakteristisch für russische und pro-russische Truppen im Ukraine-Krieg. Die Aufpasser haben blaue Erkennungszeichen, wie sie die ukrainischen Truppen tragen. Unklar ist jedoch, ob es sich bei den Gefangenen um Russen und bei den Aufpassern um Ukrainer handelt, oder ob dieser Eindruck nur vermittelt werden soll.

Ein General der ukrainischen Armee sagte am Sonntag, Russland würde Videos produzieren, um seine Truppen zu diskreditieren, berichtet die „Washington Post“.

Die Gefangenen werden über ihre Aufträge ausgefragt, dabei reden beide Gruppen auf Russisch miteinander. Die Aufpasser würden allerdings mit ukrainischem Akzent sprechen, berichtet „CNN“. Einer gibt eine Erklärung für das, was den Gefangenen angetan wurde. Sie täten dies, „weil ihr Charkiw abgeschossen habt“. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine im Nordosten des Landes ist Ziel zahlreicher Angriffe gewesen.

Die mutmaßlich ukrainischen Soldaten erklären in dem Video, sie hätten die Gruppe in der Region Charkiw etwa 30 Kilometer vor der russischen Grenze geschnappt, berichtet der Nachrichtensender weiter. Laut der „Washington Post“ ist das Video in Mala Rohan, einem Vorort östlich von Charkiw entstanden.

Präsidentenberater nennt Missbrauch von Gefangenen „Kriegsverbrechen“

Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung des Videos meldete sich Alexej Arestowitsch, ein Berater des Chefs des ukrainischen Präsidentenbüros, auf Telegram zu Wort: „Ich erinnere alle daran, dass wir die europäische Armee eines europäischen Landes sind. Wir behandeln Gefangene gemäß der Genfer Konvention, unabhängig von Ihren persönlichen emotionalen Motiven.“ Solche Missbräuche seien ein „Kriegsverbrechen“ und würden „hart“ bestraft. Arestowitsch nahm aber keinen direkten Bezug auf das Video.

Der Befehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, Witalij Saluschnyj, sprach auf Facebook von einer russischen Fälschung. „Ich betone, dass die Angehörigen der ukrainischen Streitkräfte und anderer legitimer militärischer Formationen die Normen des humanitären Völkerrechts strikt einhalten“, schrieb er. Der ukrainische Geheimdienst SBU schloss sich dem an. Mit Kriegsgefangenen werde nach der Genfer Konvention verfahren, teilte der Dienst mit.

Russland reagierte am Dienstagabend auch auf das Video und warf ukrainischen Soldaten schwere Misshandlungen russischer Kriegsgefangener vor. Der Vize-Vorsitzende des Duma-Ausschusses zur Entwicklung der Zivilgesellschaft, Wladimir Schamanow, sagte am Dienstag, russische Spezialeinheiten hätten nun zwei verdächtige Militärs festgenommen, die aus dem Fanumfeld des Fußballclubs Metallist Charkiw kämen. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte, alle Schuldigen würden zur Verantwortung gezogen.

Erste Videos russischer Kriegsgefangener waren bereits wenige Tage nach Kriegsbeginn aufgetaucht. Ukrainische Vertreter hatten dazu aufgefordert, Fotos und Videos getöteter und gefangen genommener russischer Soldaten im Internet zu zeigen.

Damit sollten die hohen russischen Verluste belegt werden, zu denen sich die russische Regierung sehr bedeckt hielt. Moskau nannte bisher nur selten Zahlen. Am 25. März wurde die Zahl der toten russischen Soldaten etwa mit 1351 angegeben – 3825 seien demnach verletzt worden. Kiew beziffert die russischen Verluste auf etwa 17.200 (Stand: 29. März). Nato-Vertreter rechnen mit 7000 bis 15.000 toten russischen Kämpfern.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) forderten die ukrainische Seite auf, die Verbreitung von Bildern russischer Kriegsgefangener zu unterlassen. Ein derartiger Umgang mit Kriegsgefangenen verstoße gegen die Genfer Konventionen und somit gegen das Völkerrecht, erklärte die Menschenrechtsorganisation.

„Die ukrainischen Behörden sollten aufhören, Videos von gefangenen russischen Soldaten in den sozialen Medien und Messengerdiensten zu veröffentlichen, die diese öffentlich zur Schau stellen“, erklärte Human Rights Watch. Dies gelte insbesondere für Aufnahmen, die „gedemütigte oder eingeschüchterte“ russische Soldaten zeigten. Auch auf den Seiten des ukrainischen Innenministeriums seien offenbar solche Videos erschienen.

Bei Besuchen in Kiew und Moskau mahnte IKRK-Präsident Peter Maurer beide Seiten zur Einhaltung der Genfer Konvention. Kriegsgefangene und andere festgesetzte Personen müssten mit Würde behandelt werden.

Außerdem müsse gewährleistet sein, dass die nicht kämpfende Bevölkerung in ihren Häusern oder auf Reisen sicher sei. Die zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen, aber auch die Strom- und Wasserversorgung müssten verschont bleiben. Zahlreiche Berichte lassen Kriegsverbrechen der russischen Seite vermuten. Mehrere Staaten beschuldigen Russland. Der Internationale Gerichtshof ermittelt.

Etwa 500 gefangene Soldaten auf beiden Seiten

Beide Seiten geben unterdessen an, zahlreiche Kriegsgefangene gemacht zu haben. Russland hat eigenen Angaben zufolge mehr als 500 ukrainische Soldaten gefangen genommen. Dem Internationalen Roten Kreuz seien Dokumente zum Austausch gegen ukrainische Soldaten übermittelt worden, sagte die Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Tatjana Moskalkowa, vergangene Woche dem Staatssender RT.

„Das sind ukrainische Gefangene, die wir auszutauschen bereit sind.“ Die Ukraine sprach zuletzt von mehr als 560 russischen Kriegsgefangenen.

Einen ersten offiziellen Gefangenenaustausch habe es vergangenen Donnerstag gegeben. Die Ukraine habe elf russische zivile Seeleute im Austausch für 19 Seeleute freigelassen. Beide Seiten bestätigen die Aktion. Mindestens einen weiteren Austausch soll es auf lokaler Ebene gegeben haben. Weitere Details sind unklar.

Bezugnehmend auf das in den sozialen Medien aufgetauchte Video sagte die Leiterin der UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission in der Ukraine, Matilda Bogner, am Montag. dass die Vereinten Nationen „das gesamte Material überprüfen“ würden.

„Wir fordern die Behörden auf beiden Seiten auf, die Anschuldigungen, die in diesen Videos erhoben werden, vollständig zu untersuchen“, sagte Bogner weiter. „Es ist wichtig, dass diese Art von Videos und jede Art von Misshandlung sofort gestoppt werden“, fuhr sie fort und habe hinzugefügt, dass die Vereinten Nationen hoffen, dass diese Untersuchungen sicherstellen werden, dass alle Täter „zur Rechenschaft gezogen werden“. (mit Agenturen)

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